1. Triennale Brügge

27. Mai. 2015 in Biennalen

 

O+A, Quiet Is The New Loud  // universes-in-universe

Merkwürdige silberne Ballons fliegen um die Frauen herum. Nähert man sich ihnen, hört man Geräusche. Denn in diesen glänzenden Dingern sind Lautsprecher integriert, sie dienen zur audiovisuellen Wahrnehmung der Stadt – ein „Soundspace für Architektur“, wie es Sam Auinger nennt. Der österreichische Tonkünstler entwarf diese Objekte zusammen mit Bruce Odland für die 1. Triennale Brügge. Arbeiten von 30 Künstlern und Architekten sind über das historische Zentrum der mittelalterlichen Stadt verteilt.

Vibeke Jensen, 1:1 Connect: Diamond Scope // SBV

Brügge zählt nur 120.000 Einwohner, wird aber jedes Jahr von fünf Millionen Touristen überrannt. Mit der im Drei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Kunstausstellung kommt jetzt noch eine weitere Attraktion in die zauberhafte Altstadt. Aber wofür braucht es bei all den geschichtsträchtigen Gebäuden und Orten noch eine Triennale? Dieses Format ist ein perfektes Werkzeug für Stadt-Marketing. Mit keiner anderen Veranstaltung kann man bei einem vergleichbar niedrigen Budget derartig viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Städte wie Fellbach in Deutschland, Busan in Südkorea oder Sonsbeek in Holland haben sich über mehrere Jahrzehnte einen Namen als Austragungsort für Kunst gemacht – ganz zu schweigen von Kassel: Ehemals westdeutsche Zonenrandstadt, ist die hessische Mittelstadt durch die seit 1955 stattfindende documenta heute weltweit berühmt. Zur Documenta 13 meldeten sich über 12.000 Journalisten an und nach einhundert Tagen Laufzeit endete die Ausstellung im September 2012 mit der Rekordzahl von 860.000 Besuchern.

 

Der japanische Museumsdirektor Fumio Nanjo brachte es in einem Interview einmal auf den Punkt: „Kein großes Festival in der Dimension einer Biennale würde veranstaltet, wenn dahinter nicht Interesse an Stadtmarketing oder Kulturtourismus stände. Niemand würde so viel Geld nur für künstlerische Ambitionen ausgeben.“ Er war Kurator der 1. Singapur Biennale 2006, die von 883.000 Menschen besucht wurde. Bis heute ist diese Veranstaltung ein wichtiges Werkzeug des kleinen Inselstaates, um sich als kulturelles Zentrum von Südostasien zu positionieren. Was aber will die neue Brügge Triennale? Wie so oft, ging auch hier die Initiative von einem ambitionierten Bürgermeister aus. Renaat Landuyts Interesse ist es, die zeitgenössische Kunst und damit die Gegenwart in die mittelalterlich geprägte Stadt zu bringen. 2.8 Millionen Euro hat er für die Kunstproduktionen und das Marketing zur Verfügung gestellt. Auch ihm geht es aber nicht nur um Kunst: Die 1. Brügge Triennale sucht Visionen für die Zukunft. Die Kunst soll hier nicht nur helfen, noch mehr Besucher in die Stadt strömen zu lassen. Sie dient nicht wie in Venedig und Kassel als weltweite Leistungsschau. Die neue Brügge Triennale soll die Probleme der Verstädterung unserer Welt wenn nicht lösen, dann doch zumindest in den Blick rücken. 60 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Megastädten, Tendenz steigend. Was kann eine kleine Stadt wie Brügge zum Thema Urbanität beisteuern?

 

Haegue Yang, EscapingTransparency, Oxford, 2011. in: Future Light, Vienna Biennale 2015

Kunst als Stadtmarketing inklusiv urbane Zukunftsvisionen – das ist der neue Trend. So wird bald auch in Wien eine ähnliche Veranstaltung eröffnet: „Ideas for Chance“ lautet der Titel der 1. Vienna Biennale, die am 10. Juni beginnt. ´Wie wollen wir in der Zukunft leben´ heißt die Fragestellung in Wien, zu der es in mehreren Institutionen, allen voran im MAK, Ausstellungen „für einen positiven Wandel unserer Gesellschaft“ geben wird. Ähnlich ist auch die neue Brügge Triennale angelegt. Unter dem Titel „Brügge als Megapolis“ wird gefragt: „Was wäre, wenn die jährlich fünf Millionen Besucher in Brügge bleiben und wohnen würden?“ Konsequenterweise werden in Brügge – und auch in Wien – Kunst und Architektur vermischt, denn die Fragestellungen können nur fachübergreifend angegangen werden: Was bedeutet die zunehmende Verstädterung, wie viel kreatives Potential hat eine Stadt, wie kann das Zusammenleben gefördert, wie die Wirtschaft organisiert, wo kann expandiert werden? In Brügge beschäftigen sich damit drei kleine Ausstellungen, die Modelle imaginärer Städte zeigen, Pläne unvollendeter Städte und visionäre Stadtpläne.

Tadashi Kawamata, Tree Huts for Brugge, 2015 // SBV

Anders als in Wien wandert die Biennale in Brügge aber vor allem in die Stadt hinaus. 14 eigens angefertigte Skulpturen und Bauten stehen in der denkmalgeschützten Altstadt: Der Japaner Tadashi Kawamata hat elf Baumhütten wie Nester in den Innengarten einer Wohnanlage für Nonnen platziert.

Keinen einzigen Nagel musste er dafür in die Bäume schlagen – eine neue, friedliche Eintracht von Mensch und Natur? Oder eine Idee für neuen Wohnraum, eine zweite Besiedlungsebene für die Stadt? Im Gespräch erklärt Kawamata, es sei eher der halbe Weg in den Himmel. Konkreter bezieht sich das Künstlerduo HeHe auf die Stadt: Sie legen einen Hochspannungsmast quer in das Wasserbecken vor dem Sankt-Jans-Spital – als wäre der Mast hineingestürzt.

HeHe, Undercurrent, 2015 // SBV

Wir sollen darüber nachdenken, wo der Strom herkommt, wird als Interpretation nahegelegt – dabei erinnert es viel eher an ein Katastrophenszenario: Was wäre, wenn die fünf Millionen Neubürger das Stromnetz lahmlegen? Würde das Leben dann auf mittelalterliches Niveau zurückkehren? Ein Bild für turbulente Zeiten hat auch Romy Achituv gefunden, er stellt kurzerhand ein Modell dieser typischen gotischen Treppengiebelhäuser mitten in eine Gracht. Als Standort hat er jene kleine Bucht gewählt, in der früher die Schiffe entladen wurden – die wirtschaftliche Blütezeit von Brügge ist vorbei, sagt uns dieses Werk.

 

Romy Achituv, Cataract Gorge, 2015 // SBV

An diesem Punkt wäre das Thema gerade in Brügge spannend: Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Aber damit beschäftigen sich weder die Künstler noch die Architekten. Einzig der Chinese Song Dong lenkt uns ein wenig in diese Richtung mit seiner Installation einer felsenartigen Miniaturlandschaft, gebaut aus Fenstern von abgerissenen, chinesischen Wohnungen. Darüber steht in großen Buchstaben „Wu Wie er Wei“, ein Begriff aus dem Taoismus, der ´Nicht-Handeln´ bedeutet.

Song Dong, Wu Wei er Wei // SBV

Ist das die Lösung, wildes Wachsen, Recyclen und nicht weiter darum kümmern? Nein, sein Motto sei die „Weisheit der Armut“, erzählt er bei einem Mittagessen. Alles sei gut für irgendetwas.

Song Dong // SBV

Anne K. Senstadt setzt dem drei große Worte entgegen: „Gold Guides Me“ steht in großen Buchstaben auf einem Gebäude: Besitz, Macht, Reichtum – das sind die treibenden Faktoren unserer Welt.

 

Anne K. Senstadt // SBV

Konkret wird das japanische Architektur-Atelier Bow-Wow: Ihre „Lounge“ schwimmt in einer Gracht, eine offene Holzkonstruktion zum Abhängen, Sonnenbaden und bald auch eine open-air-Bar: Die Zukunft der Stadt beinhaltet auch, dass mehr und mehr Flächen kapitalisiert werden.

Atelier Bow-Wow, Canal Swimmer´s Club // SBV

Und die silbernen Soundwolken? Sam Auinger erläutert ihre Ausgangsfrage: „Wie müsste das Sounddesign der Stadt in der Zukunft aussehen, damit wir Stille und hörbare Vielfalt erleben können?“ Hier wird tatsächlich ein spannender Aspekt aufgegriffen, denn die Lärmbelästigung steigt mit der Menge der Menschen. Ansonsten aber ignorieren die Künstler das Triennale-Thema herrlich – die Kunst, das wird in Brügge deutlich, liefert keine Lösungen. Künstler mögen zwar Visionäre sein, aber nur selten für konkrete Aufgaben wie Urbanisierung. Ein schöner Anlass für eine Tour in und durch die Stadt aber ist die die Triennale Brügge allemal – Stadtmarketing eben.

Rainer Ganahl, Uber Capitalism // SBV


Rainer Ganahl, Yoshiharu Tsukamoto (Atelier Bow-Wow), Sam Auinger, Bruce Odland (vlnr) // SBV

Triennale Brügge, Belgien, bis 18.10.2015

Vienna Biennale, 10.6.-4.10.2015

veröffentlicht in: Die Presse, 24.5.2015