1. vienna contemporary

28. Sep. 2015 in Kunstmesse

Neuer Name, neuer Ort, aber keine neue Messe – das ist eine verwirrende Situation. Bis zum letzten Jahr hieß die führende Kunstmesse Österreichs noch Viennafair und fand im Messegelände beim Prater statt. Aber dann entschied das Team, alles zu ändern.

Die Rinderhalle St. Marx im Jahr 2008, nach der Sanierung.

Die Rinderhalle St. Marx im Jahr 2008, nach der Sanierung

Denn schon seit längerem hatten sich die Galerien über den Termin im Oktober beschwert, der favorisierte Termin im September scheiterte an der Messegesellschaft Reed. Ein Umzug wurde notwendig, aber da Reed den etablierten Messenamen nicht abtreten wollte, zog ein Schritt den anderen nach sich. Lange wehrten sich die Galerien gegen diese Entscheidungen. Große Bedenken hatten viele besonders gegen den neuen Standort: Ist die Halle klimatechnisch für eine Kunstmesse gerüstet? Ist das Industrieviertel rundherum nicht zu karg? Wie kann es ohne den Sponsor Die Erste weitergehen, die sich aus firmeninternen Gründen zurückzogen – was bleibt von dem CEE-Schwerpunkt, wenn die Bank die Stände der osteuropäischen Galerien nicht mehr finanziert?

Harald Hermann, Denken u Außen. AJL Galerie

Harald Hermann, Denken u Außen. AJL Galerie

Zuletzt konnten dann doch alle wichtigen Wiener Galerien zur Teilnahme überzeugt werden. Jetzt also ist die eigentlich 12. Viennafair, nun aber 1. Vienna Contemporary (VC) eröffnet – und alle Bedenken sind ausgeräumt! Nicht nur gelang es dem Team, die angestrebte Dreiteilung zu erreichen: Von den 99 Galerien sind ein Drittel aus Österreich, ein Drittel international und ein Drittel aus Zentraleuropa. Diese Mischung, vor allem aber die Qualität der ausgewählten Galerien ist so überzeugend, dass die junge Berliner Galeristin Anna Jill Lüpertz schon während des Presserundgangs euphorisch schwärmte. Sie nimmt heuer das erste Mal teil und will auf jeden Fall wieder teilnehmen – „wenn ich genommen werde.“ Denn: „In ein so niveauvolles Messeumfeld komme ich als junge Galerie sonst nicht.“ Als Tochter der Galeristin Jule Kewenig und des Malers Markus Lüpertz ist sie mit Kunst aufgewachsen, arbeitete in Galerien und startete 2012 ihr eigenes Geschäft. In Wien zeigt sie traumartige Malerei von Harald Hermann und Daniel Kannenberg, dazu Fotografien von Pola Sieverding.

Pola Sieverding. AJL Galerie

Pola Sieverding. AJL Galerie

Auch Galerist Michael Schultz aus Berlin, Seoul, Peking ist begeistert. Er ist seit knapp dreißig Jahren im Geschäft und nimmt schon länger in Wien teil. Auf der Viennafair habe er bisher „ausreichend verkauft“, habe hier einen festen Sammlerstamm und sei vor allem neugierig gewesen, wie der Neustart gelingen werde. Beeindruckt ist er vor allem von der Halle – und von seinen Wiener Kollegen, „die nehmen sich jetzt etwas zurück, die Platzverteilung ist besser geworden.“

Svenja Deininger. Galerie Martin Janda

Svenja Deininger. Galerie Martin Janda

Diese Halle ist es auch, die schon auf den ersten Blick den fulminanten Neustart ausmacht. Die ehemalige Rinderhalle wurde Ende des 19. Jahrhunderts als erste Schmiedeeisenkonstruktion Wiens gebaut und diente lange als Verkaufsort für Tiere. 2006 wurde das Gebäude saniert, seither finden auf der Gesamtfläche von 20.000 Quadratmetern Messen und Konzerte statt. Die 175 Meter Länge, 114 Meter Breite und 17 Meter Höhe lassen eine einzigartige Atmosphäre entstehen, die durch die gelungene Standarchitektur noch unterstützt wird und eine gerade für Kunstmessen wichtige Großzügigkeit erzeugt – die dann in den Kojen konsequent weitergeführt wird. Nahezu jede Galerie zeigt einen hervorragenden Ausschnitt ihres Programmes wie die Galerie Ursula Krinzinger, viele treten mit neuesten Werken an, die Galerie Martin Janda mit einem erstaunlich reduzierten Großformat des Shootingstars Svenja Deininger (23.000,-), oder Nächst St. Stephan mit brandneuen Skulpturen von Sonia Leimer: Auf einem I-Träger liegen Sitzpolster, bezogen mit merkwürdigen Stoffen voller Flugzeugen oder Raketen. Leimer war vom österreichischen Kulturinstitut in Moskau eingeladen worden, sich für die gerade eröffnete Ausstellung „Prinzip Hoffnung“ mit einer russischen Industriestadt zu beschäftigen.

Sonia Leimer, Installationsfoto HOPE, Moskau 2015 // SBV

Sonia Leimer, Installationsfoto HOPE, Moskau 2015 // SBV

Sie wählte die Textilstadt Ivanono und fand dort diese Stoffe, die zeigen, wie die Sowjetunion Textilien für Propagandazwecke einsetzte (je 4200,- in einer Auflage von 3). Am Stand der nach Genf abgewanderten, ehemals Wiener Galerie Mezzanin fasziniert ein riesiger, massiver Tisch von Christian Mayer – die genaue Kopie eines Objekt mit einer langen Geschichte (25.000,-). Ehemals wurde das Holz für ein britisches Schiff verwendet, dass im Eis in der Nordwest-Passage festsaß und von der Mannschaft aufgegeben wurde. Später fanden es die Amerikaner, gaben es der englischen Königin zurück, die daraus diesen Tisch fertigen ließ – und als Geschenk der USA zurückschickte. Bis heute steht der Tisch im Oval Office im Weißen Haus, hier unterschreiben die Präsidenten ihre weitreichenden Entscheidungen. Auf eine kleine Tür vorne im Tisch ließ Mayer eine kurze Fabel schreiben: Der Nordwestwind und die Sonne streiten darüber, wer mächtiger ist – die Sonne gewinnt, nicht dank der Kraft, sondern dank ihrer Wärme.

Aber nicht nur die hohe, von Tageslicht erhellte Halle und die hochwertigen Kunstwerke begeistern. Auch die kleineren Entscheidungen des Teams überzeugen, etwa die neue Sektion „Cinema“, wo 27 Videos auf einer großen Leinwand zu sehen sind, oder das Schwerpunktland Bulgarien, das mit Werken von 56 KünstlerInnen auftritt. Interessant ist auch die Idee von Messeführungen, die von den KünstlerInnen der Sektion Zone 1 angeboten werden, des Bereichs für junge Einzelpositionen. Mit diesem Neustart könnte es der Vienna Contemporary tatsächlich gelingen, zur „wichtigsten Messe zeitgenössischer Kunst im CEE-Raum zu werden,“ wie es Messebesitzer Dimitry Aksenov anvisiert. Die Basis dafür ist jedenfalls gelegt, und die Verträge mit der Marxhalle für die nächsten Jahre sind auch bereits unterschrieben.

Vienna Contemporary, Markhalle, Karl-Farkas-Gasse 19, 24.-27.9.2015

veröffentlicht in: Die Presse, 24.9.2015

Nachtrag: 27.752 Besucher kamen zur 1. VC