10. Istanbul Biennale 2007

17. Sep. 2007 in Biennalen

10.Istanbul Biennale 2007 (8.9.-4.10.2007)

Antrepo, 10. Istanbul Biennale. Foto: Serkan Taycan

Zusammen mit Venedig, Sao Paulo und Sydney gehört die 1987 gegründete Istanbul Biennale zu den ältesten und interessantesten dieser zweijährlichen Ausstellungen. Als Schwelle zwischen Europa und Asien, als Ort eines kulturübergreifenden Dialogs begriffen, steht die Stadt mit ihrer dreitausendjährigen Geschichte immer wieder als Thema im Mittelpunkt der Ausstellungen. Der diesjährige Leiter, Hou Hanru, platziert diese 10. Istanbul Biennale jetzt in einen größeren Kontext: „It´s not only possible, but also necessary – optimism in the age of global war“.

Damit steht absolut alles zur Debatte. Ursprünglich folgte die Auswahl der Ausstellungsräume dem Motto ´zeitgenössische Kunst in historischen Orten´. Hanru allerdings meidet – wie bereits das Team 2005 – die verführerischen Sehenswürdigkeiten und leitet uns in den Alltag. Im Atatürk Kültür Merkezi am Taksim Platz beginnt die Diskussion in einem Gebäude aus den 1930er Jahren konsequent mit Fragen zur Moderne, wird in einer Art shopping center für Textilien mit Werken zu Produktionsbedingungen und ökonomischen Entwicklungen weitergeführt und findet den lautstarken Höhepunkt in einer ehemaligen Fabrikhalle auf dem Antrepo-Gelände mit Werken zu Globalisierungschancen und –gefahren.

Was kann die Kunst zu solch umfassenden Themen beitragen? Zunächst einmal eindringliche Bilder, die auf der 10. Istanbul Biennale von Illusionsverlust erzählen, wenn Vahram Aghasyan (Armenien) ruinenhafte Wohnbauten der Moderne in Wasserfluten isoliert oder Markus Krottendorfer (Österreich) ein russisches Hotel zwischen Dokumentation und Narration fotografiert.

Vahram Aghasyan, Ghostcity

Dann erfahren wir in zahlreichen Dokumentationen und Recherchen Fakten und Schicksale im Zuge der Globalisierung, Chen Chien-Jen´s ursprünglich für die Liverpool Biennale produziertes, hier in Istanbul aber gleichermaßen überzeugendes Video eines fiktionalen, globalen  Werftarbeiteraufstand oder Lu Chunsheng´s ähnlich beeindruckendes Video „The History of Chemistry“. Abgesehen von den wenigen Höhepunkten dominieren an diesem Ausstellungsort allerdings die Niederlagen, denn viele Beitrage sind komplett unverständlich ob allzu vieler Information, sind katastrophal schlecht projiziert oder von derartig geringer ästhetischer Qualität wie Lordy Rodriguez´ Landkarten oder Sora Kim´s hilfloses ´Kreditbüro´, dass nur noch schnelles Weitergehen übrig bleibt.

AES+F

Völlig überwältigt werden wir dann im Antrepo No. 3. Sämtliche Videos scheinen auf höchste Lautstärke gedreht zu sein, vor allem Cao Feis Vorschlag einer neuen Stadt für ´Second Life´ und Fikret Atays Trommelwirbel über den Dächern Istanbuls. Offenbar will Hanru hier das hektische Metropolenleben in das Reich der Kunst holen und zeigt vorwiegend Werke voller Aggressivität, Hamra Abbas´ Kamasutra-Figuren mit Gewehren, Adel Abdessemed´s Skulpturen aus Messern, David Ter-Oganyns simulierte Zeitbomben oder AES+F´s Fotoinszenierungen von Mord- und Selbstmordszenen androgyner Teenager, die zur Zeit auch in der Galerie Knoll zu sehen sind. Dazwischen aber öffnet die 10. Istanbul Biennale immer wieder Auswege wie in dem meditativen Werke von Ken Lum´s „House of Realization“, Paul Chan´s Lichtprojektion oder Kan Xuan´s Video von Alltagsdingen, die ins Wasser fallen, schwarz-weiß projiziert und im begleitenden Sound Farben zugesprochen bekommen.

Fikret Atay

In dieser brachialen Kombination zwischen Besinnlichkeit und Überwältigung vermittelt diese 10.Istanbul Biennale den Eindruck, dass die Kunst vor allem nicht-westlicher Länder von einer enormen emotionalen Teilnahme am Weltgeschehen geprägt ist. Dominiert in den Geschäftslokalen eine Hilflosigkeit ob all der Weltprobleme im Kleinen und Großen, die die meisten KünstlerInnen offenbar nicht einmal ästhetisch bewältigen können, so entsteht im Antrepo das Gefühl einer suggestiven Energie und Veränderungskraft. Hier kommt auch am deutlichsten der ´Optimismus´ zum Zuge, symptomatischerweise in höchst subjektiver Ausrichtung: Völlig ermattet am Ende der Tour kann man sich im Halbgeschoß auf Sam Samore´s überdimensionales Bett niederlegen, das fast hypnotische Video anschauen, das uns ohne Handlungsfaden durch Assoziationen und Traumsequenzen leitet. Außen am Gebäude leuchtet dann am Abend der Schriftzug „I believe in angels“ von Yang Jiechang – hier also liegt der Ausweg aus dem globalen Krieg?

publiziert in: SPIKE, Sept./Okt. 2007