12. Lyon Biennale 2013

09. Nov. 2013 in Biennalen

Dan Cohen, Wanddurchblicke 12. Lyon Biennale

Dan Colen, Wanddurchblicke 12. Lyon Biennale

Lyon Biennale : Einen breiten Gürtel scheußlicher Betonburgen durchquert die Taxe auf dem Weg vom Flughafen ins Zentrum von Lyon. Armut und Arbeitslosigkeit scheinen hier zu herrschen. Aber der Eindruck täuscht. Der Fahrer hat offenbar ein besonders desolaten Weg gewählt. Tatsächlich gehört Lyon zu den prosperierenden Regionen Frankreichs. All die Industriebrachen aus der Zeit der Seidenverarbeitung werden seit kurzem mit Luxusapartments, Shoppingzentrum und Bürohochhäuser bebaut. Der südliche Zipfel der Rhone-Insel ist das neue Kreativzentrum – und genau hier findet auch die 12. Lyon Biennale statt.

La Sucriere mit der Wandmalerei von Paulo Nimer Pjota

La Sucriere mit der Wandmalerei von Paulo Nimer Pjota

In der ehemaligen Zuckerfabrik zeigt Kurator Gunnar B. Kvaran den Großteil der 77 KünstlerInnen dieser Lyon Biennale, sein Thema sind ´neue Narrationen´: Seit dem Aufkommen digitaler Medien verändern sich die Formen des Erzählens, so die These des norwegischen Museumsdirektors.

Gunnar B. Kvaran, Kurator 12. Lyon Biennale 2013

Gunnar B. Kvaran, Kurator 12. Lyon Biennale 2013

Dieses Thema ist spannend, beweist es doch einmal mehr das Ende der Moderne in der Kunst. Lange wurden jegliche Geschichten ausgeschlosssen, es korrespondierten nur die Formen und Farben untereinander. Die Pop Art suchte dann zwar die Nähe zum Alltag, aber nur über die Motive und Techniken, nicht über Narrationen. Mit den neuen Techniken findet die bildende Kunst offenbar zurück zum Erzählerischen und überschüttet uns gerade auf Biennalen mittlerweile mit Mengen an tragischen Schicksalen, ausladenden Fiktionen und akribisch Autobiographischem.

Plakat der 12. Lyon Biennale nach Motiven von Roe Ethridge

Plakat der 12. Lyon Biennale nach Motiven von Roe Ethridge

Aber Kvaran behauptet nicht nur den Fakt einer neuen Narration, sondern auch eine neue formale Sprache. Wohl wegen dieser Ausrichtung erspart er sich denn auch eine Meta-Erzählung – leider, um es vorwegzunehmen. Statt mit den Werken eine Geschichte zu konstruieren, bietet uns die Ausstellung nur eine vage Klammer an.

Dan Colen neben seiner Installation "Silhouette Wall Cuts", 2013

Dan Colen neben seiner Installation „Silhouette Wall Cuts“, 2013

Es beginnt in La Sucrière mit Dan Colens (1979, USA) plattgewalzten Comics neben einer 1:1 Nachbildung seines nackten Alter Egos – war er der Täter? Dahinter scheinen die Figuren in guter Walt Disney durch sämtliche Wände gerast zu sein – der Einbruch in die Welt der Kunst? Und es endet im Museum of Contemporary Art (MAC) mit Jeff Koons (1955, USA). Von Populärkultur zur Post-Pop Art.

Zwei lose Fäden, zwischen denen sich in insgesamt vier Orten unter dem Titel „Unterdessen …, plötzlich, und dann“ die vielen, kleinen Geschichten gegenseitig übertönen. Manche schaffen es, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln dank der technischen Perfektion wie Ming Wongs (1971, Singapur) Film „Me in Me“.

Ming Wong, Me in Me, 2013

Der Künstler spielt in drei Episoden eine Frau, einmal eine historische Rolle, dann eine moderne und eine futuristische. Vermischt sind die Szenen mit dem Making Off – ein facettenreiches Spiel mit Illusionen. Andere Werke überzeugen in ihrer Akribie wie die Vitrinen des „Bewußtseinsmuseum“ der Madein Company (ein Pseudonym, entstanden aus Made In China; Kollektiv, gegründet 2009 von Yu Zhen in China): Zehn Kung Fu-Grundübungen sind mit identischen Gesten aus den Weltreligionen kombiniert, eine Art spiritueller Abi Warburg-Katalog voller erstaunlicher Ähnlichkeiten.

Manche faszinieren in ihrer Vielschichtigkeit wie Karl Haendels (1976, USA) Installation, in der der US-amerikanische Künstler die Tragödie im Juli 2012 zur Premiere des Batman-Films in Colorado aufgreift: Ein mit legalen Waffen bewaffneter Mann hatte 12 Menschen getötet, weitere 58 verletzt. Befragt über sein Motiv, erklärte er sich selbst zu ´Joker´, Batmans Gegenspieler in der Welt der Comics. Haendel sucht Verbindungen der Bluttat und der Populärkultur, stellt Gewalt und Gerechtigkeit, Rache und Recht, Sicherheit und Terror nebeneinander.

Manches allerdings enttäuscht auch sehr wie Fabrice Hybers (1961, Frankreich) enorm aufwendige, aber absolut banale Konstruktion unter dem großspurigen Titel „Prototype of Paradise“: Ein mit Holz umbauter Raum, zu dem man den Schlüssel finden muss, um dann im Inneren voller Enttäuschung …. schnell zu entfliehen.

Auffallend viele vor allem junge KünstlerInnen stammen aus Berlin und dank des Budgets von 8.8 Mio. Euro konnten 80% der Werke für die Biennale produziert werden – was nicht immer ein Glücksfall ist. Bisweilen hätte der Kurator besser eine Qualitäts- und Quantitätskontrolle eingebaut wie in Ed Fornieles´ (1983, England) kitschig-überfrachteter Installation „Maybe New Friends“

Ed Fornieles, Maybe New Friends (Britney Rivers), 2013

oder Neil Beloufas (1985, Frankreich) Technik-Anhäufung – solche Werke ermüden nur Hirn und Augen und tragen dazu bei, La Suciere als viel zu überladen zu erleben.

Neil Beloufa, Superlatives and Resolutions, 2013

Der Teil im MAC dagegen ist kuratorisch und auch qualitativ überzeugend – offensichtich sind Kvaran Museumsräume vertrauter. Aber auch hier sind es nur wenige Werke, die in Erinnerung bleiben: Robert Gobers (1954, USA) wunderbare, frühe Häuser, gebastelt in den 1970er Jahren, die mit zahllosen Details autobiographisch angelegt sind, ein „Haus als Symbol“, wie es der Künstler benennt.

Robert Gober, Series of works 1978-1980

Ähnlich verdichtet ist auch Matthew Barneys (1967, USA) Werk angelegt, das zugleich kryptisch und ausladend von einer Schiffsreise erzählt.

Matthew Barney

Weniger über die Menge der Objekte als über die Kraft der Anspielungen beeindruckt Lili Reynaud-Dewar (1975, Frankreich) mit ihren „oblique perspectives that relate her position as an artist to the emblematic figures involved in the fight for racial equality and the assertion of identity“ (Kat.).

Lili Reynaud-Dewar, I´m Intact and I Don´t Care, 2013

Auffallend viele der ausgestellten Objekte, Skulpturen, Installationen und Filme basieren auf einer Methode,  die einer XL-Collage gleicht: Mengen von Materialien werden zusammengebracht, die dann über Assoziationen und Anspielungen eine Geschichte ergeben sollen wie in Laura Prouvosts (1978, Frankreich) Objekt-intensiven Installation „Before Before“ und „After After“: Anhalts- und Ausgangspunkt ist Kafkas Erzählung „Metamorphosis“.

Blitzlicht-Blick in Laura Prouvosts stockdunkle, nur kurz schlaglichtartig erhellte Installation „After After“

Prouvost, die heuer als erster nicht-britischer Künstler den renomierten Turner Prize gewann, hält sich kaum an die Geschichte, sondern inszeniert eine eigene Welt, in der Alltagsobjekte lauter kleine Metamorphosen durchmachen, die aber im Einzelnen kaum nachzuvollziehen sind. „Before Before“ findet im Hellen, „After After“ im Dunklen statt – kryptisch ist beides, aber auch faszinierend ob der Menge und der möglichen Bezüge zwischen allem und jedem.

Dineo Seshee Bopape (1981, Südafrika), But That Is Not The Important Part Of The Story, 2013

 

Helen Marten (1985, England), Mad Particles, 2012

 

Helen Marten, Detail

In den meisten Werken dieser Biennale ist kein stringenter Handlungs- oder Erzählfaden zu finden. Oft ist nicht einmal deutlich, ob diese fragmentarische Struktur bewußt oder dynamisch geschah. Die losen Fäden erzeugen Bildwelten mit so vielen Enden, das alles ineinander verknäult, alles einbezogen, nichts aber hervorgehoben ist. Ist dieser geballte Assoziations- und Materialreichtum eine Sinnarmut oder -überflutung? Ist dies vielleicht die ´neue Form des Erzählens´, das Ergebnis der neuen Medien im Reich der Geschichten? Kvaran lässt diese Frage offen. Aber er greift diese Überflutung als kuratorisches Prinzip auf – insofern ist diese 12. Lyon Biennale trotz der durchmischten Qualitäten, überbordenden Installationen und minimalen Strukturierung durchaus stringent – auch wenn man mit dem Überzeugung diese Biennale verlässt, dass dieses Format einer Großveranstaltung der falsche Platz für solche Aufmerksamkeits-intensiven Installationen ist.

12. Lyon Biennale, 12.9.2013-5.1.2014

Mary Sibande (1982, Südafrika), Succession of Three Ages, 2013

 

Saint Just Church

 

Tom Sachs (1966, USA), Barbie Slave Ship in Saint-Just Church

Tom Sachs (die letzten Frauennamen auf der Tafel aufschreibend)

 

 

Zhang Ding (1980, China), Control Club, 2013, im Chaufferie d l´Antiquaille