13. Istanbul Biennale 2013: Mom, Am I Barbarian?

17. Sep. 2013 in Biennalen

Keine Pressekonferenz. Keine Eröffnungsfeier. Diese Kosten würden für die 13. Istanbul Biennale eingespart,  um heuer freien Eintritt für die Biennale zu ermöglichen, wird uns erklärt. Aber spielt da nicht auch die angespannte Lage in Istanbul hinein? Schließlich ist die Metropole am Bosperus seit der gewalttätigen Räumung des Gezi-Parks nicht mehr zur Ruhe gekommen. Jede Versammlung erregt Misstrauen. Denn immer wieder demonstrieren die Menschen gegen die Politik des Premiers Erdogan, der öffentlichen Raum mit Hotels, Luxusappartments und Einkaufszentren verbauen lässt.  Aber nicht nur gegen die Politik, auch gegen die Biennale regte sich bereits im Vorfeld Widerstand.

 

Denn die türkische Kuratorin Fulya Erdemci thematisiert in dieser 13. Istanbul Biennale den „öffentliche Raum als politisches Forum.“ Die Biennale wird zum Großteil vom Megakonzern Koc unterstützt, der auch Waffen produziert – was gerade bei diesem Thema paradox ist. Aber während der Proteste hatte sich die Koc Holding auf die Seite der Demonstranten gestellt, ihr Hotel zum Schutz geöffnet, was die Regierung gleich mit finanzbehördlichen Razzien in einigen Koc-Unternehmen beantwortete – woraufhin deren Aktien abstürzten. In Istanbul gerät offenbar alles zwischen alle Fronten.

Und das bekam die renommierte Kuratorin gleich mehrfach zu spüren. Ursprünglich sollte ein Teil der 13. Istanbul Bienale im Gezi Park, Taksim Platz und mehreren öffentlichen Gebäuden stattfinden. Aber spätesten seit den Protesten ist dieser Plan geplatzt. So zog Erdemci einen Monat vor Eröffnung die Notbremse und entschied sich für geschlossene, sichere Räume: Antrepo 3 unten am Bosperus, eine nahegelegene, ehemalige griechische Schule und die beiden privaten Räume Salt und Arter oben auf der bekannten Einkaufsstrasse Istiklal Cadessi. Damit wiederum wussten einige der eingeladenen KünstlerInnen nicht umzugehen, manche zogen ihre Beiträge zurück, andere mussten schnell neue Werke vorschlagen.

Fulya Erdemci während einer Führung

Fulya Erdemci während einer Führung

Die angespannte Situation trifft aber nicht nur die Kuratorin und die Künstler, sondern auch die Besucher während der Eröffnungstage. Abends gehen in Beyoglu Busse voller Polizisten in Stellung, Wasserwerfen stehen bereit. Auf der Einkaufsstrasse kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, die mit Tränengaseinsatz und Plastikgeschossen beantwortet werden –  was die in großer Zahl angereisten Journalisten, internationalen Kuratoren, Museumsleiter und Galeristen mehrfach verunsichert. Denn das Leben hat die Kunst längst eingeholt, Protest und Widerstand sind nicht nur Thema der Biennale, sondern finden längst auf der Strasse statt. Was kann da die Ausstellung hinzufügen? Wie kann der Titel „Mom, am I Barbarian?“ eingelöst werden?

 

Ayse Erkmen

Der Titel der 13. Istanbul Biennale ist ein Zitat der Dichterin Lale Müldür, das auf das ´barbarische´ Konzept der Reflexion des ´absolut Anderen´ hinweise, erklärte Erdemci während einer Führung. Künstlern komme darin die Rolle der Barbaren zu – im Gegensatz zu den zivilisierten Bürgern. Aber benötigt das explosive Istanbul heuer tatsächlich noch die Kunst als Destabilisator? Und kann das inszeniert werden, ohne dieses Potential zugleich zu zähmen? Dies jedenfalls ist der Kuratorin gelungen: Die Ausstellung in Antrepo 3 empfängt uns mit einer Kakophonie von Geräuschen aus Mengen von Videos. Überall wird geschrieen, geschossen, gehämmert und musiziert. Das chaotische Durcheinander legt sich über all die Beiträge, die Bilder von Hausabrissen zeigen, die von Regulierungen und von Widerstand handeln. 52 der 88 Künstler zeigen hier, darunter der fantastische Film „Wonderland“ von Halil Altindere: Drei jungen Roma-Rapper kämpfen mit ihrer Musik in einem unglaublich intensiven Actionfilm gegen den Abriss ihrer Siedlung, singen voller Wut gegen die Stadtpolitik an. Es ist keine Fiktion: Die Gruppe heißt Tahribad Isyan, das Viertel Sulukule. Altindere drehte den Film im Februar – noch vor den Gezi-Park-Protesten.

 

Taksim Square mit Gezi-Park

Taksim Square mit Gezi-Park

Immer wieder ist die aktuelle Situation Istanbuls in den Werken präsent. Das führt bisweilen zum Überdruss, hätte aber auch nicht ausgeblendet bleiben dürfen. Dieses Dilemma, zusammen mit der zwangsweisen Improvisation, wird hier von vielen westlichen Besuchern kritisiert. Eine junge türkische Kuratorin dagegen ist begeistert: Eine museale Ausstellung wie die 12.Edition 2011 wäre jetzt völlig unpassend, der Blick einzig auf künstlerische Qualität sei unangemessen – ebenso wie die Klassenkampfrhetorik der 11. Edition 2009. Gerade das Chaos und das Patchwork der verschiedenen Arbeiten aus verschiedenen Zeiten zusammen mit den vielen Protest-Beiträgen würden perfekt unserer Zeit widerspiegeln.

 

Christoph Schäfer, Booty Carrell // SBV

Christoph Schäfer, Booty Carrell // SBV

Tatsächliche schafft es Erdemci mit dieser Biennalen, die Kraft der Kunst gerade in spannungsgeladenen Situationen zu beweisen. In Beiträgen wie Altinderes Film, aber auch Christoph Schäfers Zeichnungen zur Neudefinition des urbanen Raums, Hector Zamoras Performance eines endlosen Mauerauf- und abbaus oder im grotesken Video von Mika Rottenberg, in dem lauter Frauen aufwändigst Nutzloses produzieren, erleben wir, wie die Kunst neue Wirklichkeiten schafft und Bestehendes mit ästhetischen Mitteln bekämpft. Nur eines schafft diese 13. Edition nicht: Die Gentrifizierung ist nicht aufzuhalten. Dieses ist die letzte Biennale im Gebäude unten am Hafen. Antrepo 3 ist verkauft. Hier wird ein Luxushotel entstehen.

13. Istanbul Biennale, September 2013, , 14.9.-20.10.2013

veröffentlicht: Die Presse, 14.9.2013

Peter Robinsons künstlerische Lösung der Raumbesetzung

 

 

Fernanda Ortega

 

Gonzalo Labrija