16. Architektur Biennale Venedig: Freiräume

14. Jun. 2018 in Biennalen

Österreich Pavillon, Sphäre 1:50.000, LAAC, Foto Martin Mischkulnig. 16. Architektur Biennale Venedig 2018

Österreich Pavillon, Sphäre 1:50.000, LAAC, Foto Martin Mischkulnig. 16. Architektur Biennale Venedig 2018

63 Länder nehmen an der 16. Architektur Biennale Venedig teil, dazu kommen noch 71 Architekturbüros in der zentralen Gruppenausstellung. Das große, von den Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara vorgegebene Thema lautet „Free Space“, was als „Feiräume“ übersetzt wird. Freiräume seien ein Zeichen einer „höheren Zivilisation des Lebens“, erklärte Biennale-Präsident Paolo Baratta dazu. Es sei ein Ausdruck von Großzügigkeit. Aber wie lässt sich das in Architektur-Ausstellungen umsetzen?

ISLAND,The British Pavilion. British Council, Foto Hélène Binet

ISLAND,The British Pavillon. British Council, Foto Hélène Binet

Nur mit viel Irritation, lautet die Antwort. Etwa im Britischen Pavillon: Die Menschen strömen hinein, gehen von einem Raum zum nächsten und können es kaum fassen: Absolut nichts ist ausgestellt. Der britische Pavillon ist leer. Haben die Kuratoren gestreikt, die Transporteure versagt? Neben dem Eingang führt eine brandneue, breite Treppe zum Dach hoch.

British Pavilion, Foto by Hélène Bine

British Pavilion, Foto by Hélène Bine

Oben erwartet uns eine herrliche Sonnenterrasse mit grandiosem Ausblick, ab 4 Uhr wird Tee serviert. Freiräume? Die Briten haben das zentrale Thema mit ihrem Beitrag offenbar etwas zu wörtlich genommen.
Dabei sind Freiräume ein spannendes Thema, ein hoch politisches Konzept und gerade in unserem überregulierten Europa eine beflügelnde Utopie, die von Überschreitungen, Abweichungen, Umgehungen träumen lässt, von Freiheit. Und es ist ein schwieriges Thema, das sich kaum in gebaute Wirklichkeiten übersetzen lässt. Da wundert es kaum, dass nicht nur die Briten diese Herausforderung etwas hilflos beantworten. Während hier die Räume leer bleiben, schaffen andere Länder dieser 16. Architektur Biennale Begegnungszonen als Freiräume oder präsentieren geradezu konträr eine Überfülle von recherchiertem Material: zu Unendlichen Räumen in Frankreich, zur Zukunft der Arbeit in Holland.

Pavillon Français,Encore Heureux. Foto Sophie Scher, 16. Architecture Biennale Venice 2018

Pavillon Français,Encore Heureux. Foto Sophie Scher, 16. Architecture Biennale Venice 2018

Eine große, blaue Arena füllt den Belgischen Pavillon als Begegnungszone, in Australien bilden lauter Topfpflanzen eine Art Steppe. Einen spannenden Weg findet der von Verena Konrad kuratierte Österreichische Pavillon.

Verena Konrad, Foto Martin Mischkulnig

Verena Konrad, Foto Martin Mischkulnig

Die Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts Vai lud die Architektenteams LAAC, Henke Schreieck und das Designbüro Sagmeister & Walsh ein, um Räume abseits funktionaler und ökonomischer Zwänge zu schaffen.

Henke Scheieck, Ausstellungsansicht Österreich Pavillon, Foto Martin Mischkulnig. 16. Architektur Biennale Venedig 2018

Henke Scheieck, Ausstellungsansicht Österreich Pavillon, Foto Martin Mischkulnig. 16. Architektur Biennale Venedig 2018

Mitten im Raum versperrt das riesige Holzgerüst von Henke Schreieck den Weg, lange Tücher blockieren den Blick in den Seitentrakt und der verspiegelte Boden von LAAC widerspricht vehement unserer gewohnten Raumerfahrung. Diese gekrümmte Fläche beginnt bereits außen, erobert den Innenraum und füllt den gesamten Hinterhof aus. „Sphäre 1:50.000“ betitelt das Büro LAAC die Fläche, die im exakten Maßstab von 1:50.000 zur Erde steht – eine unkonventionelle Begegnungszone.“Sie veranschaulicht einen Raum, in dem man sich sieht, wo man nicht ist und vergegenwärtigt jenen Ort, an dem man sich befindet. Sie krümmt, verzerrt, transloziert und ermöglicht einen maßstäblichen Sprung, einen Sprung in ein Außen, in ein Außerhalb des Gegebenen und Vorstellbaren“, erklären die Architekten dazu. „Layers of Atmosphere“ von Henke Schreieck dagegen richten mit dem Holzgerüst unseren Blick nach oben, laden dazu ein, auf eine Hocheben mit Weitblick zu klettern. Dort „taucht man über eine Brücke in den Lichtraum aus Papier, durch dessen Materialität und Durchwanderung auch Geräusche, Zeit und Bewegung hinzukommen“, wie es im Pressetext heißt. Und in den Seitenräumen stehen Sofas, um die auf die Decke projizierten Videos von Sagmeister & Walsh zu schauen. Die sind allerdings keineswegs für eine frei wählbare Perspektive konzipiert. Was von manchen Positionen wie ein spannendes, abstraktes Form- und Farbspiel erscheint, ist tatsächlich auf eine klare Betrachterperspektive angelegt und ist lediglich eine digital animierte Spielerei von bunten Perlen, die die Worte „Beauty“ und „Function“ zerfließen lassen. Wo hier die im Pressetext genannte „Frage nach dem ästhetischen Anspruch von Architektur und nach der Notwendigkeit des Schönen im Alltag“ zu finden ist, bleibt ungeklärt. Verführerisch auf den ersten Blick, banal auf den zweiten. Kuratorin Konrad spricht bei den Beiträgen des Pavillons von „Denkräumen“, die auch emotional erfahrbar sind und sich nicht konkurrenzieren, sondern in einer „Kultur der Kooperation“ im Austausch stehen.

The School of Athens, Neiheiser Argyros. Foto Ugo Carmeni. 16. Architecture Biennale 2018

The School of Athens, Neiheiser Argyros. Foto Ugo Carmeni. 16. Architecture Biennale 2018

Ganz anders legt es Griechenland an. Als „Schule von Athen“ ist der Pavillon in einen Klassenraum verwandelt, in dem winzige Modelle von Akademien an die Utopie offener, gemeinschaftlicher Orte zum Lernen erinnern. Die Finnen finden ihren Freiraum in Bibliotheken und im Schweizer Pavillon verirren wir uns in einem Labyrinth aus leeren, sterilen, weißen Innenräumen, die mal überdimensional groß, dann wieder irritierend klein sind. Und der Vatikan lässt innovative Kapellen von 10 Architekten bauen – grandios!

Norman Foster, 16. Architecture Biennale Venice 2018, Foto Alessandra Chemollo

Norman Foster, 16. Architecture Biennale Venice 2018, Foto Alessandra Chemollo

Schweizer Pavillion, Installation view of “Svizzera 240: House Tour” at the Swiss Pavilion at the 16th International Architecture Exhibition - La Biennale di Venezia, Photo: Wilson Wootton © Wilson Wootton, Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara

Schweizer Pavillion, Installation view of “Svizzera 240: House Tour” at the Swiss Pavilion at
the 16th International Architecture Exhibition – La Biennale di Venezia, Photo: Wilson Wootton © Wilson Wootton, Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara

Ein Spiel mit Proportionen – aber ist das ein Freiraum? Ganz offensichtlich ist „Free Space“ eine gut gemeinte, aber kaum einhaltbare thematische Vorgabe für diese 16. Architektur Biennale Venedig.

In kürzerer, editierter Form veröffentlicht in: Die Presse, 25.5.2018

Pavilion Emirates, 16. Architecture Biennale Venice 2018

Pavilion Emirates, 16. Architecture Biennale Venice 2018

Pavilion Australien, Rory Gardiner. 16. Architecture Biennale Venice 2018

Pavilion Australien, Rory Gardiner. 16. Architecture Biennale Venice 2018

No More Free Spaces, Pavillon Singapur, 16. Architektur Biennale Venedig 2018. Foto Singapore Pavilion

No More Free Spaces, Pavillon Singapur, 16. Architektur Biennale Venedig 2018. Foto Singapore Pavilion