16. Lyon Biennale – Till Fellrath im Gespräch

21. Sep. 2022 in Biennalen, Interview

Sam Baradouil & Till Fellrath. Foto: Blandine Soulage

Sam Baradouil & Till Fellrath. Foto: Blandine Soulage

Die 16. Lyon Biennale 2022 mit 88 zeitgenössischen und über 100 historischen Künstler:innen, kuratiert von Till Fellrath & Sam Bardaouil, steht unter dem Titel „Manifest der Fragilität„.
SBV: Wie seid ihr zu dem Begriff ´Fragilität´ als zentralem Wort eures Konzepts für die 16. Lyon Biennale gekommen?
Till Fellrath: Fragilität kam ein bisschen plötzlich. Wir wurden vor der Pandemie eingeladen, dann waren zwei Monate später die Grenzen zu. Wir konnten wir nicht einmal nach Lyon reisen. Wir haben dann die Biennale schnell um ein Jahr verschoben. Damals ist uns mit einem Schlag klar geworden, dass wir alle sehr fragil sind, auch die Welt sehr zerbrechlich ist – ein kleiner Virus brachte alles zum Stillstand. Viele Errungenschaften wie freies Reisen waren unmöglich. Dann kamen Umweltthemen, Genderrepräsentationsfragen und Kriege dazu. Immer wieder sprachen wir über Fragilität. Aber auch Fragen, was eine Sammlung ist, was man aufheben muss. Wie geht man mit der Vergänglichkeit von Kunst um?
SBV: Habt Ihr aus diesen Überlegungen heraus den Korridor mit historischen Werken als kuratorischen Beitrag in dem Hauptort der Biennale, der aufgelassenen Fagor-Fabrikhalle eingerichtet?
TF: Ja genau, die Werke stammen aus der Sammlung des Musée des Hospices civils in Lyon. Man sieht, dass die Bilder in vergangenen Jahrhunderten stark beschädigt und nur notdürftig geflickt wurden. Aber es sind wunderbare Gemälde, welche nun in einem völlig neuen Kontext gezeigt werden.
SBV: In den Fagor-Hallen erhält man bald den Eindruck, dass Fragilität zu morbiden, düsteren und auch apokalyptischen Werken führt – ist das intendiert?
TF: Ich glaube nicht, dass das überwiegt. Sicherlich, wir sind alle sterblich, das ist eine Realität. Wir müssen uns damit auseinandersetzten. Insofern schwingt wohl die Vulnerabilität von uns in vielen Werken mit. Das sehen wir jedoch positiv. Wir wollen, dass wir alle uns in den Beiträgen wiederfinden. Das vereint uns. Im Kollektiven steckt die Kraft, dazu gehört auch die Einsicht, dass wir uns mal zurücknehmen müssen. Darum sind viele Werke emotional und es dominiert ein Eindruck des Zerbrechlichen.
SBV: Kommt aus diesem Gemeinschaftsgedanken die Idee eines Manifests?
TF: Ja, unsere Idee ist, dass alle, das Team, die Künstler:innen, die Besucher:innen, daran teilhaben. Es ist ein kollektiver Ansatz. Wir haben viele Werke in Lyon produziert, von vielen Institutionen der Stadt Werke ausgeliehen.
SBV: Liegt darin ein Gegenentwurf zum Gemeinschaftskonzept der documenta fifteen?
TF: Unser Entwurf ist vielleicht umfassender als der der documenta. In Kassel ist es interessant zu sehen, welche Rolle Kunst in sozialen Kontexten spielen kann. Wir verstehen unseren Ansatz als Einladung an alle, sich in den Werken der Lyon Biennale zu finden und berührt zu sein. Es ist ein sinnlicherer Ansatz.