2. Triennale Brügge 2018

09. Jul. 2018 in Biennalen

Studio KCA, Der Brügge-Wal. Foto Jan D. Hondt, Courtesy Triennale Brügge

Studio KCA, Der Brügge-Wal. Foto Jan D. Hondt, Courtesy Triennale Brügge

Wien, Amsterdam und Dubrovnik haben eines gemeinsam: Sie werden von der elften Plage heimgesucht. Haben die Städte einmal die Auszeichnung als Weltkulturerbe erhalten, fallen Horden von Touristengruppen ein. Immer mehr europäische Städte suchen einen Ausweg aus dieser Entwicklung. Ausgerechnet das kleine, belgische Städtchen Brügge hat jetzt einen vorbildhaften Ausweg gefunden. Auch dort sind die engen Straßen der historischen Altstadt übervoll mit Menschen. Große Gruppen drängen sich in Kirchen, Kaffehäusern und Confiserien, blockieren Brücken und gondeln durch die Grachten. Dann wird es plötzlich still. Pünktlich um 18 Uhr sind die Straßen gespenstisch leer, die Lokale geschlossen. 5 Millionen Touristen stürmen jedes Jahr die mittelalterliche Altstadt von Brügge. Die knapp 120.000 Einwohner der belgischen Stadt dagegen meiden die Altstadt, hier leben nur mehr 22.000 Menschen.

Renato Nicolodi, Archeeron I. 2. Triennale Brügge // SBV

Renato Nicolodi, Archeeron I. 2. Triennale Brügge // SBV

Jetzt geht die Stadt das Thema behutsam an: Im Drei-Jahres-Rhythmus werden Künstler und Architekten zur Triennale Brügge eingeladen, um das Lebensgefühl in der Stadt zu verbessern. Die im öffentlichen Raum der Altstadt stattfindende Veranstaltung sei ein „Blick in die Zukunft“, erklärte der Bürgermeister Renaat Landuyt zur Eröffnung. Kurator Till-Holger Borchert nennt die drei wesentlichen Aspekte: Die Werke sollen als „Willkommensorte für ein Zusammenleben“ dienen, als „Motor für Stadterneuerung“ und „die Stadt zum Leben attraktiver machen“.

Peter van Driessche, Foto Iwan Baan, Triennale Brügge

Peter van Driessche, Foto Iwan Baan, Triennale Brügge

Solche konkreten Aufgaben sind mit herkömmlichen Skulpturen kaum zu lösen und so stammen von den insgesamt 14 Beiträgen 11 entweder von Architekten oder sind architekturähnlich angelegt. Da in der kleinen Altstadt nahezu kein Platz mehr frei ist und kaum eine Bebauung erlaubt wird, weichen viele auf das Wasser aus: Visionär entwarf die Architektengruppe Atelier4 aufeinander gestapelte Nanoapartment-Container, die ein Modell für die Zukunft sein könnten. Als Beispiel stellt Peter Van Driessche dazu einen meterhohen Turm ins Wasser, der allerdings maßstabsverkleinert und ohne notwendige Elemente wie Aufzüge oder Treppen, Leitungen oder Rohre auskommt. In den Prototyp-Apartments rundherum werden mögliche Raumanordnungen ausprobiert.

Floating School, Triennale Brügge // SBV

Kunle Adeyemi, Floating School, Triennale Brügge // SBV

Der bekannte nigerianische Architekt Kunlé Adeyemi präsentiert mit seinem NLE-Studio eine „Floating School“: eine offene Holzkonstruktion, in der lokale Schulklassen gastieren und im Sommer Arbeitskreise stattfinden – diese neue „Schule“ war schnell ausgebucht.

poln

Jaroslaw Kozakiewicz, Triennale Brügge // SBV

Der polnische Künstler Jaroslaw Kozakiewicz entwarf eine schmale Brücke mit weißen Segeln über eine Gracht und das belgische Architektenbüro ROTOR beschäftigte sich intensiv mit der Wollhandkrabbe, die aus China eingeschleppt wurde und sich invasiv über ganz Europa ausbreitet, dabei heimische Krabbenarten verdrängend.

OBBA, Foto Iwan Baan, Triennale Brügge

OBBA, Foto Iwan Baan, Triennale Brügge

In all diesen Beiträgen verschwimmen die Arbeitsbereiche von Architektur, was das südkoreanische Büro OBBA programmatisch in ihrem Namen mitträgt: Office for Beyond Boundaries Architecture. Ihr Beitrag ist eine hübsche Plattform im Wasser mit luftigen Wänden aus gespannten Seilen.

Selgascano. Foto Iwan Baan, Triennale Brugge

Selgascano. Foto Iwan Baan, Triennale Brugge

Einzig das spanische Architektenduo Selgascano pocht deutlich auf eine klare Abgrenzung: „Wir sind keine Künstler, wir sind Architekten. Wir lieben nicht die Freiheit, wir wollen Limits, Budgets, Vorgaben“, erklärten sie im Gespräch. Darum sei ihre farbenprächtige, schwimmende Plastikkonstruktion, die in einen knallgelben Außenbereich mündet, auch kein autonomes Objekt. Es ist „ein Schwimmbad mit Regenschutz“, die Leitern ins Wasser dürfen aber nur in den offiziellen Bademonaten Juli und August angehängt werden, betonen sie.

John Powers, Foto Iwan Baan, Triennale Brugge

John Powers, Foto Iwan Baan, Triennale Brugge

Andere Teilnehmer entschieden sich offenbar eher für einen landmark-Beitrag, wenn John Power seine Stahlskulptur in den Himmel ragen lässt. Die Assoziationshilfe, die Form sei an Schwanenhälse angelegt, trägt zwar keinerlei inhaltliche Ebene oder Verständnishilfe bei, taugt aber bestens als Selfie-Hintergrund. Noch beliebter für Fotografien ist der sehr plakative Beitrag des New Yorker StudioKCA: Sie sammelten Plastikmüll und formten daraus einen riesigen Wal, der jetzt als fröhliches Mahnmal gegen die Meeresverschmutzung aus einer Gracht zu springen scheint.

Studio KCA, Bruges Whale, Foto Jan D. Hondt, Triennale Brugge

Studio KCA, Bruges Whale, Foto Jan D. Hondt, Triennale Brugge

Ihr Beitrag zeigt vielleicht am deutlichsten, dass die Triennale Brügge gerade offenbar im Umbruch ist. Denn dieses Modell einer Veranstaltung zwischen Architektur und Kunst ist bisher keineswegs klar konzipiert – im Gegenteil: Das habe sich „organisch ergeben“, wie Kurator Michel Dewilde im Gespräch sagt. Und Borchert: „Architektur generiert weniger Schwellenängste“, die Stadt sei lange konservativ-denkmalorientiert ausgelegt gewesen und diese Beiträge „bieten den Bewohnern andere Erlebnismöglichkeiten.“ Warum sprechen sie nicht von einer Architektur Triennale? Darüber haben sie noch nicht nachgedacht, gibt das Kuratoren-Duo freimütig zu. Dabei ist die Antwort naheliegend: Mit dem Stichwort Kunst wird noch immer weitaus mehr Aufmerksamkeit generiert als mit Architektur, was auch die Besucherzahlen der berühmten Biennale Venedig beweisen: Während die Architektur 2017 zwar ein Besucherplus von 14 Prozent verbuchte, waren es doch nur 260.000. Zur Kunst Biennale 2018 dagegen kamen 617.000. Aber die Triennale Brügge will ja keine Besucherrekorde brechen, auch nicht wie die Berlin Biennale mit spektakulären Konzepten punkten, sondern im Gegenteil die Stadtbevölkerung ansprechen, ihnen die Stadt wiedergeben und Orte für ein neues, entplagtes Lebensgefühl schaffen – und das ist dieser 2. Triennale Brügge bestens gelungen.
Brügge, 5.5.-16.9.2018