32. Art Brussels 2014

28. Apr. 2014 in Kunstmesse

Immer mehr Ausstellungsräume, Galerien, Kunstmessen und vor allem Kunst – dieser Sektor der weltumfassenden Kreativwirtschaft wird zunehmend unübersichtlicher. Welche Kunstmesse ist wichtig, welche Kunst dort beachtenswert? Welche Kriterien können entwickelt werden angesichts der überwältigenden Quantität?

Monir Farmanfarmaian, Reflection Five, 2010. Spiegelmosaik. Copyright: © the artist; courtesy of Rose Issa Projects

Nur Qualität zählt, wird darauf gerne geantwortet. Adam Szymczyk, Leiter der kommenden documenta14 2017, erklärte neulich lapidar, Qualität sei „eine leere Kategorie“. Auf Kunstmessen wird diese Kategorie meist mit dem Vertrauen in die Galerie der Wahl gefüllt – und zunehmend mit Kuratoren. Diese Vermittler versprechen einen markanten Vorteil: Sie sind meist bestens informiert über die zeitgenössische Kunst, ohne sich dabei wie Galeristen mit Fragen nach Markttauglichkeit und Programmgrenzen einzuengen. Zudem liefern Kuratoren kluge Konzepte mit, wodurch die Verständnis-Schwelle gegenüber Unbekanntem leichter zu überwinden ist und eine theorie-orientierte Adelung einhergeht. Frischer Blick, eine thematisch orientierte Durchmischung, eine tiefere Auseinandersetzung – diese Rezeptur macht in Museen und Kunsthallen durchaus Sinn, da die Leitungen selten so viel reisen und recherchieren können wie die frei arbeitenden Vermittler. Auf Kunstmessen dagegen wird darüber vor allem die immer schmaler werdende Kluft zwischen Institutionen und Kommerz überbrückt.

Richard Deacon, Like a Baby, 2009. Copyright: © the artist; courtesy of New Art Centre

So hat heuer also auch die belgische Art Brussels in ihrer 32. Ausgabe auf diese Wunderwaffe gegen die große Unübersichtlichkeit und den ungebrochenen Kommerzgedanken gesetzt. Neben den Sektoren „Prime“ (Galerien mit etablierten Künstler, darunter auch vier Galerien aus Wien), „Young“ (Galerien mit junger Kunst, darunter auch „Raum mit Licht“ aus Wien), „First“ (erstmals teilnehmende, gesponserte Galerien) und „Solo“-Ständen lockt jetzt der Sektor „Curator´s View“: Sechs der 190 Galerien sind kuratiert. Was genau das hier heißt? Einmal ist der Galerist sein eigener Kurator, einmal ist es ein ehemaliger Künstler der Galerie, dann ein Berater, ein Galerieassistent und auch eine wohl tatsächlich nicht im allzu engen Nahverhältnis stehende Kuratorin.

Allan McCollum, The Dog from Pompei, 1992. Cast polymer-modified Hydrocal.
Copyright: Sorry We’re Closed

Mal steht ein Material im Zentrum (alles aus Gips von Hans Arp bis Franz West), dann ein allzu hoch angesetztes Thema („Landschaft als soziales System“) und eine Art Accrocharge, in die sich der Kurator gleich miteinreiht – dieser Sektor ist wohl noch verbesserungsfähig. Das kann Wien weitaus besser mit dem Format „curated by“, wo die Galerien unter einem gemeinsamen thematischen Schirm unabhängige Kuratoren in ihre Räume einladen – und das hoffentlich nicht dem Umbau von Departure zum Opfer fallen wird.

Carlos Garaicoa, Untitled, 2012. Copyright: © Habana Gallery

Aber auch wenn der Mehrwert ´Kurator´ auf der Art Brussels eher ein Bluff ist, kann diese Messe überzeugen. Ist die eine Halle eher den jungen Galerien vorgehalten, die andere fast ausschließlich für „Prime“, so gibt es doch eine erfrischende Durchmischung: Global Bekanntes, lokal Bedeutendes, von Galerien langjährig Betreutes und auch Überraschendes ist das Rezept dieser Messe, und das geht auf nahezu jedem Stand auf. Da stehen in einer Galerie wild Kisten und Stiefel herum – kein Aufbauchaos, sondern verblüffende Skulpturen aus Marmor und seltenen Steinen (Andreas Blank).

Andreas Blank, Monument 4, 2011. 35 x 27 x 13 cm, marble, basalt and Alabaster.Copyright: the artist and Galerie Christian Ehrentraut, Berlin

Gleich nebenan wieder Stiefel, diesmal aus Keramik (Rachel Labastie), später ein Billardtisch in Form eines Flügels (Céleste Boursier-Mougenot), eine goldene Sprechblase (Jürgen Drescher), aber auch eine wunderschöne, leise Leinwand, auf die ganz zart ein Pyjama aufgemalt ist (Helene Appel). Das Leben, der Alltag ist das zentrale Themen- und Formenreservoir eines erstaunlich großen Teils der ausgestellten Kunst. Und manchmal ist es auch die Mathematik wie bei dem marokkanischen Künstler Mounir Fatmi: Er legt Frederick Soddys Zeichnungen zur Geometrie, wo es um Berührungspunkte von Kreisen geht, über Kuss-Szenen aus dem Film „Casablanca“ – eine schöne Kombination von den Versuchen in Wissenschaft, Film und Leben, Distanzen zu begreifen! Und ein schönes Bild auf einer Kunstmesse, wo die Frage nach Kriterien vielleicht mit der Notwendigkeit unermüdlicher Versuche von Annäherungen beantwortet werden muss.

Mounir Fatmi, Casablanca Kissing, 2012. Copyright: © Mounir Fatmi & adn galería

veröffentlicht in: Die Presse, 27.4.2014

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