49. Biennale Venedig 2001

11. Jun. 2001 in Biennalen

49. Biennale Venedig – Der Meistersinger und die Mondlandung
29 Länder teilen sich das Giardinigelände. Hier sucht die Jury die Preisträger aus. Aber die Überraschungen und Entdeckungen finden sich woanders. Zur 49. Biennale Venedig mieten weitere 22 Länder über die Stadt verteilt prachtvolle Palazzi für ihre Ausstellungen an.
Im Gegensatz zu den Länderpavillons betritt man hier eine andere Welt. Es sind prachtvolle Häuser mit üppigen Treppenausgängen, reich verzierten Tapeten, historischen Deckenmalereien, mit Spiegeln, manchmal auch Möbelstücken und mit diesen lustvollen, bunten venezianischen Lustern. Wie reagieren die Künstler auf die starke Konkurrenz all dieser wunderbaren Details? Einige ignorieren ihren Umraum schlicht, andere greifen ganz direkt darauf zu. Suzann Victor läßt im Singapur-Pavillon einen riesigen weißen Kronleuchter von der Decke abstürzen und funktioniert vier weitere um in eine pausenlos pendelnde Bedrohung.
Michel Francois´ zeigt sein Video im prachtvollen Palazzo Franchetti: Flasche um Flasche zerbricht lautstark auf dem Boden – ein Geräusch, das in allen folgenden Räumen die bewundernde Betrachtung der Deckenbeleuchtungen begleitet.
Shu-Min Lin sucht den Blick von der Pracht des temporären Taiwanesischen Pavillons im Palazzo delle Prigioni mit seiner wunderbaren Aussicht kompromißlos auf den Fußboden zu lenken: Aus dem erhöhten Boden schauen uns Menschen an, furchterregende Hologramme, die wie Gefangene aus tiefer Ferne auszubrechen versuchen.
Häufiger noch versuchen die Künstler, die massive Konkurrenz der Räume schlicht auszublenden.
Aber nur wenigen gelingt dieser formale Griff auch als inhaltlich bedeutsame Setzung derartig bemerkenswert wie dem heimlichen Höhepunkt der Länderpavillons dieser 49. Biennale Venedig: Joao Penalva als Vertreter Portugals. Er deckt sämtliche Wände und damit permanent präsentierten Kunstwerke des Palazzo Vendramin ai Carmini mit unscheinbaren Tüchern ab, um sein Thema darauf zu plazieren: Richard Wagners „Meistersinger“. Eine Metapher für die Biennale? Penalva läßt die Frage unentschieden, denn seine Installation „R“ bezieht sich gleichermaßen auf Richard Wagner, der einst kurzzeitig in Venedig lebte, als auch auf das Prinzip Konkurrenzkampf bis hin zum Bild der Siegerpodeste.
Damit gehört Penalva zu den ganz ganz wenigen Künstlern, die dieses Jahr eine kritische Stimme erheben – zusammen mit dem beeindruckenden Beitrag von Yinka Shonibare in der afrikanischen Gruppenausstellung „Authentic/Ex-Centric“. „Vacation“ betitelt der in London geborene Shonibare seine kleine Familie, die in Astronautenanzügen mitten im exterritorialen Länderpavillon in Venedig gelandet ist. Diese Anzüge sind von unglaublicher Intensität. Die Farben und Muster erinnern an afrikanische Gewänder und ziehen gleichzeitig die Pracht und spielerische Leichtigkeit ihrer Umgebung in vielschichtiger Weise mitten in das Werk hinein. Die formale Nähe führt unerwartet suggestiv in das Thema der Kolonialisierung. Yinka Shonibares Mondlandung plaziert durch den kleinen Eingriff eines Kleidungswechsels eine andere kulturelle Identität in diesen kleinen intimen Raum, der schnell zum Stellvertreter der gesamten Biennale anwächst.

publiziert in: FAZ.net 11.6.2001