53. Biennale Venedig 2009: Palestine c/o Venice + ADACH

18. Jun. 2009 in Biennalen

Venedig 2009

Die 53. Biennale von Venedig: „Palestine c/o Venice“, die Vereinigten Arabischen Emirate und „ADACH. Platform for Venice“

Im Werbeparcours versteckt

Man kann es als eigentümliches Relikt aus vor-globalisierten Zeiten sehen – das Festhalten der Biennale von Venedig am System der Länderpavillons. Als obsoletes Ärgernis. Oder als unterhaltsames Gesellschaftsspiel, als Grand Prix der Kunstnationen. Doch das System birgt diplomatischen Sprengstoff. So findet im Campo S. Cosmo auf der venezianischen Insel Giudecca die – in zweifacher Hinsicht – wohl politischste Ausstellung der diesjährigen Biennale statt: „Palestine c/o Venice“, eines der sogenannten „collateral events“. Die Statuten der Biennale Venedig verbieten es nämlich, dass nicht-anerkannte Staaten nationale Pavillons behaupten – eine Regelung, die in Venedig auch für Katalonien, Wales und Tibet, Schottland und Kurdistan gilt. Daher also diese Behelfskonstruktion, denn Palästina ist ein besetztes Land, israelisch kontrolliertes Gebiet, seine Bewohner ein Volk ohne Staat, ohne Währung, ohne Pässe.

Jeder der sechs Beiträge hier ist eng mit dieser Situation verbunden. Ramallah Syndrom nennen Sandi Hilal und Alessandro Petti ihre Installation in einem stockdunklen, abgeschirmten Raum. 15 Kilometer nordwestlich von Jerusalem gelegen, hat sich Ramallah zum wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Zentrum Palästinas entwickelt – umgeben von 71 Barrieren und Straßentoren, Erdwällen und Straßenblockaden. Auch schließen in Folge der israelischen Strategie, die Palästinenser aus Jerusalem zu vertreiben, immer mehr palästinensische Betriebe in Jerusalem und siedeln sich in Ramallah an. Die „Halluzination von Normalität“ ist das Thema der Arbeit von Hilal und Petti, die Gleichzeitigkeit von realer Besatzung und imaginärer Freiheit. Die beiden Künstler veranstalteten Diskussionen, befragten Bewohner und lassen die Menschen jetzt in dem engen Raum zu Worte kommen: „Ihr braucht Jerusalem nicht, ihr habt Ramallah“, fasst die Stimme eines älteren Mannes den perfiden Tenor der Israelis zusammen; ein anderer erklärt die Stadt zu einer „Blase“, wieder andere betonen die nur hier möglichen Freiheiten eines modernen Lebens – „Wo sonst kannst du einen Freund haben?“ Das Werk ist so simpel wie eindrücklich, denn hier werden in einer Kombination aus inszenierter Atmosphäre und Worten zentrale Aspekte der israelischen Besatzungspolitik vermittelt.

Jawad Al Malhi

In den um diese Installation herum platzierten Werken wird es dann bildlicher: Emily Jacir hatte geplant, die Stationsnamen der Vaporetto-Linie 1 ins Arabische zu übersetzen, auf den entsprechenden Schildern anzubringen und so ein neues, weltpolitisches Kräfteverhältnis vorzuschlagen – was zwar von der venezianischen Stadtverwaltung begrüßt, von den Verkehrsbetrieben aber leider abgelehnt wurde. So muss man sich nun mit Fotomontagen begnügen. Der junge Shadi Habib Allah zeigt in seinem animierten Video ein Gewimmel von kleinen Menschengestalten bei fleißigen Alltagstätigkeiten, offenbar ein neutrales „Sein“ präsentierend. Das Shufhat Refugee Camp in Jerusalem ist Thema und Bildmotiv von Jawad Al Malhi, dessen Panorama-Fotografie die klaustrophobische Enge zeigt, in der die Häuser nur in die Höhe gebaut werden können, für jede Generation ein neues Stockwerk. Der konzeptuell und visuell überzeugendste, zugleich außerordentlich poetische und hoch politische Beitrag kommt von Taysir Batniji: Er spitzte fünf Tage lang Bleistifte an und bedeckt mit den Kringeln den Boden einer Box, an deren Stirnwand die Fotografie seines Ateliers hängt. Der Künstler kann aufgrund der Isolierung des Gaza-Streifens durch die Israelis seit 2006 nicht mehr in sein Atelier zurückkehren und vollzieht mit seiner Performance diesen symbolischen Akt einer Zeichnung, die nie zustande kommen kann.

Taysir Batniji

 

Riwaq Biennale, Postkarten, Biennale Venedig 2009

Als Gegenmodell zur Biennale von Venedig präsentiert sich hier auch Khalil Rabahs Projekt der 3. Riwaq Biennale, die seit dem 3. Juni bis zum 16. Oktober in über 50 palästinensischen Dörfern stattfindet. Die Intention dieser Biennale, die mit ortsspezifischen Beiträgen in historischen Gebäuden aufwartet, besteht darin, „das isolierte, ummauerte Palästina wieder an die internationale Kunstwelt anzuschließen“. Es ist weniger als globales Ereignis, sondern als lokale Ausstellung konzipiert, die zu den Menschen kommt. Im Pavillon in Venedig können die Besucher Postkarten von Fotografien der Veranstaltungsorte mitnehmen und in die Welt schicken, eine Tafel erklärt das Konzept der Riwaq Biennale, die bezeichnenderweise von einem Künstler organisiert wird.

Pressekonferenz mit Catherine David

Mit „Palestine c/o Venice“ zeigt die Kuratorin Salwa Mikdadi, wie viel politisches Potenzial die Kunst entwickeln kann, wenn in kraftvollen Bildern und nachhaltigen Aktionen auf die Lebensbedingungen eines Volkes aufmerksam gemacht wird. Wie konträr dagegen präsentieren sich die Vereinigten Emirate! Ebenfalls ein Neuling in Venedig, meint man hier in einen mittelmäßigen Marketing-Auftritt geraten zu sein. Zunächst die verwirrende Zweiteilung in einen „UAE National Pavilion“ im Arsenale und einer „ADACH Plattform“ (Abu Dhabi Authority for Culture and Heritage) gegenüber im Arsenale Novissimo – Thetis. Für beide Veranstaltungen wurden internationale Kuratoren eingekauft – was sich als gravierender Fehler erwiesen hat. Denn weder Catherine David (ADACH) noch Tirdad Zolghadr (National Pavilion) finden eine Lösung für ihr Dilemma, sich von dem Auftraggeber offenbar gleichzeitig distanzieren zu wollen und ihm dienen zu müssen. In einem viel zu überladenen Konzept sucht der Schweizer Kurator noch dazu, das Format Biennale gleich mit zu kritisieren, indem er die Pressekonferenz als Performance inszenierte. Zudem lässt er die spannenden Fotografien der jungenLamya Gargash von Ein-Sterne-Hotels im Luxusparadies Dubai unnötigerweise gegen Architekturmodelle der Region antreten, mischt wie Hintergrundmusik in diesem Zusammenhang viel zu Kleinformatiges von Hassan Sharif, Tarek El Ghoussein und Huda Saed Saif dahinter und legt noch eine Audio-Tour darüber. So greift Tarek El Ghousseins Selbstportrait-Reihe sämtliche Klischees über den prototypischen Terroristen auf, wenn er sich etwa als maskierter Mann einem Flugzeug nähert, während Huda Saed Saif seine kritische Dokumentation über einen Steinbruch in den Bergen von Sharjah zeigt. Zolghadr wollte der „Versuchung des Raumes“ widerstehen, lesen wir auf einem großen Schild – stattdessen ist diese Ausstellung thematisch zergliedert bis zur Auflösung.

National Pavillon

Eine kleine Retrospektive des 1951 in Dubai geborenen und lebenden Hassan Sharif versteckt sich auch im ADACH-Auftritt.

Hassan Sharif

Aber wahrscheinlich hat kaum jemand diese von Arte Povera bis Land Art beeinflussten, konzeptuellen Skulpturen aus Kaffeebechern und Löffeln, Seilenden und Wäscheklammern gesehen. Oder seine Pappskulpturen, eine Malerei mit anderen Mitteln. Denn zunächst musste der Parcours durch auf Wandgröße aufgeblasene Wüsten- und Werbe-Aufnahmen durchlaufen, dann eine Schlangenlinie durch Videos mit historischen und aktuellen Impressionen bewältigt werden, um irgendwo über die Treppe eine Lounge zu erreichen und hinten in der Ecke die Kunst zu finden. Hat jemand Mohammed Kazems im besten Sinne merkwürdigen Fotografien gesehen, die zeigen, wie Kazem mit seiner Zunge allerlei Gegenstände berührt? Oder die Dubai-Künstlerin Ebtisam Abdul Aziz zwischen all den Videos entdeckt? In einem hautengen Ganzkörper-Kostüm mit Zahlen darauf wird sie in einem Netz über den Boden gezogen, eine Performance aus ihrer Serie „Autobiography“ – mutig, irritierend, metaphorisch, wenn sie sich ihr Leben als Abfolge belangloser Zahlen auf den Leib schreibt und damit im öffentlichen Raum auftritt. Aber die französische Kuratorin wollte hier offensichtlich keine Kunst zeigen, sondern nach eigener Aussage eine „atemberaubende urbane Entwicklung …, die einen ganz neuen Lifestyle hervorbringt.“ Aber taugt das als kuratorische These? Als Klammer für eine Gruppenausstellung? Braucht es dafür einen Biennale-Auftritt?

Veröffentlicht in: www.artnet.de, 18. Juni 2009

http://www.artnet.de/content/DesktopModules/PackFlashPublish/ArticleDetail/ArticleDetailPrint.aspx?ArticleID=834&Template=Article_Print.ascx&siteID=0

http://www.artnet.de/magazine/die-53-biennale-von-venedig-palestine-co-venice-die-vereinigten-arabischen-emirate-und-adach-platform-for-venice/