58. La Biennale di Venezia 2019: kleine Bildtour

07. Jun. 2019 in Biennalen

Marko Peljhan, Here we go again ... System 317. 58. La Biennale di Venezia, Slowenien Pavillon

Marko Peljhan, Here we go again … System 317. 58. La Biennale di Venezia, Slowenien Pavillon

Biennalen sind Trendsetter für gesellschaftsrelevante Themen, die in der Kunst verhandelt werden. Indignität, nicht-humane Lebensformen, Queerness, Gesellschaftswandel – das sind die vorherrschenden Stichworte, die in den Pavillons von Brasilien, Kanada, Finnland, Pakistan, Nordic dominieren. Marko Peljhan dagegen greift im Pavillon Slowenien eine brandaktuelle, militärische Entwicklung auf. Zentrales Werk in  „Here we go again… System 317“ ist die futuristische Skulptur eines Hyper-Vision-Schiffs, eine „hypersonische Technologie“. Die Militärmächte Russland, China und USA entwickeln im Wettstreit miteinander eine hypersonische Massenvernichtungswaffe, die mit mit der Fluggeschwindigkeit von 6115 km/h schneller als der Schall fliegt . Die Flugrichtung dieser Überschallrakete kann mitten im Flug verändert werden, weswegen das angesteuerte Ziel bis zum Aufprall geheim bleiben kann. Peljhan hat aus dieser Rakete ein blau leuchtendes Modell für ein Hyperschall-Raumschiff entwickelt, mit dem wir die Erde verlassen können. Das Raumschiff allerdings hat kein Ziel. Der Zusatz „System 317“ im Titel referiert auf Welimir Chlebnikows Codierung der Erd-Perioden. Chlebnikow (1885-1922), der zur russischen Futuristengruppe Gileas gehörte, sah sich als Vorsitzender der Erdkugel und praktizierte seine „Schicksalswissenschaft“ zwischen Poesie und Mathematik.

Marko Peljahn, Here we go again... System 317. Pavillon Slowenien, 58. La Biennale di Venezia, 2019

Marko Peljahn, Here we go again… System 317. Pavillon Slowenien, 58. La Biennale di Venezia, 2019

Courtesy of the National Gallery of Canada and Isuma Distribution International Photo: Francesco Barasciutti

Courtesy of the National Gallery of Canada and Isuma Distribution International
Photo: Francesco Barasciutti

Für den Kampf der Indigen um ihre Rechte entschied sich Kanada, die für den Pavillon in den Giardini das 1990 zur Bewahrung der Inuit-Sprache und -Geschichte gegründete Inuit-Kollektiv Isuma einluden. Der Begriff kann lose mit „den Zustand der Nachdenklichkeit fördern“ übersetzt werden. In Venedig zeigen sie ihren dokumentarischen Film „One day in the life of Noah Piugattuk“, von Landraub und Ausbeutung von Bodenschätzen auf dem Land der Inuit handelt. Neben dem Film läuft ein Livestream: In der Nähe von Igloolik soll der Bergbau auf 30 Millionen pro Jahr erhöht werden, wogegen sich die Inuit wehren. Die Bodenschätze sollen über eine neue Bahnstrecke quer durch das Land zu Supertankern gebracht werden, die dann durch Walrossgebiete fahren.

Isuma, 2019. Installation view at the Canada Pavilion for the 58th International Art Exhibition - la Biennale di Venezia, May 2019. Foto Francesco Barasciutti

Isuma, 2019. Installation view at the Canada Pavilion for the 58th International Art Exhibition – la Biennale di Venezia, May 2019. Foto Francesco Barasciutti

The Miracle Workers Collective, A Greater Miracle of Perception, 2019. Produced by Frame Contemporary Art Finland for the 58. Biennale di Venezia. Images Ugo Carmeni, Courtesy of the artists

The Miracle Workers Collective, A Greater Miracle of Perception, 2019. Produced by Frame Contemporary Art Finland for the 58. Biennale di Venezia. Images Ugo Carmeni, Courtesy of the artists

Auch Finnland thematisiert Indigenität und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Die große Gruppe von Filmerinnen, Aktivistinnen, Künstlerinnen und Kurtorinnen zeigen Werke rund um das Leben der Sami, etwa den Konflikt um den Grenzfluss Tana (Deatnu auf Samisch) zwischen Finnland und Norwegen, der als Lachsfanggebiet bekannt ist. Bisher durften die Sami über die Nutzung des Flusses zumindest mitbestimmen, jetzt schränkt eine finnische Regelung den Zugang ein und vergibt neue Fangrechte. Von den Ufern des Flusses stammen die Äste, die als „Wanderstöcke“ den Pavillon flankieren. Im Pavillon stehen Torfblöcke, bedeckt mit Moos, das als Grundnahrung der Rentiere dient – dessen Ernte in Schweden verboten ist.

The Miracle Workers Collective, A Greater Miracle of Perception, 2019. Produced by Frame Contemporary Art Finland for the 58th International Art Exhibition – La Biennale di Venezia. Images Ugo Carmeni, Courtesy of the artists

The Miracle Workers Collective, A Greater Miracle of Perception, 2019. Produced by Frame Contemporary Art Finland for the 58th International Art Exhibition – La Biennale di Venezia. Images Ugo Carmeni, Courtesy of the artists

Brasilien Pavillon, 2018 © Riccardo Tosetto / Fundação Bienal de São Paulo

Brasilien Pavillon, 2018 © Riccardo Tosetto / Fundação Bienal de São Paulo

Ein weiteres, noch immer brandaktuelles Thema von Biennalen ist Queerness: Für Brasilien hat das Künstlerduo Bárbara Wagner und Benjamin de Burca (Brasilien, 1980; München, 1975) in einer 2-Kanal-Videoinstallation und dazu Fotoportraits eine 15köpfigen, aus schwarzen TänzerInnen bestehende Tanzgruppe dokumentiert. Queerness, aber auch die meist ärmlichen Lebensverhältnisse der Tänzer, geraten langsam als subtiler Subtext in den Blick und lassen auch den Titel verständlich werden: Der Neologismus „Swinguerra“ enthält eine Anspielung auf ´Krieg´. Ihren Beitrag versteht das Duo als Statement gegen die neue rechtspopulistische Regierung Brasiliens, deren Präsident offen gegen Minderheiten, insbesondere gegen Queerness hetzt.

58. La Biennale di Venezia, Brasilien: Bárbara Wagner und Benjamin de Burca, Swinguerra, 2019

58. La Biennale di Venezia, Brasilien: Bárbara Wagner und Benjamin de Burca, Swinguerra, 2019

Artist Naiza Khan, curator Zahra Khan. Foto Carlotta Cardana, 2019

Artist Naiza Khan, curator Zahra Khan. Foto Carlotta Cardana, 2019

Erstmals nimmt Pakistan mit einem offiziellen Länderpavillon teil, wofür ein Raum wenige Minuten vom Arsenale angemietet wurde. Finanziert von der Foundation Art Divvy, zeigt Kuratorin Zahra Khan die – nur namensverwandte – Künstlerin Naiza Khan, die seit gut zwei Jahrzehnten die 2.5 Quadratkilometer kleine Insel Manora mit künstlerischen Mitteln erkundet, darunter die Bronzen von historischen Städteplänen. Alles andere als ein nobler Ort, ist Manora dank der langen Strände ein Touristenziel für Tagesausflüge der lokalen Bevölkerung aus Karachi. „Manora Field Notes ist in gewisser Weise eine Hommage an Manora Island und den Hafen von Karachi. Gleichzeitig lädt die Ausstellung zu Fragen ein über Arbeit und Produktion, Optik und Sicherheit sowie Einschränkungen zwischen alter und neuer Infrastruktur“, schreibt die Künstlerin.

Pavilion of Pakistan, Naiza Khan. Foto Riccardo Tosetto, 2019

Pavilion of Pakistan, Naiza Khan. Foto Riccardo Tosetto, 2019

Piia Oksanen, Ingela Ihrman, Janne Nabb, Maria Teeri, Ane Graff, Leevi Haapala Venice, 2018. Foto:
Kansallisgalleria | Pirje Mykkänen
Finnish National Gallery | Pirje Mykkänen Mykkänen

Piia Oksanen, Ingela Ihrman, Janne Nabb, Maria Teeri, Ane Graff, Leevi Haapala
Venice, 2018. Foto:
Kansallisgalleria | Pirje Mykkänen
Finnish National Gallery

Leevi Haapala, Direktor des Museums Kiasma in Helsinki, und Museumskuratorin Piia Oksanen stellen im Nordischen Pavillon unter dem Titel „Weather Report – Forecasting Future“ die Beziehungen zwischen Natur, Menschen und anderen Lebensformen zur Debatte – bzw. die Herausforderungen, unsere Zukunft vorherzusagen. In seiner Eröffnungsrede sprach Haapala von der beginnenden „post-anthropozentrischen Epoche“, die von Wissenschaftlern und Künstlern in den Blick gerückt werde. Für den Pavillon luden sie daher KünstlerInnen ein, die interdisziplinär arbeiten (Nabbteeri, Ane Graff, Ingela Ihrman). Grundlage aller drei Beiträge ist die Gleichwertigkeit von menschlichen und anderen Lebensformen, ihre Vorhersage ist eher ein Wunsch: ein friedliches Zusammenkommen aller.

Ane Graff, STATES OF INFLAMMATION, 
2019. Glass cabinet in Fuchsia glass, Glass cabinet in Lavender glass. Foto Finnish National Gallery | Pirje Mykkänen

Ane Graff, STATES OF INFLAMMATION, 
2019. Glass cabinet in Fuchsia glass, Glass cabinet in Lavender glass. Foto Finnish National Gallery | Pirje Mykkänen

Ane Graff, Ingela Ihrman, STATES OF INFLAMMATION, 2019, A Great Seaweed Day, 2018-2019. Foto Finnish National Gallery | Pirje Mykkänen

Ane Graff, Ingela Ihrman, STATES OF INFLAMMATION, 2019, A Great Seaweed Day, 2018-2019. Foto Finnish National Gallery | Pirje Mykkänen

nabbteeri, Ethnographies of a homespun spinelessness cult and other neighbourly relations, 2019, Gingerbread house 

nabbteeri, Ethnographies of a homespun spinelessness cult and other neighbourly relations, 2019, Gingerbread house

Inci Eviner, We, Elsewhere, Pavilion of Turkey, 58. La Biennale di Venezia. Photo Poyraz Tütüncü, 2019

Inci Eviner, We, Elsewhere, Pavilion of Turkey, 58. La Biennale di Venezia. Photo Poyraz Tütüncü, 2019

Ausgangspunkt von Inci Eviners Beitrag „We, elsewhere“ für den Pavillon der Türkei ist Hannah Arendts Publikation „We Refugees“. Erschienen erstmals 1943, erzählt Arendt die Lebensgeschichte von Herrn Cohn, der sich als Flüchtling zu assimilieren versucht und daran scheitert, dass er seine Sprache und seinen Alltag verliert. Eviner greift diese Erzählung in ihrer großen Raumskulptur mit 10 Videoprojektionen auf. „Es scheint als würden manche Menschen ihren Geist suchen, ihre unterdrückten Gefühle und Gesten, ihre unvollendeten Geschichten“, schreibt die Künstlerin zu ihrem Beitrag. Die Figuren vereint, dass sie etwas Verlorenes, Fehlendes suchen. Über allem liegt aus 23 Lautsprechern ein eindringlicher Sound.

Inci Eviner, Pavilion of Turkey installation view. Photo by Poyraz Tütüncü, 2019

Inci Eviner, Pavilion of Turkey installation view. Photo by Poyraz Tütüncü, 2019

Pablo Vargas Lugo, Acts of God, 58. La Biennale di Venezia, 2019

Pablo Vargas Lugo, Acts of God, 58. La Biennale di Venezia, 2019

Für den Pavillon von Mexiko hat Pablo Vargas Lugo einen humorvollen Beitrag geschaffen. Er lässt in seinem Film „Acts of God“ Schlüsselszenen aus dem Neuen Testament, aus dem Leben von Jesus Christus nachspielen. Handlungsort ist die Chihuahuan Wüste in Cuatro Cienegas im Norden Mexikos. Lugo wählte es aus, da es in dieser extrem nährstoffarmen Gegend mikrobakterielle Lebensformen gibt, die man als Analogon der frühen Erde in jede vorstellbare Mythologie zurückdatieren könne – und zugleich sei es heute ein enorm bedrohtes Eco-System, erklärte er im Gespräch. In dieses Szenario versetzt er die heilstheologische Erzählung als nicht-lineare Abfolge von Schlüsselszenen aus dem Leben in bisweilen grotesker bis kabarettistischer Weise.

Pablo Vargas Lugo, Acts of God, 58. Biennale di Venezia 2019

Pablo Vargas Lugo, Acts of God, 58. Biennale di Venezia 2019

Lynette Yiadom-Boakye. The Ghana Pavilion, curated by Nana Oforiatta Ayim and designed by David Adjaye, at the 58th Biennale di Venezia. Venice Biennale. Venice, Italy. Photograph by David Levene 6/5/19

Lynette Yiadom-Boakye. 58. Biennale di Venezia. Foto David Levene, 2019

Bei ihrem Debut in Venedig zeigt der westafrikanische Staat Ghana in dem Pavillon in Arsenale eine „Balance verschiedener Generationen, Geschlechter und Künstler, die in Ghana, aber auch in der Diaspora verwurzelt sind“, wie Kuratorin Nana Oforiatta Ayim erklärte: Felicia Abban, Ghanas erste, heute in New York lebende, professionelle Fotografin, zeigt eine Auswahl ihrer Selbst- und Frauenportraits, die kontrastiert sind mit Lynette Yiadom Portrait-Malerei. John Akomfrah drehte für Venedig „The Elephant in the room – four nocturnes“: Erinnerung an verschiedene Massaker, der von Deutschen begangene Genozid an dem Volk der Herero 1904 bis 1908 bis zur Massenschlachterei von Elefanten. Selasi Awusi Sosus zeigt den Film „Glass Factory II“, eine Recherche über Glasfabriken in Ghana. Ibrahim Mahama präsentiert seine Installation „A Straight Line Through the Carcass of History“: In Boxen, die früher zum Räuchern von Fischen dienten, erinnert er an eine längst durch neue Technologien ersetzte Tradition, die jetzt das Flussökosystem bedroht. Gefüllt mit teils geruchsintensiven Objekten von geräucherten Fischen über Kleidung bis zu Schulheften, gesammelt in Industrieruinen, verborgen hinter Maschendraht, wirkt es wie ein düsteres Archiv. El Anatsui zeigt eine riesige, gold leuchtende Wandarbeit, die an die Zerstörungen erinnert, die durch die Abwässer des Goldabbaus in Ghanas Flüsse entstehen.

Ibrahim Mahama. The Ghana Pavilion, curated by Nana Oforiatta Ayim and designed by David Adjaye, at the 58th Biennale di Venezia. Venice Biennale. Venice, Italy. Photograph by David Levene 6/5/19

Ibrahim Mahama. The Ghana Pavilion, 58th Biennale di Venezia. Foto David Levene 2019

Pavilion Poland, 58. La Biennale di Venezia, 2019

Roman Stanczak, Flight. Pavilion Poland, 58. La Biennale di Venezia, 2019

Im Polnischen Pavillon ist ein Flugzeug gelandet. Allerdings befinden sich die Passagiersessel unten auf der Außenseite und die gesamte Elektronik ist zerfetzt und nach außen gestülpt – Roman Stańczak, „Flight“.

Ulviyya Aliyeva + Kanan Aliyev, Slinky Effect, Aserbaidschan Pavillon, 58. Venice Biennale 2019

Ulviyya Aliyeva + Kanan Aliyev, Slinky Effect, Aserbaidschan Pavillon, 58. Venice Biennale 2019

Song Ming Ang, Music for everyone, Singapore Pavilion, 58. Venice Biennale 2019

Song Ming Ang, Music for everyone, Singapore Pavilion, Foto Olivia Kwok. 58. Venice Biennale 2019

Negotiated Differences, Courtesy of Shirley Tse. Photo credit: Joshua White. Commissioned by M+, 2019

Negotiated Differences, Courtesy of Shirley Tse. Photo credit: Joshua White. Commissioned by M+, 2019

Renate Bertlmann, Austria, 58. La Biennale di Venezia 2019

Renate Bertlmann, Austria, 58. La Biennale di Venezia 2019

Panos Charalambous, Greek Pavilion, 58. Biennale di Venezia 2019

Panos Charalambous, Greek Pavilion, 58. Biennale di Venezia 2019

 

Pavillon Korea, 58. Biennale di Venezia 2019

Pavillon Korea, 58. Biennale di Venezia 2019