9. Contemporary Istanbul

17. Nov. 2014 in Kunstmesse

Die Stände der Galerien werden gestürmt, die Gänge sind übervoll, Mengen von roten Punkten erzählen von erfolgreichen Geschäftsabschlüssen. Das Interesse an der 9. Contemporary Istanbul (CI) ist enorm, 2013 kamen 72.000 Menschen, heuer wird ein neuer Rekord erwartet. „Die Contemporary Istanbul ist keine reine Kunstmesse, es ist ein großes Festival,“ erklärt Programmdirektor Marcus Graf.

9. Contemporary Istanbul 2014

Er ist verantwortlich für die Messe-Ausstellung „90 Minutes“: In einem 20 qm kleinen Kubus zeigen während der fünf Tage 25 Künstler ihre Werke. 10 Minuten Auf- und Abbau, 90 Minuten Ausstellungszeit.

Die Contemporary Istanbul ist anders und nicht nur der Festival-Charakter und die „90 Minutes“ irritieren. 2006 von dem Tourismus-Unternehmer Ali Güreli gegründet, ist die CI eine der ältesten Kunstinitiativen in der Stadt am Bosperus, in der der Markt für zeitgenössische Kunst seit gut zehn Jahren in einem atemberaubenden Tempo wächst. Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich die Zahl der Galerien, der Sammler. Seit 2012 ist in Istanbul noch eine zweite Kunstmesse, die Art International (AI) hinzugekommen. Seither kämpft der Platzhirsch CI mit allen Mitteln um seine Stellung, wozu rechtliche Klagen gegen die AI, aber auch eine massive Marketingoffensive gehören. Seit Wochen kommen täglich Nachrichten über immer mehr „CI Botschafter“, neue Berater, Sponsoren und Mengen von Partys – die ganze Stadt nimmt teil.

Cagla Cabaoglu Gallery, Istanbul

All das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die CI eine lokale Messe ist – obwohl heuer zur 9. Contemporary Istanbul von den 95 Galerien nur 42 aus der Türkei sind, 53 dagegen aus dem Ausland, darunter allein 10 aus Italien. Aber nicht die Herkunft, sondern das Profil der Stände prägt das Bild. Im unteren Geschoß gibt es einige bekanntere Galerien zu sehen, darunter Rampa aus Istanbul mit den wunderbar surrealen Bildern von Güclü Öztekin.

Güglü Öztekin bei Rampa, Istanbul

Irritierend dagegen tritt Lelong aus Paris auf: Sie zeigen Werke von Joan Miro, Etel Adnan und Nalini Malani, alles dicht nebeneinander – so kennt man die Galerie bisher nicht. Kuriose Kombinationen sieht man hier häufiger, da hängt einmal Damien Hirst neben Banksy, dann steht eine goldene Yoga-Figur von Marc Quinn neben kleinen George Braque-Bildern.

Marc Quinn

Auf die Spitze getrieben wird die fröhliche Fülle in der oberen Ebene. Hier kämpfen die Werke mit drastischen Mitteln um die Aufmerksamkeit.

Volkan Aslan

Starke Farben, plakative Formen und Effekte wie Glitzer, Leuchtröhren und Absurdes zeugen nicht von tiefgreifenden Überlegungen, sondern zielen auf schnelle Überrumpelung: Aus Skulpturen von Köpfen im Stil der griechischen Antike ragen Neonröhren heraus, ein Nashornkopf steckt in einem Stahlgitter, Pistolen sind aus glitzernder Wolle gehäkelt und an einem Stand lockt eine strahlend weiß gekleidete Frau mit leuchtenden Fingerspitzen und silbernen Ballons in den Stand. Über all diesem visuellen Lärm schallt noch laute Musik durch die Messehalle.

Performance v. Katja Loher

Diesem Festival-Charakter entsprechen auch die Auswahlkriterien für die Galerien. So sind heuer gleich drei nur einen einzigen Monat junge Galerien zugelassen, darunter Artbeats aus Georgien – ein Online-Projekt ohne realen Raum. Woher nehmen so unerfahrene Galerien ihre Expertise als Kunsthändler, auf welche Erfahrungen sollen die Käufer ihr Vertrauen aufbauen? Die größte Irritation aber erzeugt Ali Gürelis Entscheidung, ein neues Geschäftsfeld zu beginnen: die CI-Editionen.

CI Editionen

Nicht-kommerzielle Kunsträume finanzieren mit Druckgraphiken seit Jahren erfolgreich ihr Programm. Manche Editionen verzeichnen stolze Preissteigerungen wie Francis Bacons Triptychon, entstanden 1989 in einer 150er Auflage, das Andipa (London) auf der CI für 45.000,- Euro anbietet. Noch günstig sind die Drucke von, die der Londoner non-profit-Ort Whitechapel Gallery auf der CI anbietet. Sie sind heuer erstmals hier – mit einem kostenfreien Stand, wohl um den CI-Editionen Nachdruck zu verleihen.

Edition v. Francis Upritchard bei Whitechapel

Man könnte diese Entscheidung der Messe, Editionen anzubieten, als demokratischen Akt werten, in der Broschüre wird von einer „Alternative zu der elitären und exklusiven Vorstellung von Kunst“ gesprochen. Die 16 Drucke kosten je um die 300,- Euro in einer Auflage von 20-30 Stück – Einsteigerkunst also. Teuerste Edition ist die kleine Skulptur von Hale Tenger für 2900,- Euro – sie ist auch die einzig berühmte KünstlerIn der Reihe.

CI-Edition von Hale Tenger

Noch sind es ausschließlich türkische KünstlerInnen, aber Güreli will sein neues Geschäftsmodell international ausbauen. Geplant ist auch ein Geschäft in Istanbul und sogar die Teilnahme an internationalen Kunstmessen.

Doch halt: Eine Kunstmesse als Kunsthändler? Da kommen schon die Auktionshäuser mit ihren „private sales“, also den Direktverkäufen im Sekundary Market, den Galerien massiv ins Gehege. 2004 setzte Christie´s 151 Mio. Dollar in diesem Segment um, 6% des Gesamtumsatzes. 2013 waren es bereits 1.190 Milliarden Dollar und 16,8% der Gesamteinnahmen. Jetzt also steigt auch eine Kunstmesse in den Kunsthandel ein und konkurrenziert damit ihre eigene Klientel! Woher aber nimmt die CI ihre Kompetenz bei der Auswahl, wie kann die Messe Rendite garantieren oder wenigsten eine künstlerische Qualität zusichern? Sie würden mit Galerien zusammenarbeiten, erklärte Güreli – welche, wird nirgendwo genannt.

Die CI gehöre zu den „zehn wichtigsten Kunstmessen“, beteuerte Ali Güreli auf der Pressekonferenz. Man kann darüber diskutieren, welche Messen in dieser Liste zu nennen sind. Sicher ist jedoch, dass die CI darin noch keinen Platz hat. Ob die Entscheidungen, Künstlern 90 Minuten Ausstellungszeit zu geben, Internet-Galerien und überbordend volle Stände zuzulassen, und dazu noch selbst als Kunsthändler aufzutreten, das ändern werden, ist ein spannendes Experiment.

Corda

 

Drew Tal, Regret – fatale Ähnlichkeit mit Shirin Neshat. sofort verkauft.

9. Contemporary Istanbul, 13.-16.11.2014

veröffentlicht in: Die Presse, 16.11.2014