8. Gwangju Biennale + 6. Media City Seoul 2010

20. Sep. 2010 in Biennalen

Südkoreanischer Kunstherbst-  8. Gwangju Biennale + 6. Media City Seoul 2010

Kein anderes Land in Asien ist international derartig gut vernetzt wie Südkorea – wozu sicherlich auch die beiden wichtigen Biennalen Media City Seoul und die Gwangju Biennale beitragen, die heuer sehr konträr ausgerichtet sind.

MEDIA CITY SEOUL
„Karl Marx, ich hasse dich!“ Außer sich vor Zorn schreit die junge Frau die Büste des Bärtigen an. „Ich hasse dich dafür, dass du wiedergeboren bist als Chinese, dass wir alle Chinesisch sprechen müssen, dass es nur noch chinesischen Essen gibt.“ Diese Schimpftiraden lesen wir als Untertitel, denn die Deutsche schreit in fließend chinesischer Sprache. Sie ist eigentlich Dolmetscherin, den Text gab ihr der österreichische Künstler Rainer Ganahl vor. Überzeugend überspitzt Ganahl damit die „China threat theory“, die in den Medien verbreitete, diffuse Angst vor einer chinesischen Bedrohung.

Das Video läuft im Treppenhaus des Seoul Museum of Art, in dem die Media City Seoul stattfindet. Bekannt als Biennale für Neue Medien und digitale Kunst, verzichtet das Kuratorenteam (Sunjung Kim, Clara Kim, Nicolaus Schafhausen, Fumihiko Sumitomo) dieses Jahr gänzlich auf die Präsentation technischer Innovationen und lenkt mit den Beiträgen der insgesamt 45 Künstler bzw. Künstlergruppen unsere Aufmerksamkeit auf die Inhalte. „Trust“ lautet der Titel –  ´Vertrauen´ als Grundlage von Kommunikation: humorvoll in Erik van Lieshouts tagebuchähnlichen Video über die schwierige Liebe zu seiner Assistentin, bedrohlich wie Shilpa Guptas überdimensionaler Wolke aus schwarzen Mikrophonen oder exzessiv in Tarek Atouis radikaler Performance, in der er seine Folter-Erlebnisse während des Krieges 2006 in Beirut in elektroakustischen Sound verwandelt. Vertrauen, das machen die präzise ausgewählten Werke dieser Biennale deutlich, ist eine aktive Handlung und Haltung, die wir nicht vorfinden, sondern schaffen müssen.

GWANGJU BIENNALE
Geradezu konträr legt Massimiliano Gioni die drei Zugstunden südlich von Seoul stattfindende 8. Gwangju Biennale an. Gioni, Direktor der Mailänder Trussardi Foundation und am New Museum New York, entschied sich gegen die übliche, raumgreifende „Biennalekunst“ und stattdessen für die Form eines „temporären Museums“, wie er es nennt. Bei einem Budget von 13 Mio. Dollar – zum Vergleich: Media City Seoul verfügte nur über 2 Mio. Dollar – stellt er auf der 8. Gwangju Biennale mit Werken von 134 Künstlern aus 28 Nationen einen Parcours von viel Kleinformatigem zusammen, der von den Beziehungen der Menschen zu Bildern handelt. Raum für Raum schreitet man die verschiedenen Aspekte des Themas ab: Historische und zeitgenössische Fotografien und Gemälde, die Erinnerungen festhalten, die ein perfektes Selbst oder virtuelle Gemeinschaften schaffen, Menschen zu Heroen stilisieren und unsere Abbilder im Licht der Kamera beleuchten. Man trifft auf im Westen Bekanntes wie Maria Lassnigs Selbstportraits oder Andy Wahrhols „Time Capsules“ und kann – in Asien bestens bekannte – Klassiker wie Katsuhiro Yamaguchis Film über die Abenteuer des Auges von Mr. R.S. (1953) entdecken. Bei aller Gründlichkeit, mit der dieser Parcours recherchiert und inszeniert ist, irritiert allerdings, dass die bewegendsten Bilder aus dem angewandten Bereich kommen: die Fotografien des 16jährigen Mädchens, das von 1975-79 alle neu eintreffenden Gefangenen der Roten Khmer in Kambodscha fotografieren musste oder auch Yasmine Kabirs Dokumentation über sklavenhaft-ausgebeutete Arbeiter aus Bangladesh in Malaysia.

In beiden Biennalen sind die Themen sehr weit gefasst. Spricht die Media City Seoul darunter immer wieder Spezifisches des asiatischen Raumes an, verzichtet Gioni für die 8. Gwangju Biennale völlig auf einen direkten Zusammenhang mit der Region. Zwar rückt er kurz das Gwangju Massaker – 1980 demonstrierten Studenten in dieser Stadt gegen das Militärregime für bürgerliche Rechte und Demokratie – in den Blick. Im weiteren Parcours verliert sich dieser Teil dann in der Menge der vielen Bildwelten. Seine „temporäre Museumsausstellung“ ist so zwar thematisch überzeugend, könnte aber auch in New York oder Zürich stattfinden. Von einer Biennale aber kann man einen regionalen Bezug erwarten, denn gerade in der Spannung zwischen Lokalem und Globalem liegt der ungeheure Reiz dieses Formats.

6.Media City Seoul, 7.9.-17.11.2010, Seoul Museum of Art, Seoul, Südkorea

8. Gwangju Biennale, 3.9.7.11.2010, Biennale Halle, Gwangju, Südkorea

veröffentlicht in: Die Presse, 20.9.2010