Adel Abdessemed / Roman Signer: Dynamit & Gewalt in der Kunst

07. Feb. 2015 in Kunstmarkt

Adel Abdessemed

Ihr Werk könnte konträrer nicht sein. Der eine reagiert auf unsere von Gewalt geprägte Zeit mit emotionalen Bildern explosiver Szenarien. Für den anderen ist Dynamit kein Symbol, sondern das zentrale Material seiner veränderlichen Skulpturen, wie er sie nennt.

Roman Signer

Beide sind Stars im globalen Kunstmarkt und gerade mit herausragenden Einzelausstellungen in Wiener Galerien zu sehen: Adel Abdesssemed in der Christine König Galerie mit neuesten Arbeiten und das Frühwerk von Roman Signer bei Martin Janda. Beide arbeiten aus dem Alltäglichen heraus und kommen dabei zu höchst unterschiedlichen Werken.

Roman Signer, Quer zum Fluß

Bekannt ist Signer für seine Sprengungen. Er schießt Blätter in die Luft und betitelt es augenzwinkernd „Flugblätter“, er ließ per Explosion Wasser aus einem Gummistiefel spritzen und spannte eine Zündschnur quer über den Grenzfluss Rhein. Beim Abbrennen peitschte das Wasser auf – eine kurze Aufhebung der Grenze, ein Moment des Aufbäumen, aber auch das Sichtbarmachen ruhender Kräfte. Signer inszeniert solche Aktionen ohne Publikum, skizziert seine Ideen mit Zeichnungen, dokumentiert den Ablauf mit Fotografien und Film. Wie aber kam der 1938 geborene Schweizer zu diesem ungewöhnlichen Material? Ihn interessierte die Natur, und zwar als Naturgesetze, erklärt Galerist Martin Janda. Er hat 120 frühe Werke zusammengetragen – eine kleine Retrospektive (Zeichnungen und Fotografien ab 3.400,- Euro). Zwei frühe Installationen sind neu aufgebaut: Sieben mit Helium gefüllte Ballons schweben im Raum. Durch Seile sind sie mit Wasser gefüllten Dosen verbunden. Aus kleinen Löchern lief das Wasser in die Schalen, die Ballons stiegen hoch – und kommen im Laufe der Ausstellung langsam wieder herunter (110.000,- Euro). Die Installation war 1982 in Utrecht ausgestellt, zusammen mit „Eimer“: Quer über eine Straße donnerte ein an einer Schnur befestigter Eimer mit Farbe in eine offene Kiste – die jetzt in Wien steht: ein starkes Bild für kontrollierte Kräfte (120.000,- Euro).

Roman Signer, Ballons

Die Ausstellung beginnt im Jahr 1974 und endet 1989. 1989 inszenierte Signer in seinem 51. Lebensjahr eine seiner größten Sprengstoffskulpturen: Am 11. September zündete er auf einem Tisch im Bahnhof Appenzell einen Schwarzpulverkegel, der die rund 20 km lange Zündschnur entflammte. 35 Tage brannte die Zündschnur, die sich aus 100 Meter kurzen Teilstücken zusammensetzte und die 20,06 km langen Bahngleise bis St. Gallen entlanglief – eine präzise koordinierte, langsame Zeit-Skulptur, ein Bild für Vergänglichkeit, für sein Leben: in Appenzell wurde er geboren, in St. Gallen lebt er. Eines dieser Teilstücke ist auch in der Galerie ausgestellt (7.700,- Euro).

Janda hat eine kleine, feine Retrospektive zusammengestellt – etwas, was der Künstler bisher abgelehnte. Daher kam er auch wie sein eigener Besucher zur Eröffnung und kommentierte humorvoll: „Von wem ist das alles hier?“ Viele der Werke hatte er selbst lange nicht gesehen und in der gezielten Zusammenstellung wird hier deutlich, wie humorvoll, manchmal auch mit erotischen Anspielungen Signer die physikalischen Gesetze rund um Ruhe und Bewegung, Trägheit und Geschwindigkeit, Widerstandskräfte und Gleichgewicht in Skulpturen umsetzt. Mit Gummibändern, Wasser, erstaunlich früh schon mit Sprengstoff versetzt er Eimer, Fahrräder, Leitern, Hocker, Fässer, Tische in Bewegung. Nichts ist dabei dem Zufall überlassen, jedes Experiment könnte wiederholt werden. Dieses Prinzip arbeitet gegen die Vergänglichkeit. Nicht das Chaos, sondern die Dauer kommt ins Bild – eine Disziplinierung von Gewalt.

Adel Abdessemed, Turtle, 2015

Ganz anders kommt die Gewalt bei Abdessemed ins Bild. Bürgerkriege in Afrika, Selbstmordattentäter, die weltweiten Folgen von 9/11, religiöse Fanatiker – seit der Jahrtausendwende ist unsere Welt zunehmend von Aggressionen und Gewalt geprägt. „Reality is ill“, fasste es Adel Abdessemed einmal zusammen. In seinem Werk schafft der 1972 in Algerien geborene, seit 1994 in Paris lebende Künstler drastische Bilder für diese Welt. Bekannt wurde er 2007 mit seiner Aktion „Seven Brothers“: Er trieb Wildschweine durch die Straßen von Paris. Für sein Video „Factory“ steckte er im Jahr 2009 Schlangen, Spinnen, Frösche, Hunde und Hähne in eine Grube und filmte die Überlebenskämpfe der Tiere. Den Vorwurf, er sei brutal, beantwortete er: „Andere Künstler benutzen Tiere, um damit etwas darzustellen. Für mich dagegen geht es um deren reale Präsenz“. Seine Ausstellung 2012 im Centre Pompidou nannte er „Ich bin unschuldig“ – alles rundherum sei brutal, nicht er, erklärte er. Im Museum in Doha, Qatar, präsentierte Abdessemed 2013 eine zwei Meter hohe, überdimensionale, klassische Vase, die auf einem Podest aus Zeitbomben steht. Titel: „Le Vase abominable“ (dt. abscheuliche Vase). Einem ähnlichen Prinzip folgt seine neue Skulptur in Wien: Eine lebensgroße Schildkröte trägt auf ihrem Panzer ein Paket aus Dynamitstangen. Der Panzer ist echt, das Tier und die Stangen sind aus Kamelknochen gefertigt (400.000,- Dollar). Wie die Vase in Doha so steht auch die Dynamit-Schildkröte in Wien für Althergebrachtes, das bedroht und jetzt bedrohend ist.

Adel Abdessemed, Galerie Christine König, 2015

Er stelle nicht die Gewalt unserer Zeit dar, sondern setze sie in Kraft (enact), betonte Abdessemed einmal in einem Interview – genau darin liegt auch die große Intensität seiner Kunst. In seiner Wiener Ausstellung wird die Schildkröte von 15 enorm dynamischen, grob schraffierten, lebensgroßen Kohlezeichnungen von Soldaten (je 80.000,- Dollar) begleitet. Alle tragen Helme, das Gewehr im Anschlag, manche sind im Laufschritt, einer harrend wie ein Wachposten dargestellt. Zwar ist kein Soldat einem konkreten Land oder Krieg zuzuordnen. Aber sie erinnern uns unausweichlich an die Allgegenwart von militärischer und paramilitärischer Gewalt – als Gefahr oder als Schutz? Wie die Skulptur „Turtle“ so erzählen auch die Soldaten von einer allgegenwärtigen, manchmal schleichenden Aggression. In Abdessemeds Werk ist die Gewalt unkontrollierbar.

Christine König Galerie, Schleifmühlgasse 1A, bis 14.3.
Galerie Martin Janda, Eschenbachgasse 11, bis 7.3.