Al-Fann. Kunst aus der Islamischen Welt im KHM Wien

31. Mrz. 2011 in Ausstellungen

Tigerpfoten auf Tapeten – vom Einfluss islamischer Kunst auf unsere Popkultur

An einem Ufer sitzen zwei Männer mit Turban. Sie schwingen einen Faden. Über ihnen fliegen Kraniche oder Reiher. Offenbar sind sie auf Vogelfang. Die beiden Szenen sind in strahlenden Farben auf einem wunderschönen, emaillierten und vergoldeten Glasbecher dargestellt. Der Becher stammt aus Ägypten oder Syrien des 13. Jahrhunderts und ist eines der wichtigsten Objekte der al-Sabah Sammlung. Gekauft hat es Sheikh Nasser Sabah Ahmed al-Sabah. Der Sohn des Emirs von Kuwait, dessen Familie seit dem 18. Jahrhundert herrscht, hatte während seines Studiums in Jerusalem begonnen, sich für die Kultur früher islamischer Kulturen zu interessieren. 1975 erstand er eine emaillierte Glasflasche aus dem 14. Jahrhundert in einer Londoner Galerie. Das war 1975. „Von da an fühlten wir eine Verantwortung unserer Kultur gegenüber, Kunstgegenstände zu sammeln, zu dokumentieren und der Nachwelt zu erhalten,“ erklärt Sheikha Hussah.

Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich dann das Hobby zu einer stattlichen Sammlung, die Sheikha Hussah und Sheikh Nasser 1983 dem Nationalmuseum Kuwaits übergaben. Als allerdings 1990 der Irak den nur knapp 18.000 km2 kleinen Wüstenstaat überfiel, wurde das Museum geplündert, die Objekte geraubt und das Haus zerstört. Ein Großteil ist mittlerweile zurückgegeben worden und die Sammler werden die heute mehr als 30.000 umfassende Sammlung im nächsten Jahr im erweiterten und renovierten Nationalmuseum Kuwait ausstellen. Bis dahin touren ausgewählte Objekte um die Welt.

Die al-Sabah-Sammlung ist heute eine der wichtigsten Sammlungen islamischer Kunst weltweit. Besonders die Schmuckstücke der Moghulzeit aus Gold und Juwelen sind von einzigartiger Qualität – und von überwältigender Schönheit. 350 Objekte, darunter Schmuck, Schalen, Stoffe und Teppich-Fragmente, Buchkunst und juwelengeschmückte Waffen, sind jetzt im Kunsthistorischen Museum (KHM) in Wien zu sehen. Der eine Ausstellungsteil zeigt im Bassano Saal eine Chronologie der Kulturgegenstände, beginnt mit Münzen und Pergamentseiten des Korans aus dem 8. Jahrhundert, zeigt fantastische Bergkristallflaschen über Teppiche bis zu luxeriösen Löffeln mit filigran verzierten Griffen. Die Kostbarkeiten stammen vor allem aus dem Ostiran, aber auch aus Indien, Afghanistan, Spanien und Sizilien. Der zweite, leider viel zu beengt präsentierte Teil gliedert die Objekte in die vier Hauptthemen Kalligraphie, Geometrie, Arabeske und figürliche Darstellungen – denn das so oft genannte Verbot von abbildhaften Darstellungen galt nur im religiösen Kontext.

Es ist eine sehr didaktische Präsentation, die uns mit einem Grundwissen über islamische Kunst und Kultur versorgt. Und das ist gut so. Denn ein bewunderndes Zurschaustellen der ungeheuren Schönheit dieser Objekte ist zwar betörend, wäre aber zu wenig. Hier geht es nicht um die Faszination von Kunsthandwerk allein. Hier wirken immer auch Vorurteile und Ängste hinein. Zu recht betont Sabine Haag, Direktorin des KHM, dass sie „mit den Mitteln der Kunst“ einen Beitrag zum „Dialog der Kulturen“ liefern möchte und unterstreicht dies mit einem hochkarätigen, umfangreichen Vortragsprogramm. Tatsächlich kann in unserer westlichen, islamischen Kulturen gegenüber angstbesetzten Situation gerade eine Ausstellung von islamischen Kunstobjekte grundlegende Einstellungen ändern.

Denn wir sehen hier nicht ein bedrohliches Anderes, sondern werden von der Schönheit gepackt und beginnen uns emotional zu öffnen, können so Gemeinsamkeiten entdecken und frühe kulturelle Wechselwirkungen nachvollziehen. Zum einen sind vergleichbare Münzen und Elfenbeinwerke, Dolche und Kupferschalen seit langem auch in den Sammlungen des KHM ein fester Bestandteil unserer Kultur. Zum anderen haben sich manche Formen bis heute nicht geändert, wie die Deckeldose mit Einhörnern, Vögeln und Pflanzen aus dem 11. Jahrhundert aus Elfenbein – ein Luxuserzeugnis islamischer Werkstätten in Spanien. Viele solcher Werke gelangten später in europäische Kirchenschätze. Besonders vertraut erscheint uns auch die Schale aus der ostiranischen Welt, wahrscheinlich Nishanpur, 10. Jahrhundert. Diese Region war im Mittelalter eines der bedeutendsten islamischen Kunstzentren, geprägt von dem Handelsverkehr mit China und Indien. Der mit weißem Engobe überzogene und mit schwarzem Schlicker bemalte Ton erinnert in seiner schlichten Schönheit fast an die Werke des Wiener Jugendstil. Oder das „Cintamani“ genannte Motiv aus drei Kugeln und Wellenlinien, das die Pfote und das Fell einer Raubkatze stilisiert. Es kommt vor allem seit dem 13. Jahrhundert in Zentralasien vor. Viele Jahrhunderte später begegnen wir dem Motiv in den 1970er Jahren in den psychodelischen Tapetenmustern der westlichen Popkultur. Diesen Reichtum an Gemeinsamkeiten der islamischen und der kaum mehr-christlichen Kulturen zu entdecken ist die größte Faszination dieser außergewöhnlichen Ausstellung.

Al-Fann. Kunst aus der Islamischen Welt aus der al-Sabah Sammlung, Kuwait, 22.3.-19.6.2011; umfangreicher Katalog; Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr

 
veröffentlicht in: Die Presse, 31.3.2011