Kunstszene Beirut 2011

29. Mai. 2011 in Reisen

Vorbei geht es an riesigen Werbetafeln für Adidas und Mango, an Bauschildern für megalomanische Luxushäuser und Prada-Shops. Die Strassen sind überfüllt mit Mercedes, BMW und ähnlichen Nobelautos. An der Küste entsteht ein Luxusjachthafen, die nahegelegene Downtown ist in eine Schickimicki-Welt mit Markenshops und Edelrestaurants verwandelt, im Stadtteil Hamra boomt das Nachtleben und Mar Mikhael entwickelt sich gerade zum neuen Soho. Beirut, das wird schnell klar, ist keine Stadt aus Ruinen am Rande der Armut, wie es unser durch die Medien geprägtes Bild erwarten lassen könnte. Im Gegenteil: Die Hauptstadt des Libanon ist auf dem besten Weg, erneut zum ´Paris des Nahen Osten´ zu werden. Zwar sind nur 5 % der Bars in den angesagten Gegenden legal, aber das stört kaum. Denn die Stimmung in der Stadt ist unglaublich lebendig und jung, voller ansteckendendem Optimismus und ausgelassener Fröhlichkeit. Die libanesische Design-Szene gilt schon jetzt als neuer hot spot und auch die Galerienszene wächst kontinuierlich, denn die Kunst aus Beirut gehört zu den spannendsten Märkten der neuen Weltkarte.

Ein Grund für die besondere Stimmung in Beirut mag in der permanenten Anspannung liegen. Denn zwischen all dem aufblühenden Reichtum stehen verfallene, alte Stadtvillen, werden leere Grundstücke für Gemüseanbau zwischengenutzt, leben Menschen provisorisch in halbzerstörten Häusern oder permanent in Flüchtlingslagern. Und hat man einmal seinen Blick sensibilisiert, dann kann man an viel zu vielen Häuserfassaden die Einschusslöcher erkennen, die von dem Bürgerkrieg 1975-1990 erzählen. Damals kämpfen Palästinenser gegen Christen, Christen gegen die Drusen, mit und gegen Syrier und zuletzt alle durcheinander. Entlang der „green line“, der Demarkationslinie zwischen West- und Ostbeirut, wurden einzelne Häuser in Bastionen für Scharfschützen verwandelt und die Straßen verwandelten sich in Brachland.

Wie kaum ein anderes Gebäude zeugt das Barakat Building an der Damascus Road von dieser Zeit. Die Architektin Mona El Hallak setzte sich Jahre dafür ein, dieses Haus zu erhalten und konnte jetzt endlich die Stadt dafür gewinnen, eine vorsichtige Renovierung zu beginnen. 2014 soll es als Kulturzentrum „Beit Beirut“ (Haus Beirut) eröffnet werden. Einige Details wie die erschreckenden Einbauten der Scharfschützen werden erhalten – als Mahnung für jüngere Generationen, den Bürgerkrieg niemals zu vergessen.

Und das ist notwendig. Denn die Partystimmung kann nicht darüber hinweg täuschen: Noch immer oder immer mehr halten Konflikte zwischen politischen Parteien, Ethnien und Religionen die Stadt in Spannung. Und auch die Nachbarländer sind alles andere als ein Garant für Stabilität. Aufgrund der massiven Einmischung Syriens in die Staatsangelegenheiten legte der beliebte Ministerpräsident Rafiq al-Hariri sein Amt zurück und wurde 2005 ermordet. Noch immer wird untersucht, inwieweit Syrien oder auch die Hisbollah involviert waren. 2006 bombadierte Israel fast einen Monat lang. Jederzeit, das ist allgegenwärtig, kann die ausgelassene Partystimmung wieder durch Bomben beendet werden.

Da verwundert es nicht, dass Krieg, Bedrohung, Kampf und Tod zu den zentralen Themen der libanesischen Gegenwartskunst gehören: manchmal autobiographisch wie die doppelbelichteten Fotografien der österreichisch-libanesischen Künstlerin Tanya Traboulsi, oder als Widerstand wie in den Fotografien von Randa Mirza, die gegen den architektonischen Umbau Beiruts in ein Touristenparadies für die Golfstaaten kämpft; oder mit dokumentarischen Filmen wie Rania Stephan, die 2005 Passanten über die Ermordung von Hariri und 2006 über den Libanon Krieg befragte. „Ich kann nicht die ganze Geschichte erzählen, ich möchte kleine Fenster öffnen,“ erklärt sie. Manche wollen auch gerade nicht darüber arbeiten – um dann doch wieder bei dem Thema zu landen wie Mounira El Solh in ihrem faszinierenden Film „Rawena´s Song“: Man sieht nur ihre roten Schuhe, die wie Pfeile hin- und hergehen, während sie über die Klischees über den Libanon reflektiert. Ab 29.Juni werden diese Werke in der Kunsthalle Wien zu sehen sein.

Weniger der Krieg selbst als der Umgang damit steht im Zentrum von Walid Raads und Alfred Tarazis Werken. Während Raad ein Archiv und neuerdings eine „Kunstgeschichte der arabischen Welt“ aufbaut, hat Tarazi ein Mahnmal für den Krieg entworfen. „In den Schulbüchern endet die Geschichte des Libanons mit der Befreiung von der französischen Kolonialherrschaft 1941. Über den Bürgerkrieg wird nur in den Familien gesprochen,“ erklärt der 1980 geborene Künstler. Es gibt in Beirut allein 17 verschiedene Religionen, eine objektive Sicht sei gar nicht möglich. „Jeder hat den Krieg anders erlebt und gibt seine Sicht in die nächste Generation weiter – und alle Konflikte bleiben bestehen,“ fasst Tarazi die verfahrene Situation zusammen. Er plant ein riesiges Mahnmal für den Krieg. Um dieses Projekt kreisen seine Papierarbeiten in der Ausstellung in den Krinzinger Projekten: „A moment of truth“ ist den 200.000 Toten des Krieges gewidmet. „Wir wollen eine öffentliche Debatte über den Krieg auslösen. Ich habe die Hoffnung, dass damit ein Moment der Wahrheit erreicht werden kann.“ In den Strassen von Beirut plakatiert er gerade illegal gruselige schwarz-weiß-Fotografien seiner Tonskulpturen, die Gesichter mit aufgerissenen Mündern zeigen – Objekte, die auch in der Galerie ausgestellt sind.

Knapp 4 Mio. Einwohner hat der Libanon, die Hälfte etwa lebt in Beirut – 10 % also starben. Tarazi will die Bevölkerung auffordern, in seine 200.000 zwei Meter hohen Metall-Stelen die Namen ihrer Vermissten und Toten einzuritzen. Dann sollen die Stäbe nicht mehr rot, sondern weiß leuchten. Noch ist das Projekt nur ein Konzept, die Hürden sind groß. Aber es ist auch so schon ein wichtiger Schritt, um an einen Krieg zu erinnern, der trotz zunehmender Partystimmung noch nicht beendet ist.

Walid Raad, Scratching on things I could disavow, im Rahmen der Wiener Festwochen, Ausstellung bis 15. Juni TBA 21, Himmelpfortg. 13; Performances bis 13.Juni

Alfred Tarazi, Krinzinger Projekte, bis 25.Juni, Schottenfeldg. 45

Beirut, Kunsthalle Wien, 29.Juni-24.August 2011

 veröffentlicht in: Die Presse. 29.5.2011