Casa Daros, Rio de Janeiro

18. Mrz. 2013 in Reisen

 

Casa Daros – Lateinamerikanische Kunst aus Zürich in Rio de Janeiro

Bis zu 250 Menschen arbeiteten zeitweilig daran, das ehemalige Waisenhaus vom Dach über den Holzboden bis zu den alten Flügeltüren nach strengen Denkmalschutz-Vorschriften herzurichten. Der Innenhof wurde um 60 Zentimeter abgesenkt, um im Untergeschoß Restaurant und Shop unterzubringen, die ehemalige Kapelle ist zur Eingangshalle umfunktioniert und die früheren Schlafsäle in „teilweise luxeriös klimatisierte“ Räume verwandelt, wie Hans-Michael Herzog anmerkt. Er ist Direktor der Daros Lateinamerika-Sammlung und Leiter der Casa Daros in Rio de Janeiro, in der bald zweimal jährlich wechselnde Ausstellungen zu sehen sein werden.

Sämtliche Werke dafür stammen aus der Sammlung, die ihren Hauptsitz in Zürich hat. Im Jahr 2000 lud die Schweizer Unternehmensgattin Ruth Schmidheiny den deutschen Museumsmann Herzog ein, lateinamerikanische Kunst anzukaufen. „Angefangen haben wir bei null“, erzählt Herzog. „Aber wir hatten viel Zeit und waren oft die ersten, die sich für die älteren Künstler interessierten,“ etwa für Antonio Diaz (geb. 1944) oder Waltercio Caldas (geb. 1946), beide heute in Brasilien Stars und mit größeren Konvoluten in der Sammlung vertreten.

Antonio Diaz, Januar 2013, Rio

 

Waltercio Caldas, Januar 2013, Rio

Mit Werken aus den 1960ern bis zu Aktuellem umfasst Daros Lateinamerica heute 1160 Arbeiten von 117 Künstlern. Bis 2011 wurden regelmäßig Neuankäufe in den Räumen im Löwenbräu-Areal in Zürich gezeigt – wo einige Zeit zugleich auch die Daros Collection residierte. Das führte zu Verwechselungen, obwohl diese bereits abgeschlossene Sammlung ausschließlich US-amerikanische und europäische Werke von Warhol über Brice Marden bis Gerhard Richter umfasst.

 

Patio em escavação, Foto Adair Aguiar, Povo, 2007

 

Sem o piso_Foto Fábio Caffé

Seit 2011 ist der Daros-Raum in Zürich geschlossen. Ab März 2013 werden die Ausstellungen in die Casa Daros in Rio de Janeiro verlagert. Ursprünglich sollte es noch einen zweiten Raum in Havanna geben. Diesen Plan gaben sie aber über Nacht auf, als Fidel Castro 2003 Dissidenten verhaften ließ und seine restriktive Politik bekräftigte. So konzentrierten sie sich auf Rio. Sechs Jahre dauerte der Umbau des 150 Jahre alten Gebäudes, das in bester Lage nahe des berühmten Granitfelsen „Zuckerhut“ liegt. Als sie das Haus für stolze 8 Mio. Schweizer Franken kauften, gehörte dieses Viertel noch zu den unsicheren Gegenden. Mittlerweile ist Botafogo zum gefragten Stadtteil geworden – dies nicht zuletzt durch die massiven Polizei-Aktion als Vorbereitung für die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2015. So ist heute die „Zone Süd“ inklusiv der prächtigen Strände Copacabana und Ipanema sicher und friedlich. Die Drogenhändler sind in den Norden der Stadt weitergezogen. Schon sind auch die ersten Favelas gentrifiziert: solide 2-Raum-Appartments in der Favela da Vidigal, die 1967 von vertriebenen Fischern begonnen wurde und einen grandiosen Blick auf den Strand Ipanema bietet, kosten jetzt gut 80.000,- Euro, die selbstgebastelten Hütten stolze 60.000,- Euro. Die Besitzverhältnisse dort sind legalisiert, die damit einhergehenden Strom-, Wasser- und Telefonkosten allerdings für die alten Bewohner zu teuer. Sie weichen in die neuen Favelas am Stadtrand aus.

 

In Botafogo also wird Daros Lateinamerika in Zukunft ihre Sammlung präsentieren, allerdings nicht als Museum, sondern als Ausstellungshaus. Eine Verlagerung sämtlicher Werke und Mitarbeiter nach Brasilien wäre viel zu aufwendig, erklärt Herzog. Der Hauptsitz bleibt Zürich. Die Casa Daros dagegen soll den kulturellen Austausch zwischen den Ländern Südamerikas unterstützen. Daher beginnen sie auch mit einer Ausstellung kolumbianischer Kunst. War die nicht in ähnlicher Zusammenstellung bereits 2004 in Zürich zu sehen? Ja, allerdings interessierten sich damals nur wenige dafür. Das hat sich mittlerweile deutlich geändert. Im Mai 2012 umfasste das Gesamtresultat von 3 Auktionen lateinamerikanischer Kunst $ 48 Mio., damit 31% höher als ein halbes Jahr zuvor. Der Markt für lateinamerikanische Kunst gilt als einer der stabilsten wegen der vielen unterbewerteten Künstler und der Sammler, die nicht aus Renditedenken, sondern aus Entdeckerfreuden kaufen. Habt Daros Lateinamerika diese Entwicklung bisher bereits beeinflusst, so kann man davon ausgehen, dass die neuen Aktivitäten in der Casa Daros das noch massiv verstärken werden.

Aber das interessiert Herzog wenig: „Wir wollen hier in Rio eine Scharnierfunktion übernehmen – und mit Cantos Cuentos Colombianos eine kleine Bombe platzen lassen.“ In Brasilien wird das Nachbarland nur als Ort von Gewalt und Bürgerkrieg wahrgenommen, an eine spannende Kunstszene denkt dort niemand. Genau diese Wahrnehmung möchte er ändern, und zeigen, wie hochpolitisch die kolumbianische Kunst ist. Elf Künstler werden gezeigt, die wie Jose Alejandro Restrepo (geb. 1959) auf die Geschichte zurückgreifen, wenn er mit der Installation aus Bananenstauden und darin eingebauten Videofilmen an die lange Geschichte der Unterdrückung erinnert, oder Nadine Ospina (geb. 1960), die mythische Figuren mit Disney-Köpfen kombiniert, damit an die Dominanz der US-amerikanischen Lateinamerika-Politik anspielend. Juan Manuel Echavarria (geb. 1947) lässt grausame Ereignisse als Erzählung in Liedern wiederaufleben und der wohl bekannteste Künstler Kolumbiens, Oscar Munoz (geb. 1951), beeindruckt mit Werken, die von der Flüchtigkeit der Erinnerung handeln – alles Themen, die auch in Brasilien brandaktuell sind.

 veröffentlilcht in: Weltkunst, April 2013