curated by 2020: Hybrids

22. Sep. 2020 in Ausstellungen

Friederike Mayröcker, Galerie Nächst St. Stephan. Ausstellungsansicht, Foto: Markus Wörgötter

Friederike Mayröcker, Galerie Nächst St. Stephan. Ausstellungsansicht, Foto: Markus Wörgötter

Im April gab es eine kurze Verunsicherung, aber bald stand fest: curated by 2020 wird stattfinden. Jetzt laden 24 Galerien in Wien zum Saisonauftakt zu einem grandiosen Ausstellungsparcours quer durch die Stadt ein – und der ist heuer wichtiger als je zuvor. Denn die Museen verharren noch immer völlig visionslos in ihrer Schockstarre ob fehlender Besucher. Die Galerien dagegen öffnen ihre Türen weit für eine junge, bunte und freche Vielstimmigkeit unserer Zeit – und das Publikum kommt. Zwar konnten kaum Künstler*innen anreisen und manche der Gastkurator*innen waren nur per Videobotschaft dabei. Auch internationale Gäste blieben weitgehend aus. Aber das schadet dem Festival keineswegs. Das Eröffnungswochenende war extrem gut besucht, darunter erstmals seit der Gründung 2009 viele junge Besucher*innen. Große Verkäufe werden wohl ausbleiben, aber darauf zielt curated by auch nicht. Im Gegenteil: das Festival steht im Zeichen des Ausstellens. 15 Tage lang sind die Galerien vereint unter einem gemeinsamen, vorab ganz demokratisch beschlossenen und heftig diskutierten Thema. Heuer lautet es ´Hybrids´.

Meyer Kainer Galerie Exhibition Curated By Kris Lemsalu & Sarah Lucas. Foto: Marcel Koehler

Meyer Kainer Galerie Exhibition Curated By Kris Lemsalu & Sarah Lucas. Foto: Marcel Koehler

Seit Mitte der 1990er Jahre geistert dieser Begriff durch die Kunsttheorie, offenbar strahlen Mischformen, unscharfe Grenzen und offene Definitionen eine anhaltende Faszination aus. Das dachten sich wohl auch die jungen Galerien, die das Thema für curated by 2020 vorschlugen und damit den zweitgereihten Klimawandel als thematische Vorgabe aus dem Rennen schlugen – wie Recht sie hatten! Durch die Covid19-bedingten Beschränkungen wären Ausstellungen über Zukunftsängste zu düster, Hybridität dagegen erscheint als Befreiung von rundum infrage stehenden Ordnungen – und hat zu einem wunderbaren Spektrum geführt.

FRIEDERIKE MAYRÖCKER, Schutzgeister, Curated By Hans Ulrich Obrist, Galerie Nächst St. Stephan. Foto: Marcus Wörgötter

FRIEDERIKE MAYRÖCKER, Schutzgeister, Curated By Hans Ulrich Obrist, Galerie Nächst St. Stephan. Foto: Marcus Wörgötter

Da zeigt die großartige österreichische, 1924 geborene Lyrikerin Friederike Mayröcker in der Galerie Nächst St. Stephan ihre Zeichnungen: kindlich skizzierte Bilder von Schutzgeistern, gegen Ratlosigkeit und Geldmangel, gegen Nasenbluten und die „Taubheit der Welt“. Kurator ist Hans Ulrich Obrist, der sich für eine leider wenig hybride Soloausstellung entschied, mit Vitrinen, Hörspielen und einem Büchertisch. Offensiv hybrid ist dagegen „Propaganda Women“ bei Emanuel Layr, wo die jung verstorbene Maia Izzo-Foulquier in drei Rollen auftritt: als Fotografin im Stil von Wolfgang Tillmans, als Aktivistin für die Rechte von Prostituierten und als Punkmusikerin. Ein Hybrid aus Galerie- und Gastkünstler*innen inszeniert die griechische Kuratorin Marina Fokidis in der Christine König Galerie. Sie schreibt in ihrem Text über die Zeit des weltweit gemeinsam durchlebten Lockdowns und fragt nach „third spaces“ für „perplexed togetherness“, die im ersten Raum zur Kombination von Peter Friedls Versuch, das Nichts zu malen, und Magda Campos Pons bemerkenswerten, spirituellen Aquarellen führt.

Crumple, at VIN VIN curated by Emily Watlington Artworks in the image: Lin May Saeed, Erika Verzutti Photo: Flavio Palasciano Courtesy: Jacky Strenz, Frankfurt; Alison Jacques, London

Crumple, VIN VIN curated by Emily Watlington, mit Lin May Saeed, Erika Verzutti, Foto: Flavio Palasciano. Courtesy: Jacky Strenz, Frankfurt; Alison Jacques, London

In der jungen Galerie Vin Vin lotet Kuratorin Emily Watlington mit nur wenigen Objekten den Raum zwischen Fragilität und Dauerhaftigkeit aus, wenn Lin May Saeed aus dem zugleich zerbrechlichen und biologisch nicht abbaubaren Material Styropor Reliefs in Anlehnung an streunende Hunde formt. Bei Martin Janda bricht Kuratorin Noit Banai das „historische Kontinuum“ auf, wenn Helen Mirra aus ungefärbter Wolle minimalistische Objekte webt, die die flaggenähnlichen Formen mit Themen wie globaler Kapitalismus und traditionelle Arbeitsweisen aufladen.

Installationsansicht Gianni Manhattan

Installationsansicht Gianni Manhattan

Nur zwei Werke treffen bei Gianni Manhattan zusammen und schaffen eine enorm intensive, seltsame Atmosphäre: Mire Lees kinetische Skulptur aus sich windenden Objekten erinnert an einen mühsamen Überlebenskampf, während Guillaume Maraud über gestapelte Stühle eine Kolonne von Begräbnisurnen legt. Dazwischen badet ein Affe in einer warmen Quelle in einem endlosen Loop, eine kurze Szene aus Ron Frickes experimentellen Dokumentarfilm „Baraka“ (1992). Es ist eine Zugabe des Kurators James Lewis – eine Bruchstelle in der Ausstellung, ein stoisches Innehalten, ein Verweis auf Non-Linearität. Und in der Charim Galerie ist eine humorvoll-theatralische Schau rund um Scott Clifford Evans Film „Murderkino“ (2019-) arrangiert. Evans drehte seinen grotesken Trash-Horror-Film ohne Budget mit Hilfe befreundeter Künstlerkollegen, in Ateliers, auf der Wiener Kunstmesse Parallel und bald auch in dieser Ausstellung. Hier werde das „gesamte Repertoire der Hybridität als entfesselte Pointe“ freigesetzt, schreibt Kuratorin Brigitte Huck dazu.

Installationsansicht mit Christina Zurfluh, Kent Monkman, Paloma Varga Weisz, Kristan Horton, Mario Mauroner Contemporary Art Vienna, 2020

Installationsansicht mit Christina Zurfluh, Kent Monkman, Paloma Varga Weisz, Kristan Horton, Mario Mauroner Contemporary Art Vienna, 2020

Hybridität auf absoluter jeder Ebene gelingt bei Mario Mauroner Contemporary Art Vienna: Kurator Séamus Kealy wählte Werke von 15 Künstler*innen aus, die von Künstler Tilo Schulz grandios über die zwei Stockwerke verteilt sind. Den wunderbar reduzierten, stillen Wandobjekten von Niamh O´Malley folgen die farbenfrohen, lauten „Flaggen“ von Francisco Vidal, die vom Bürgerkrieg in Angola erzählen, vermischt mit Einflüssen aus Hip Hop und Graffiti. Auf einem rohen Metallgestell trifft Christina Zurfluhs „Blue Monochrome“ auf Kent Monkmans humorvoll-kritische Zeichnungen, wo etwa ein Indianer einem Weißen den nackten Hintern versohlt. Mit diesen Wechseln zwischen assoziativen und konkreten Ansätzen, zwischen Verdichtung, Verinnerlichung und Geschichtsverweisen führt Kealy die Idee der Hybridität „dezent“, wie er schreibt, auf die Ebene der gegenseitigen Befruchtung, wie es im Pflanzenreich üblich ist – und was wunderbar auf das gesamte curated by-Festival zutrifft. So facettenreich wurde ein Thema schon lange nicht mehr inszeniert, hier sind jetzt fünfzehn Tage bis zum 26.9. lang die Vorteile und Herausforderungen von Kreuzungen und Verschmelzungen zu erkunden.

veröffentlicht in: WELT, 19.9.2020