curated by_vienna 2017: Tatort Schreibtisch

25. Sep. 2017 in Ausstellungen

Meyer Kainer Galerie, Installationsansicht curated by 2017

Meyer Kainer Galerie, Installationsansicht curated by 2017

Nicht erst seit der documenta steht der Beruf des Kurators zur Debatte. Braucht es diese Vermittler zwischen der Kunst und dem Publikum überhaupt, die fett ihren Namen über Ausstellungen schreiben? Die viel zu oft selbstherrlich ihre Sicht auf die Kunst in den Mittelpunkt stellen und damit Kunst und Künstler an den Rand drängen? In Wien findet seit 2009 das Festival „curated by“ statt – das perfekte Format, um die Notwendigkeit dieses Berufs auszuloten. Denn der Name ist Programm. Rund zwanzig Galerien nehmen daran jährlich teil und jede lädt sich bei freier Wahl einen eigenen Kurator ein. Finanziell unterstützt von der städtischen Wiener Wirtschaftsagentur gastierten so bisher rund 170 Kuratoren in der Donaumetropole. Als gemeinsamer Nenner der Einzelauftritte wird jedes Jahr ein neues Thema festgesetzt. Heuer lautet die Vorgabe „Sprache in der zeitgenössischen Kunst“. Das ist ein enorm weites Feld, kann eine Kunst bedeuten, die wie bei Lawrence Weiner vor allem aus Worten besteht und damit dematerialisiert ist. Oder Dinge sprachlich verlebendigt wie Robert Barry, der einzelne Worte lose auf Wände schreibt. Oder ist damit die große Herausforderung gemeint, eine Sprache zu finden, um über Kunst zu sprechen? Genau darin liegt der besondere Charme dieses Festivals: Jeder kann das Thema anders auslegen. Und um die Offenheit noch weiter zu steigern, übersetzte der Wiener Künstler Heinrich Dunst das diesjährige Thema in den kryptischen Titel „image/reads/text“.

Dalwood, Think, Galerie Winter

Dexter Dalwood, Think,2017. Galerie Winter

Das hat eine wunderbare Leichtigkeit, denn Dunst hebt kurzerhand das Gegensatzpaar Sprache und Bild auf und dreht sogar die Abhängigkeit um. Ob solch ein Geniestreich auch den Kuratoren gelingt? Zwar entschieden sich einige für den simplen Weg und trugen ganz schulmeisterlich Werke zusammen, in denen Worte auf Leinwand auftauchen. Das passt zum Thema, trägt aber nichts zum Nachdenken bei. Aber erstaunlich viele Kuratoren finden gewitzte Wege, das Themenkorsett zu drehen, wenden und dehnen – und das sogar in einigen Galerien mit Personalen. Eigentlich braucht ja eine Einzelausstellung keinen Kurator, Künstler können ihre Werke weitaus präziser selbst auswählen und anordnen. Aber bei „curated by“ ist das Prinzip ja auch die Wahl eines Gastkünstlers, womit dem Kurator die Aufgabe zukommt, die Galerie über den Rand ihres Programms hinauszuführen. Das gelingt Kurator Michael Bracell in der auf minimalistische Kunst eingeschworenen Galerie Hubert Winter ganz großartig. Er entschied sich für eine Soloschau des britischen Malers Dexter Dalwood, der seine Bilder als Antwort auf Hugo von Hofmansthals „Brief des Lord Chantos“ malte. Hofmansthal entschuldigt sich in dem Brief bei Francis Bacon, sein literarisches Schreiben eingestellt zu haben. Die Frage des Entziehens und der Sprachlosigkeit greift auch Dalwood auf. Faszinierend seine schwarzen Leinwände mit Blumen, die eindeutig an Warhols berühmte Flower-Siebdrucke anspielen. Einmal scheinen die Blumen in einem schwarzen Raum von der Wand ins Nichts zu rutschen, dann schweben sie in düsterer Ortslosigkeit vor einem Flugzeugfenster – es ist eine gemalte Sprachlosigkeit.

Ausstellungsansicht Galerie Mario Mauroner, curated by 2017

Ausstellungsansicht Galerie Mario Mauroner, curated by 2017

Bracell ist selbst Schriftsteller, ihm ist der Kampf mit Sprache und Bildern wohl geläufig genug, dass er weit hinter das Werk nur eines einzigen Künstlers zurücktreten kann. Ganz anders konzipiert der italienische Chefkurator am Museum in Trondheim, Stefano Collicelli Cagol, seinen Auftritt in der Galerie Mario Mauroner an. Er inszeniert ganz selbstverliebt ein „Gedicht-Experiment“, wie er hochtrabend schreibt, und präsentiert sich selbst als Künstler: Wir betreten einen nahezu leeren Raum.

Galerie Mario Mauroner, curated by 2017

Ghislaine Leung, Galerie Mario Mauroner, curated by 2017

In Steckdosen leuchten kleine Nachtlampen in Pilzform von Ghislaine Leung, an manchen Ecken stehen kleine Schmuckkästchen von Davide La Montagna – die als Hinweise für die nächste Strophe verstanden werden sollen. Im Untergeschoß referieren manche Werke auf Gedichte, andere greifen „wesentliche Aspekte der Poesie wie Zeitlichkeit, Klang, Licht oder Räumlichkeit“ auf (Cagol). Das ist weit genug ausgeholt, um alles aufzunehmen, womit dieses wortlose Gedicht vor allem diffus ist.
Ein spannendes Experiment wagt die Galerie Crone. Hier stellt der Paul Feigelfeld „Automatisierungen von Schreib- und Bildgenerierungsprozessen in der Kunst“ zur Diskussion. Hanne Darboven gilt ihm als Beleg für einen frühen Versuch, sich selbst zur Maschine zu machen. Als Pionier kommt Joseph Beuys dazu, der 1981 für sein Objekt „2190 Tage bis zum Ende des Kapitalismus“ ein Programm erstellen ließ, dass jeden Tag ein Blatt ausdruckte. Schwierig wird es dann bei den aktuellen Werken, etwa Constant Dullaarts Umprogrammierung eines selbstlernenden Gesicht- und Bilderkennungsprogramms, das jetzt Bilder erfindet, die aber in ihrer niedrigen Auflösung von abschreckend miserabler Qualität sind. Problematisch ist es auch bei den Neonröhren des Duos Revital Cohen & Tuur Van Balen, die nichts weniger als die „geopolitischen Materialnarrative einer Kolonial- und Technologiegeschichte“ beinhalten sollen – das kann kein Objekt leisten, und dies noch weniger, wenn es allzu beiläufig zu Füßen von Beuys´ „Denkmaschine“ platziert ist. Nicht jede Analyse eignet sich als Ausstellung.
Künstler und Co-Kurator zugleich ist Michael Riedel in der Galerie Senn. Er greift einen Klassiker des Kunst & Sprache-Genres auf, „One and three chairs“ von Joseph Kosuth. Der US-amerikanische Konzeptkünstler Joseph Kosuth stellte damit 1965 die „alltägliche Dreieinigkeit“, wie er es damals nannte, von Wort, Bild und Lexikoneintrag eines Stuhls zur Diskussion. Riedel affichiert eine unscharfen Fotografie dieses Klassikers auf die Wand und lehnt davor an zusammenklappbare Stühle, die manchmal für Diskussionen zum Einsatz kommen – und anspielungsreich den Eindruck einer Aufführung vermitteln, die schon längst beendet ist.

Meyer Kainer Galerie, Ausstellungsansichten curated by, "Schreibtischuhr"

Meyer Kainer Galerie, Ausstellungsansichten curated by, „Schreibtischuhr“

Mit dem auf Theorie-Ebene höchsten Anspruch fordert uns der Columbia-Professor John Rajchman heraus. Er schrieb einen mehrseitigen Aufsatz zum Thema, in dem er von dem „sprachlichen Idealismus“ Lawrence Weiners ausgeht und sich mit Flusser, Wittgenstein, Freud, Deleuze auf die Suche danach begibt, wie Wörter in Bildern verwendet wurden. Mit diesem Text hat er die analytische Ebene abgeschlossen, was ihm auf kuratorischer Ebene alle Freiheiten lässt. Also führt er uns in der Galerie Meyer-Kainer an den Ort der Sprachproduktion: zu dem Schreibtisch als Tatort, wo neue Seh- und Sprechweisen erfunden werden. Dazu gruppiert er Werke von Liam Gillick, Heimo Zobernig, Seth Price zusammen – Kunst, die auf Philosophie basiert oder wie es Gillick so schön bezeichnet: „Objekte mit eingebetteter Sprache“. Dazwischen schweben Philippe Parrenos Fische. Diese bunten Ballons geben der Ausstellung eine wunderbare, magische Leichtigkeit, die uns mit dem Berufsstand der Kuratoren versöhnen kann – wenn sie im Einklang mit Künstlern arbeiten.

curated by, 15.9.-14.10.2017
veröffentlicht in: Welt am Sonntag, 24.9.2017