Das Urinal der Baroness + Marcel Duchamp

26. Jan. 2015 in Kunstmarkt

Marcel Duchamp, Fountain //wikipedia, Kim Traynor

1917 reichte jemand in New York ein Urinal zu einer Kunstausstellung ein. Gezeichnet mit dem Pseudonym R. Mutt, entstand daraus ein Skandal: Das sollte Kunst sein? Sofort wurde Marcel Duchamp als Urheber vermutet. Der verneinte, erklärte dann aber Jahre später doch seine Autorenschaft. Seit einiger Zeit wachsen daran Zweifel.

Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven

Hat Duchamp sein berühmtes Urinal nicht viel eher einer unbekannten Künstlerin gestohlen? Muss die Kunstgeschichte neu geschrieben und die Marktpreise für den berühmten Franzosen revidiert werden?

Die Ausstellung wurde damals von der Society of Independent Artists in New York ausgerichtet. Deren Statuten sahen vor, dass jeder Künstler jedes Werk präsentieren durfte, solange die Gebühren bezahlt waren. Trotzdem lehnte die Gesellschaft das Werk ab, denn es sei zu vulgär und nicht von einem Künstler geschaffen. Daraufhin erinnerte Walter Arensberg – ein enger Freund Duchamps – die Veranstalter an deren eigene Regel, jeden Beitrag zu präsentieren. Auch das Urinal sei ein Kunstwerk, da es ja von einem Künstler ausgewählt wurde.

Marcel Duchamp, Flaschentrockner, Original v. 1914

Es blieb bei der Ablehnung. Das Objekt ging zwar später verloren, gilt aber bis heute als Ikone der Konzeptkunst und Marcel Duchamp (1887-1968) als Vater dieser Kunstrichtung. Denn mit dem Urinal, dass Duchamp erst Jahrzehnte später mit „Fontäne“ betitelte, änderte sich die Definition von Kunst radikal, Arensbergs damalige Argumentation gilt bis heute: Kunst ist, was ein Künstler dazu erklärt. Entscheidend ist nicht die Ausführung, das Objekt selbst, sondern die Idee dahinter – das Konzept.

An dem Objekt als Wendepunkt in der Kunstgeschichte ist nicht zu rütteln. Aber an der Zuschreibung. Denn in einem Brief an seine Schwester Suzanne schreibt Duchamp nur zwei Tage nach der Ablehnung durch die Ausstellungsveranstalter: „Eine meiner Freundinnen reichte unter einem Pseudonym, Richard Mutt, ein Porzellanurinal als Skulptur ein“. Diese  Briefzeile wurde erst 1982 bekannt und in Archives of American Art Journal publiziert. Wer ist diese Freundin? Die Übersetzerin Louise Norton, die damals mit ihrem Text „Buddha of the Bathroom“ die Skulptur verteidigte? Oder Else Plötz, wie es die Literaturhistorikerin Irene Gammel nachweist? Plötz, 1874 in Deutschland geboren, war in dritter Ehe mit Leopold Karl Friedrich Baron von Freytag-Loringhoven verheiratet. Der Baron verschwand mit den spärlichen Ersparnissen der Künstlerin, die dafür den Adelstitel behielt – und einzusetzen wusste. Bald galt Elsa als neuer Star in New York, etablierte sich in New York als rebellische junge Poetin, als exzentrische Dadaistin. In ihrer kleinen Wohnung sammelte sie lauter alten Plunder, wie es der Maler George Biddle 1917 beschrieb. Er fügte an, dass die Dinge für die Baroness „objects of formal beauty“ seien. Diese Poetin gefundener Objekte, die Löffel als Ohrringe trug und Tomatendosen als BH, soll auch das Pseudonym R. Mutt erfunden haben. Denn: Ausgesprochen heißt es ´Armut´, allerdings mit Doppel-T: Armutt.

 

Elsa von Freytag-Loringhoven, ca. 1927

Elsa von Freytag-Loringhoven starb 1927 in Paris und war bald nahezu vergessen. 33 Jahre nach der skandalösen Einreichung, also erst 1950,  beanspruchte Duchamp die Autorenschaft für die „Fontäne“. Für seine Ausstellung in der Sidney Janis Gallery in New York fertigte er eine Replik an. Sollen jetzt die Museen vom Centre Pompidou bis zur Tate London die Kennzeichnung ändern? Amelia Jones, Glyn Thompson und Julian Spalding sprechen sich dafür aus. Jesse Prinz, Philosophie Professor an der City University of New York, ist anderer Ansicht. Gegen Luise Norton spreche, dass Duchamp ein Leben lang mit ihr befreundet blieb – hätte sie da nicht dessen Aneignung der Autorenschaft widersprochen? Zudem habe Nelson weder vorher noch nachher jemals wieder eine ähnliche Aktion gesetzt.

Elsa

Gegen Elsa spreche die eher einseitige Freundschaft, die Duchamp nicht erwiderte, aber auch die Tatsache, dass die sehr kämpferische Künstlerin nie die Autorenschaft beanspruchte. Prinz stellt auch den Zusammenhang zwischen dem Wort ´Armut´ und dem Urinal in Frage.

Prinz weist darauf hin, dass in der damaligen Zeit einige Kunst aus gefundenen Objekten entstand, von Mina Loy, ebenfalls eine Freundin Duchamps, aber auch von Alfred Stieglitz, der das berühmte Foto der „Fontäne“ erstellte.

Alfred Stiglitz, 1917

Gegen Duchamp spricht, dass er seine Autorenschaft erst nach dem Tod Stieglitz´ behauptete. Für Duchamp als Urheber spricht laut Prinz noch weit mehr, nicht zuletzt das berühmte Rad auf einem Hocker, dass der Franzose bereits 1913 schuf und das seinem Freund Arensberg 1917 auch zur Verteidigung des Urinals diente.

Und die Signatur? Duchamp behauptete später, das Pseudonym sei ein Wortspiel zu Mott Iron Works, wo er das Objekt gekauft habe, und eine Anspielung auf den damals berühmten Cartoon Mutt and Jeff. Aber ein Verkaufskatalog von 1913 zeigt, dass die Firma damals dieses Urinal gar nicht verkaufte. Prinz wendet ein, die Modelle hätten sich in der Zwischenzeit verändert haben können. Vor allem aber zeigt ein Schriftvergleich deutliche Ähnlichkeit zu Duchamps Signatur. Und der Brief an seine Schwester? In dem Brief bittet Duchamp Suzanne, den Erfolg der Ausstellung seiner Familie mitzuteilen – vielleicht wollte er den Skandal nach Europa tragen, mutmaßt Prinz und rekapituliert folgenden Ablauf: Duchamp kaufte ein Urinal, signierte es und bat seine Freundin Louise Norton, das Objekt zur Ausstellung zu bringen. Nach der Ablehnung trat er aus der Künstlervereinigung aus, befeuerte den öffentlich ausgetragenen Skandal und wollte diesen durch den Brief an die Schwester bis Europa tragen. Das gelang zwar nicht, aber „Fontäne“ ist trotzdem ein geballter Angriff gewesen: auf den Künstler als genialer Schöpfer, auf die Grenze zwischen Hoch- und Trivialkultur, auf die damalige Macht der Künstler-Salons und nicht zuletzt auf die Idee eines Originals. Und die Irritation der Idee eines Originals gilt bis heute.

Marcel Duchamp

Duchamps „Fontäne“ in den Museen gab er 1964 in einer Auflage von acht plus vier Exemplaren aus. Alle Nachbildungen weichen deutlich in der Signatur von dem frühen Objekt ab – wie wichtig ist überhaupt die Frage der ursächlichen Autorenschaft?

veröffentlicht in: Die Presse, 18.1.2015