David Hockney: Eine Welt voller Farben

13. Feb. 2022 in Ausstellungen

Strohblond gefärbte Haare, Glitzerjacken und exzentrische Brillen – David Hockneys Selbstinszenierung in den 1960er Jahren in Kalifornien waren hollywoodreif. Der 1937 geborene Brite kam als junger Maler an die Westküste, war faszinierend von der Offenheit gegenüber Homosexualität und wurde hier in Kürze berühmt. Während Rassenunruhen und Vietnamkrieg die Stimmung in der USA zunehmend vergifteten, entstand 1967 dann „A Bigger Splash“, der Höhepunkt seiner Serie von Swimmingpool-Bildern: Das Wasser spritzt auf, der Mensch ist bereits untergetaucht und nicht mehr zu sehen. Modernistische Villa im Hintergrund, Palme, Sprungbrett, blaues Wasser, blauer Himmel – mehr brauchte es nicht, um den ultimativen Traum von der heilen Welt zu bieten.
Seither gilt Hockney als einer der populärsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Jetzt widmet das Kunstforum Wien dem Malerstar mit rund 130 Gemälden und Zeichnungen, die großteils aus dem britischen Museum Tate London stammen, eine Retrospektive. Damit ist erstmals in Österreich überprüfbar, warum diese sonnig-plakativen Bilder eigentlich so beliebt sind: Ist es die naive Bildsprache, figurativ und damit wiedererkennbar? Oder die aus dem Alltag stammenden, nichtssagenden Bildmotive, die ohne jegliche Brechung auskommen? Vielleicht der Verzicht auf vielsagende Details, die uns netterweise keinerlei Interpretationen abverlangen? Es ist wohl die Mischung daraus, die Hockneys Werk als eher „niedrigschwellig“ einstufen lässt, wie es Kuratorin Bettina Busse nennt. Konsequenterweise lässt sie die Schau auch mit den Pool-Bildern beginnen.
Aber schon im nächsten Raum folgen im großen Zeitsprung Hockneys in krassen Farben gemalte Landschaften, der lila Baumstumpf im grellgrünen Wald oder der allzu lieblich-rosafarbene Weg durch eine Allee rauben einem fast den Atem. Kann man eine heile Welt noch mehr übertreiben? Kaum, und da beginnt man langsam, die eigenen Vorurteile in Frage zu stellen. Und zu entdecken, dass Hockney zwar weder konzeptuelle noch kritische Strategien verwendet, aber doch immer eine kleine Tür für Zweifel offenlässt. „Subtil bösartig“ beschreibt Busse das Portrait von Hockneys Eltern von 1977, in dem nichts beschönigt ist, weder die stille Einsamkeit der beiden noch die Kargheit des Wohnraumes. Die Bücher in dem giftgrünen Rollenschrank bezeugen die kulturelle Bildung im Elternhaus. Auf einem Buch ist der Name des französischen Malers Chardin zu lesen, dessen Stillleben von Bescheidenheit und Harmonie geprägt sind – doch ein kleiner Hinweis? Hockneys Portraits von Freunden waren ein riesiger Erfolg, und doch bog er von dem Weg ab.
Bald darauf entstanden Bilder mit Motiven, die wie ausgeschnittene Fragmente nebeneinanderschweben – erinnert das nicht an den französischen Maler Henri Matisse? Ja, und daraus machte Hockney auch nie ein Geheimnis, verarbeitete in den 1980ern/1990ern auch die kubistische Bildsprache von Pablo Picasso, um dann aber wieder zu seinem eigenen, figurativen Stil zurückzukommen. Abstraktion, und sei es noch so dezent, war nicht seine Sache. 2011 filmte er mit mehreren Kameras von einem fahrenden Traktor eine britische Landschaft, die mit 18 synchronisierten Monitoren einen wunderbar meditatives Werk ergeben. Um 2017 experimentierte er mit sechseckigen, wie ein halbes Oktogon wirkenden Bildern, mit denen er etwa die tiefen Schluchten des Grand Canyon in der Leinwandform verdoppelt. Allerdings dienten ihm diese Formen auch für Interieurs und sogar Engel in einer Säulenhalle. Mehr als 20 Werke dieser Serie montierte er zusammen auf den riesigen Tintenstrahldruck „Im Atelier“. Mittendrin steht der Maler, wie eingezwängt von der Menge seiner Werke. Mittlerweile interessiert Hockney die analoge Malerei kaum noch. Er nutzt vorwiegend das iPad – auch, weil er so „im Anzug gekleidet“ malen kann, wie Hans-Ulrich Obrist im Katalog erklärt. In dieser Ausstellung im Kunstforum Wien können wir einen Hockney erleben, der weit über die allzu heile Welt der kalifornischen Pools hinausgeht. Hier können wir endlich verstehen, warum so viele Künstler:innen sich einig sind in der hohen Wertschätzung dieses Malers: Hockneys Werk ist frech, ist mutig, ist experimentell. Es zeigt eine Welt der Offenheit und eine optimistische, wunderbare Freude an Farben – genau die richtige Ausstellung für unsere Zeit!

David Hockney, Insights, Kunstforum Wien, 10.2.-19.6.2022
veröffentlicht in: Die Presse, 9.2.2022