Edge of Arabia, Berlin 2010

09. Jul. 2010 in Ausstellungen

Edge of Arabia? Was verbirgt sich hinter diesem Namen, unter der eine Ausstellung in Berlin läuft? „Listen Lady! Don´t be a sheep! You need to come out of your shell. It´s hell.“ Weiter kommt man nicht, dann geht das Licht an. Die Sätze verschwinden im Dunkeln, es leuchten nur noch wenige Buchstaben auf. Immer wieder lesen wir jetzt „man“, „his“, „he“. Die männlichen Pronomen dominieren, nein, sie sind die Botschaft. Und schon wird man mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert. Denn Girl‘s Room, so nennt Hala Ali ihre Installation, erscheint unerwartet kämpferisch für die Arbeit einer saudi-arabischen Künstlerin. Doch genau darum geht es. Die Ausstellung „Grey Borders/Grey Frontiers“, im SoHO-Haus in Berlin-Mitte zu sehen, betreibt Klischeekorrektur und gibt hierzulande einen erstmaligen Überblick über die junge Kunstszene Saudi-Arabiens. Obwohl es kaum Galerien, bisher keine Museen für zeitgenössische Kunst und keine Akademien gibt, sind die Werke der Teilnehmer überraschend vielseitig – und kritisch.
Die Ausstellung ist Teil des „Edge of Arabia“-Projektes, das 2003 seinen Anfang nahm, als der Brite Stephen Stapleton das Al-Miftaha Arts Village im saudischen Abha besuchte und anschließend fünf Jahre lang die dortige Kunstszene recherchierte. Seit 2008 werden unter dieser Dachmarke Ausstellungen zeitgenössischer saudi-arabischer Kunst gezeigt, unterstützt vom saudischen Kulturminister und mitfinanziert vom Großunternehmen Abdul Latif Jameel Co Ltd – eine konzertierte Aktion zur Umdeutung unseres Bildes von Saudi-Arabien also. Die absolutistische Monarchie, die als besonders strenggläubig und islamisch-konservativ gilt, entdeckt die Kultur als Exportschlager und Imageträger. Es scheint, als könnte mit dem „Edge of Arabia“-Projekt die kulturelle Abschottung des Landes gen Westen ein wenig aufgeweicht werden.
Nach Stationen unter anderem in London und Venedig wird dieses Jahr die zeitliche und räumliche Nähe zur Berlin Biennale genutzt. Hier jedoch beginnt ein neuer Weg. Diesmal ist die Schau nicht von Stapleton, sondern von dem jungen Geschäftsmann und Sammler Rami Farook aus Dubai kuratiert worden, der Künstlerliste wie Konzept änderte. Mit Hala Ali und Sami Al-Turki etwa lud er zwei sehr junge, in Saudi-Arabien geborene, aber in den Emiraten ausgebildete Künstler neu ein und lenkt zusätzlich den Schwerpunkt vom Überblick auf einen inhaltlichen Fokus: In fünf „Conversations“ aufgeteilt, spricht Farook so zentrale Themen wie „Identität versus Identitätskonfusion“, aber auch „Eine Ode an den moderaten Islam“ an.
Auf Identitätssuche begibt sich etwa der 1984 in Jeddah geborene Sami Al-Turki mit seinem Video Running, das bereits letztes Jahr auf der Biennale von Venedig im ADACH-Pavillon zu sehen war: Ein Mann geht eine leere Straße entlang – und setzt sich am Ende in einen Sessel am Wegesrand. Aufbruchsstimmung und Zögern, Sehnsucht und Verharren zugleich. Auf solche Ambivalenzen trifft man in der Ausstellung immer wieder, etwa bei der Antenne aus Neonröhren von Ahmed Mater: Sender oder Empfänger? Oder bei seiner Bildserie Evolution des Menschen, die vom Piktogramm einer Tanksäule zum Röntgenbild eines Mannes führt, der sich eine Pistole an den Kopf hält. Konsumkritik, sagt Mater. Das aus einem Land, das zwar zu den zehn weltweit größten Erdölförderern gehört, in dem aber der Großteil der Bevölkerung in Armut lebt. Kritik, das wird in dieser Ausstellung immer wieder deutlich, ist zwar möglich, aber nicht anhand konkreter Situationen. So stellt Mater nicht das soziale Ungleichgewicht zur Debatte, sondern die weltweite Entwicklung von Konsum und Energieverschwendung.
Eine deutliche Sprache sprechen dagegen die Beiträge der fünften „Konversation“ zum Thema „öffentlich/privat“ – ein Dualismus, der in der arabischen Welt beherrschend ist. Hier dominieren die Künstlerinnen: Direkt neben Hala Alis rebellischem Girl‘s Room hängen Jowhara AlSauds Fotografien aus der Serie „Out of Line“. Alsaud, die aus der saudischen Königsfamilie stammt, in den USA studierte und dort auch überwiegend lebt, thematisiert die Problematik von Portraits: Persönliche Portraits sind in Saudi-Arabien für die häusliche Privatsphäre reserviert und dürfen nicht im öffentlichen Raum gezeigt werden. Also bearbeitet die Künstlerin ihre privaten Fotografien so lange, bis die festgehaltene Szene noch deutlich erkennbar, Gesichter und konkrete Hintergründe es jedoch nicht mehr sind – eine gespenstische Privatheit, die mehr von kulturellen Zwängen und Regeln erzählt, als es jede Erklärung vermag. Und das Geschwisterpaar Shadia & Raja Alem präsentiert lakonisch zwei Monitore, die blockierte Internetseiten zeigen – staatliche Zensur im Netz.

Natürlich entkommt auch diese Ausstellung nicht dem Problem einer jeden Länderschau, dass der Betrachter ins Ethnologische abdriftet – vor allem dann, wenn er sich mit Werken konfrontiert sieht, die aus einem ihm bislang unbekannten Kunstterritorium stammen. Hier aber ist dieser Blickwinkel durchaus gewünscht. Denn hier sollen ja gerade unsere Vorurteile über zeitgenössische Kunst in und aus Saudi-Arabien, über den Aktionsradius der arabischen Frauen und über die Offenheit des politischen Systems auf die Probe gestellt werden. Mehr noch: Jede diese Arbeiten bezeugt auf unterschiedliche Art und Weise die ungeheure gesellschaftliche Umbruchsituation, in der sich Saudi-Arabien offensichtlich befindet. Und genau das, erklärt der Kurator, sei auch sein Ziel: „Wir wollen die Identitätskrise zeigen, die die islamische Welt erfasst hat.“

Edge of Arabia Berlin: „Grey Borders/Grey Frontiers“, mit Shadia & Raja Alem, Manal Al-Dowayan, Jowhara Alsauds, Abdulnasser Gharem, Hala Ali, Maha Malluh, Ahmed Mater, Faisal Samra, Sami Al-Turki, Ayman Yossri Daydban – Torstraße 1, Berlin. Vom 9. Juni bis 18. Juli 2010

veröffentlicht in: www.artnet.de, 9. Juli 2010, Bildkorrektur in Grautönen