Gerahmtes Gedächntis

21. Sep. 2015 in Kunstmarkt

Ob im Auktionskatalog oder Magazinbericht, in den Blick gerückt werden immer die Bilder. Was aber ist mit den Rahmen, die nahezu jedes Werk begleiten?

Ursprünglich wurden sie nur für den sakralen Raum angefertigt, waren aus Holz, manchmal aus Marmor. Geschnitzt und bemalt, gehörten die kunstvollen Einfassungen mehr zur Architektur als zur Malerei. Im 16. Jahrhundert entwickelte sich dieses Element zur dekorativen Aufwertung des Gemäldes. Zeitweise prunkvoll, seit der Moderne äußerst reduziert, schützen diese Einfassungen heute vor allem Papierarbeiten. Ein ganz besonderes Kapital in der Geschichte der Rahmen aber kommt der Fotografie zu, denn nirgendwo sonst entfaltete sich eine derartig kuriose Formen- und Materialvielfalt.

 

Mehr als drei Jahre sammelte die junge Wiener Restauratorin und Fotohistorikerin Mila Moschik besonders außergewöhnliche Beispiele dazu, die sie jetzt in der Ausstellung „Gerahmtes Gedächtnis“ im Wiener Photoinstitut Bonartes zeigt (bis 18.12.). Zunächst hoffte sie auf Leihgaben aus Museen. Aber das war nicht möglich. Dort existieren diese Zeitdokumente nicht bzw. nicht mehr. Rahmen wurden als unnötiger, platzraubender Zusatz angesehen – und entsorgt. Einzig das Wien Museum konnte Moschik einige Exponate zeigen, die als Teil von Verlassenschaften in die Sammlung kamen. Besonders Schauspieler legten offenbar Wert auf erfinderische Rahmen für ihre Lichtbilder.

 

Also wurde Moschik Stammkundin in Antiquitätengeschäften und rekonstruierte die Geschichte der Fotografierahmen. Wie in der Malerei so beginnt es auch hier mit kunstvoll gefertigten Einzelstücken. Aber anders als in der Malerei dienen diese Objekte nicht nur der Freude an Handwerk und Prunk, sondern vor allem der Verstärkung einer Erinnerung. In der Ausstellung ist eine frühe Daguerreotypie von 1845 ausgestellt, ein mit Pappmaché gerahmtes, kleines Portraitbild. So bescheiden blieben die Einfassungen nicht, schon bald kamen Messing und Holz als wichtige Materialien dazu. Um 1850 halfen Klappetuis, die Fotografien schonungsvoll auf Reisen mitzunehmen. In der Ausstellung sehen wir auch einen rustikalen Miniatur-Faltrahmen aus kleinen Holzstücken für fünf Soldatenportraits; das Kaiserpaar Elisabeth und Franz-Josef wurde in einem Velourlederrahmen mit Goldprägung vor Beschädigung geschützt.

 

Anders als die Reise-Rahmen entstand für Fotografien in Eigenheimen eine erstaunliche Kultur aus visuellen und haptischen Details: Da ist ein Portraits auf Samt gebettet, verziert mit floral angeordneten Nieten oder inmitten einer Haus-ähnlichen Anordnung von lackierten Wäscheklammern. Die Einfassung eines Hochzeitsfotos ist mit weißem Tüll aufgefüllt, ein Frauenportrait mit kunstvoller Echthaar-Malerei auf Glas eingefasst. Erfinderisch arrangiert sind auch die 12 Portraits von dem Komponisten Alfred Grünfeld, die ihn auf einer Standuhr angeordnet zu jeder Stunde in einem anderen Lebensalter zeigen. Viele sind von Handwerksmeistern, einige aber auch im häuslichen Umfeld entstanden, der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt worden: das Portrait eines Kavallerieunteroffiziers ruht in einem Stahlrahmen auf einem Pferdehuf-Sockel.

Oder die Aufnahme eines Großbürgerhauses mit Kutsche davor und zwei Ziegen steht auf einer Miniaturstaffele – welche spannende Aufwertung in Richtung Malerei! Einfache Ausführungen solcher gerahmter Andenken kosten heute ab 20,- Euro, die Aufwendigeren ab 300,- Euro, das Portrait eines Mannes in einem prächtigen Hirschgeweihrahmen bereits 1000,- Euro.

1860 kam dann der erste Wechselrahmen auf, Fotografien wurden im Format standardisiert und erste Rahmenhandlungen entstanden, die die Einzelanfertigungen ablösten. Trotzdem blieb der Wunsch nach einem taktilen Erlebnis zur Verstärkung der emotionalen Erinnerung bestehen. Davon zeugen Materialien wie Leder und Samt, Perlleisten und Glasperlen zur Verzierung. Zur Veredelung wurden manche Lichtbilder auch auf Porzellan gedruckt, was zu so makabren Kombinationen führen konnte wie die Servierschüssel mit Fisch- und Blumenmotiven – und mittendrin die Fotografie einer Tischgesellschaft.

 

Alle diese prächtigen Fassungen dienten der Verstärkung einer Erinnerung. Das Vorbild dieser Kultur sind religiöse Souvenirs, in der Ausstellung sehen wir ein Maria Zell-Souvenir um 1900 mit getrockneten Blumen. Bald wurden diese dekorativen Erinnerungsstücke für touristische Orte entdeckt wie die Fotografie eines Kurorts, der 1890 auf einen Serviettenring, eine kolorierte Ansicht von Salzburg, die auf ein Schuhsohlenimitat aufgedruckt wurde. Im letzten Schritt eignete sich dann die Werbung diese Methode der aufgewerteten Erinnerung an. Wenn ein Briefbeschwerer für eine Transportfirma wirbt und das Portrait von Prinzessin Stephanie 1881 einen Notizkalender ziert, dann ist die Gedächtniskultur kommerzialisiert – und die ehemals aristokratische Gewohnheit der Ahnengalerien endgültig  verbürgerlicht. Auch wenn die Ausstellung bei Bonartes Anfang des 20. Jahrhunderts endet, reicht diese Kultur bis heute weiter. Einen Rahmen braucht es jetzt allerdings nicht mehr, die Fotografien werden direkt auf Kaffeetassen und T-Shirts gedruckt oder gleich als Tattoo in die Haut geritzt.

 veröffentlicht in: Die Presse, 20.9.2015

Bildcredits:

1_Miniatur-Faltparavent aus geschnitztem Holz mit Soldatenporträts, 13×26 cm (darin 5 Carte-de-visite-Fotografien: u.a. Tiroler Jäger-Regiment und Kaiser Franz Joseph I., 1885–1910, Albumin, Kollodium); © Sammlung Mila Moschik

2_Hirsch-, Gämsen-, und Eberhornrahmen, Steiermark um 1900, 54×27,5 cm (darin Kabinettporträt eines Mannes, Silbergelatine, 1927). © Photoinstitut Bonartes

3_Gegossener Metallrahmen von C. A. Czichna, Innsbruck um 1910, 28,3×22,3×3 cm (Carte-de-visite-Fotografie auf geprägtem Passepartout, unten beschrieben „Schau mir nur recht ins Gesicht, bin ichs oder bin ichs nicht?“, bombierter, kolorierter Albuminabzug, Foto Canesi, Mailand). © Sammlung Mila Moschik

4_Klapprahmen aus Veloursleder mit Goldprägung von J. Weidman, Wien um 1865, 18,5×18 cm (darin Carte-de-visite-Fotografien von Kaiserin Elisabeth und Kaiser Franz Joseph I., Albumin). © Sammlung Mila Moschik

5_Holzrahmen aus lackierten Wäscheklammern, um 1915, 35×22 cm (darin Porträt, Silbergelatine, 1928). © Sammlung Mila Moschik

6_Stellrahmen aus Hufeisen mit Sockel aus Pferdehuf, 13,5×8×8,5 cm, um 1915 (darin Porträt eines Kavallerieunteroffiziers, Silbergelatine, Fotoatelier Rivoli, Lemberg). © Sammlung Mila Moschik

7_Samtrahmen für 45 fotografische Verkleinerungen, verziert mit beschichteten, geprägten Luxuspapieren, um 1855, 22×17 cm (darin Porträtfotografien, Veduten und Gemäldereproduktionen, Kollodium). © Sammlung Mila Moschik

8_Bemalte Servierschüssel mit Fisch- und Blumenmotiven sowie Fotografie auf Porzellan, um 1885, 24×61 cm. © Sammlung Mila Moschik