Globalismus, Globalisierung, Globalität – Globalkunst?

09. Mai. 2011 in Ausstellungen

Globalisierung ist eine wirtschaftliche Entwicklung – was aber bedeutet das für die Kunst? Gibt es eine Globalkunst oder haben wir es immer noch mit der Vormachtstellung der westlichen Kunst zu tun?
„Es wird Zeit zur Neuinszenierung der Welt.“ Mit ähnlichen Worten haben vor einem halben Jahrhundert die Situationisten der ´Gesellschaft des Spektakels´ den Kampf angesagt. Jetzt ist es die indische Kulturwissenschaftlerin Nancy Adajania, die etwas Ähnliches anstrebt. Ihr begriffliches Handwerkzeug ist „Globalismus“. In der Winter-Ausgabe der österreichischen Kunstzeitschrift ´Springerin´ schreibt sie, Globalismus sei „die Reflexion des Verlangens, das kulturelle Selbst anderen gegenüber auf eine Art und Weise zu äußern, die Abhängigkeit vermeidet und Zusammenarbeit begrüßt, um zu einem produktiven Kosmopolitismus beizutragen.“ Die Neuinszenierung zielt also auf eine Gesellschaft, die auf Austausch und Gegenseitigkeit beruht.
´Globalismus´ ist ein vergleichsweise neuer Begriff, der seine Kraft aus der Abgrenzung zu ´Globalisierung´ erhält. Denn ´Globalisierung´ bezeichnet den 1989 einsetzenden, weltwirtschaftlichen Transformationsprozess und enthält keinerlei Aussage über politische oder kulturelle Entwicklung, nicht einmal über das alltägliche Leben. Dafür steht ´Globalität´, was den Bezugsrahmen menschlicher Existenz (Robert Robertson) bezeichnet, laut Beck die Lebensform einer „wahrgenommenen, reflexiven Weltgemeinschaft“, die bestimmt ist durch Vielheit ohne Einheit. ´Globalismus´ wiederum ist laut Ulrich Beck die neoliberalistische Ideologie der Globalisierung: das wirtschaftliche Handeln verdrängt das politische Handeln mit dem Ziel der Weltmarktherrschaft. Adajania dagegen sieht ´Globalismus´ als „Reflexion und Gegenmittel zur Globalisierung“.
´Global´ steht also sowohl für Feindesland als auch als Hoffnungsträger. Auf dem Symposium „Globalism. Chances, Discontents and Extrems“, veranstaltet im Februar 2010 von der „Springerin“ im MUMOK Wien, wurde deutlich, dass die Entscheidung darüber eine Frage der Herkunft ist: je westlicher, je kritischer. Charles Esche etwa, Direktor vom Van Abbemuseum in Holland, lehnte rigoros jeden Begriff ab, der sich vom lateinischen ´Globus´, also ´Kugel´ ableitet und doch immer nur wirtschaftliche Interessen bezeichne. Stattdessen schlug er „Planetarism“ vor, in Anlehnung an Antonio Negri eine Subversion der Globalisierung, weil sie konventionelle Differenzen unterläuft. Keiko Sei, die von der Kunstszene in Bangkok, und Hafiz, der über jene in Djakarta berichtet, setzten die Globalisierung als Start der dortigen Entwicklungen zeitgenössischer Kunst – und beide sahen bei aller Kritik in der Globalität eine Chance.
Tatsächlich ist die Kunstwelt nicht nur in Asien maßgeblich beeinflusst von den wirtschaftlich bedingten Entwicklungen seit 1989. Die zeitgenössische Kunst, wie wir sie heute kennen, ist ohne die weltwirtschaftliche Globalisierung gar nicht denkbar. So nimmt seit 1989 nimmt die Zahl zeitgenössischer Biennalen vor allem in nicht-westlichen Ländern rapide zu – und damit auch der KünstlerInnen. Erfunden 1894 in Venedig, wurden bis 1989 knapp zwei Dutzend dieser periodisch angelegten Ausstellungen gegründet. Bis zum Jahr 2000 kommen weitere vierzig, seit der Jahrtausendwende noch einmal 32 hinzu – und gezählt sind hier nur jene Veranstaltungen, die in der internationalen Fachpresse erwähnt werden. Noch deutlicher wird die Bedeutung der Globalisierung im Kunsthandel. Denn mit der weltweiten Dominanz der Wirtschaft vermarkten die Auktionshäuser mehr und mehr regionale Kunstszenen, dies aber nicht mehr ausschließlich im Westen, sondern global: russische Kunst bei Sotheby´s in New York; arabische, iranische und türkische Kunst bei der Auktion von Christie´s in Dubai oder südasiatische Kunst in London. Auch die Kunstmessen von Basel über London bis Hongkong sind zunehmend global ausgerichtet, da die Galerien aus immer mehr Ländern stammen, manche Filialen gründen wie Sfeir-Semmler (Hamburg) oder Tanit (München) in Beirut und immer mehr Galerien wie Ursula Krinzinger (Wien) in ihrem Programm KünstlerInnen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammen bringen. Erst die „Weltmarktherrschaft“, so muss man schlussfolgern, und nicht politische Setzungen oder gar kulturelle Initiativen, ermöglicht die derzeitige Erfolgsgeschichte der weltweiten zeitgenössischen Kunst.
Eine solche Entwicklung verlangt nach neuen Begriffen. Was liegt da näher, als von ´Globalkunst´ zu sprechen? In dem Adjektiv ´global´ schwingt eben jenes Versprechen mit, dass heute zu den wichtigsten Voraussetzungen einer „Neuinszenierung der Welt“ gehört: die Überwindung der längst überkommenen, geopolitischen Aufteilung der Welt in westlich / nicht-westlich. Globalkunst bezeichnet dann jene Kunst, die nicht mehr aus der kulturellen Überlegenheitsperspektive des Westens, sondern aus der Erfahrung von Globalität und unter den Bedingungen der Globalisierung entsteht. Mit dem Verweis auf die wirtschaftliche Grundlage kann auch die Befürchtung entkräftigt werden, die der algerische Autor Mourad Yelles formuliert, wenn er von einem „trojanischen Pferd“ spricht, „vom Westen erfunden, um seine Hegemonie über die ´Schwellenländer´ zur Vollendung zu bringen.“ In der Globalkunst existiert ein Universalitätsanspruch nicht mehr – im Gegenteil. Gerade in der Globalkunst wird es möglich, eine polyzentrische Wahrnehmung der Welt durchzusetzen, in der explizit Lokales mit Globalem verbunden wird wie in den Beiträgen des indischen KünstlerInnen-Plattform CAMP. Mit dem Radio- und Buchprojekt „WAHRFAGE“, entstanden zur 9. Sharjah Biennale, thematisieren sie den Handel als „space of conflict“ und fordern dazu auf, die malerischen Schiffe nicht als Fotomotiv für Touristen, sondern im globalen Zusammenhang der Waren, der Arbeitsbedingungen und der eingeschränkten Rechte der Seeleute wahrzunehmen. Zugleich zeigen sie aber auch „präkoloniale Seegeschichten von Austausch, Dialog und Zusammenarbeit“ entlang der Küstenregion des Indischen Ozeans, wie Adajania betont.
Es ist ein Kennzeichen der Globalkunst, dass hier kulturhegemoniale und politische Grenzen zur Diskussion stehen, politische Kräfteverhältnisse gespiegelt und in Frage gestellt, nationale Geschichte aufgearbeitet werden und eine neue – globale – Kunstgeschichte begonnen wird. Globalkunst wie sie auf Biennalen in Istanbul, Sharjah, Gwangju oder Singapur zu beobachten ist, folgt keiner – westlich geprägten – Einheitsvorstellung, sondern entwickelt eine auf wechselseitiger Beeinflussung basierende visuelle Sprache, in der lokale Traditionen, regionale Historie und globale Themen zusammenfinden. Kulturelle Identität fungiert dabei nicht als Festschreibung, sondern wird als Joker eingesetzt. Eine „kritische Transregionalität“ nennt Adajania diesen Ansatz, den ich hier auch als Kernpunkt einer Globalkunst übernehmen möchte. Denn anders als Kunst, die lediglich rund um die Welt gezeigt und verkauft wird, überwindet die Globalkunst weit mehr als nur nationale Grenzen. Diese Kunst überwindet bewusst die Prämissen des Kolonialismus, des Kalten Krieges oder solcher Slogans wie ´Kampf der Kulturen´. Globalkunst vermag das zu leisten, was Adajania mit ihrer „Neuinszenierung der Welt“ vorschlägt: Die Entdeckung von Gemeinsamkeiten, möglicherweise auch prämoderne und präkoloniale Verbindungen und die Erstellung von entterritoralisierten Kartografien.
veröffentlicht in: NZZ, Mai 2011