Günter Brus im Belvedere 21

05. Feb. 2018 in Ausstellungen

Günter Brus, Portfolio Ana IV, 1964/2004, SW-Fotografie. Foto Khasaq (Siegfried Klein), © Belvedere, Wien

Günter Brus, Portfolio Ana IV, 1964/2004, SW-Fotografie. Foto Khasaq (Siegfried Klein), © Belvedere, Wien

Nackte Auftritte, öffentliches Urinieren, selbstzerstörerische Aktionen voller Blut, deutlich erotische Posen, wilde Exzesse – dafür sind die Wiener Aktionisten heute weit über Österreich hinaus bekannt. Noch immer, fünfzig Jahre später, wirken diese Aktionen auf viele provokant. Man ahnt, wie enorm ihre Kraft in den 1960er Jahren gewesen sein muss. Damals suchten die Künstler verkrustete, gesellschaftliche Strukturen mit radikalen Mitteln aufzubrechen, verlangten eine freie Sexualität und wollten politische Tabus ausräumen.

Günter Brus, Wiener Spaziergang, 1965. SW-Fotografien, Sammlung Günter Brus. Foto: Ludwig Hoffenreich, © Günter Brus

Günter Brus, Wiener Spaziergang, 1965. SW-Fotografien, Sammlung Günter Brus. Foto: Ludwig Hoffenreich, © Günter Brus

Das verstörte nicht nur die Bürger, sondern auch die Polizei. Als Günter Brus in seinem „Wiener Spaziergang“ 1965 durch die Straßen spazierte, hielt ihn ein Polizist an. „Das ist Kunst“ reichte dem Amtsmann offenbar nicht als Erklärung für den komplett weiß bemalten Mann mit einem schwarzen, Narben-ähnlichen Strich über Gesicht und Anzug. Er nahm Brus mit auf die Wache und verordnete eine Geldstrafe wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Als Günter Brus dann auch noch 1968 onanierend die Nationalhymne sang, wurde er nach einer zweimonatigen Untersuchungshaft zu einem verschärften Arrest verurteilt – und floh mit Frau und Kind nach Berlin.

Günter Brus, Große Weltnachtpartitur – Wien weint nicht ..., 1985 Foto: © Belvedere, Wien, Johannes Stoll

Günter Brus, Große Weltnachtpartitur – Wien weint nicht …, 1985. Foto: © Belvedere, Wien, Johannes Stoll

Rund sieben Jahre blieb er in der deutschen Stadt, die damals noch inmitten der feindlichen DDR lag, wo sich junge Männer dem westdeutschen Wehrdienst entziehen konnten und Politik inbrünstig diskutiert wurde. Hier musste Brus keine Mauern in den Köpfen mehr einreißen, und hier begann er mit einer neuen Werkreihe, den Bild-Dichtungen, in denen er Zeichnungen mit kurzen, prägnanten Texten verband. Manchen scheinen diese Werke als weniger provokante, ruhige zweite künstlerische Phase. Wie eng beides zusammenhängt, und wieviel Provokation auch darin liegt, unterstreicht jetzt die großartige Retrospektive im Belvedere 21.
Unruhe nach dem Sturm“ lautet der Titel der Schau pünktlich zum 80. Geburtstags des Künstlers daher auch passend. Anhand der 734 Einzelwerke zeigt Kurator Harald Krejci, dass die beiden eigentlich so konträr erscheinenden Phasen der brachialen Aktionen und subtilen Bild-Sprach-Zeichnungen ein in sich stringentes Werk sind. Daher ist die Ausstellung in der oberen Etage des neuerdings Belvedere 21 genannten Pavillons auch nicht chronologisch gehängt, sondern in Werkgruppen.

Günter Brus, Schwarz auf Weiß, 1961. © mumok - Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes

Günter Brus, Schwarz auf Weiß, 1961. © mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes

Erst im zweiten Raum hängen die frühen Bilder von 1963 im Stil der Informell-Malerei: stark gestisch, abstrakt, schwarz-weiß. Die Künstler dieser Stilrichtung, die ihren Ursprung im Paris der 1940er Jahre hatte, betonten das Prinzip der Formlosigkeit, grenzten sich gegen die Strenge der geometrischen Abstraktion ab und suchten mit spontanen Pinselstrichen einen Ausdruck für Gefühle zu finden. Man kann die Bilder auch als eine Antwort der Maler auf die Grauen des Zweiten Weltkriegs lesen, die sich jeglicher Möglichkeit einer Abbildung entzogen.

Günter Brus, Portfolio Ana IV, 1964/2004 SW-Fotografie. Foto: Khasaq (Siegfried Klein), © Belvedere, Wien

Günter Brus, Portfolio Ana IV, 1964/2004. SW-Fotografie. Foto: Khasaq (Siegfried Klein), © Belvedere, Wien

Nach seinem Wehrdienst konnte Brus nicht mehr zu dieser Tradition zurückfinden. Er suchte einen neuen Weg, auf seine Zeit zu reagieren. Den fand er in der Überwindung der Malerei durch die Aktion. So wickelte er sich in „Ana“ 1964 in eine grundierte Leinwand ein, um am Ende als Figur im Raum zu stehen, im Bild – eine zentrale Aktion, die in der Ausstellung gleich gegenüber der Informell-Bilder hängt. In „Selbstverstrickung“ (1965) steigt er als schwarze Figur aus einer weißen Leinwand heraus, zerstört das alte Bild, übergießt sich mit weißem Mehl und wird so selbst zur Leinwand. Aber auch diese Phase fand ein Ende. 1969 führte Brus „Zerreißprobe“ in München auf, die ultimative Aktion, nach der er nur entweder sterben oder aufhören konnte, wie er einmal sagte. Er entschied sich für das Aufhören.

Günter Brus, Schlaues Füchslein, Kostümentwürfe, 1994. Archiv Brus

Günter Brus, Schlaues Füchslein, Kostümentwürfe, 1994. Archiv Brus

Das Berliner Exil bot ihm dann einen unerwarteten Weg. Dort traf er sich mit Mitgliedern der ehemaligen Wiener Gruppe, einer losen Vereinigung österreichischer Schriftsteller. Ihre Texte waren von Sprachskepsis und Sprachkritik gekennzeichnet, sie experimentierten mit Lautpoesie bis visueller Lyrik. Zusammen mit Otmar Bauer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener gründete Brus die „Österreichische Exilregierung“, als deren „Organ“ er die „Schastrommel“ herausgab. Das von 1969 bis 1974 im Eigenverlag publizierte, auf 500 Exemplare limitierte Heft versammelte Beiträge von Künstlerkollegen wie Dieter Roth, Texte von Oswald Wiener, aber auch die Zeitungsberichte über die Wiener Aktionen, die durch diese Zeitschrift überhaupt erstmals über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus bekannt wurden. Aber eigentlich hatte Brus da ja schon längst mit dem Aktionismus abgeschlossen. Stattdessen begann er seine Wort-Dichtungen, Kombinationen von kurzen, lyrischen Sätzen mit Bildmotiven. Darin überwindet er die Wortlosigkeit des Informell und die Selbstzerstörung des Aktionismus und findet zu einer bissig-messerscharfen Wort-Bild-Sprache. Manche dieser Werke zeigen Reflexionen über die Sprache wie die Zeilen „Vom Satzbau verlassen, können Wörter weder lieben noch hassen“ (1999), Religionskritisches wie „Gott hätte lieber sich erschaffen sollen als die Welt“ (2000) oder wunderbar Poetisches wie „Das Auge ist eine Schlucht, in welche die Erinnerung stürzt“ in der Serie „Augen. Aufklärung“ (1998).
In der Zeichnungsgruppe „Irrfahrt“ (2002) zitiert Brus seine Körperbemalung des „Wiener Spaziergangs“, zeichnet eine Naht über ein Gesicht und schreibt darunter: „Es Lächeln entblösste Nerven im Weltenall. Die Künste stöhnen und machen umsonst Krawall.“

Günter Brus, Luna Luna, Außenseite Pavillon, 1987. Archiv Brus

Günter Brus, Luna Luna, Außenseite Pavillon, 1987. Archiv Brus

Seine exzessiven Selbstverletzungen hatte Brus aufgegeben, aber seine Radikalität verlor er nie. Jedes dieser Blätter ist voller Sprengkraft, auf die jene Beschreibung zutrifft, die eifrige Wiener Psychiater in ihren Gutachten anlässlich der Verhaftung Brus´ 1968 so treffend formuliert hatten: „Es finden sich stark ausgeprägte Hinweise auf erhöhte Aggressionsmechanismen und auf eine massive Konfliktbereitschaft mit der Umgebung“.

Günter Brus, Belvedere 21, Arsenalstraße 1, 2.2.-12.8.2018
veröffentlicht in: Die Presse, 2.2.2018