Kairo Biennale 2010 – ein Dinosaurier

19. Dez. 2010 in Biennalen

Durch jede Ritze dringt der feine Staub. Auf allen Tischen liegt eine dünne Schmutzschicht, zwischen den Zähnen knirscht es. Seit drei Tage ist Sandsturm in Kairo. Aber das ist nicht der Grund, warum nur knapp einhundert Menschen zur Eröffnung der 12. Kairo Biennale kommen. Kein einziges Plakat im Stadtraum wirbt für die Ausstellung. Bis wenige Tage vorher blieb auch die genaue Uhrzeit der Eröffnung ein Geheimnis. Und es interessiert auch kaum noch jemanden. Denn die 1984 gegründete Schau hat ihre Monopolstellung in der ägyptischen Hauptstadt verloren. Die junge, vitale Kunstszene hat sich schon längst eigene Räume gesucht.

Bis zur Jahrtausendwende war die Kairo Biennale das einzige Forum für zeitgenössische Kunst – streng staatlich kontrolliert, von Malern für Maler. Aber seit der Kanadier William Wells 1997 die nichtkommerzielle Townhouse Gallery gegründet hat, ist Bewegung in die ägyptische Kunstszene gekommen. Nicht nur holt Wells ausländische KünstlerInnen durch sein Stipendien-Programm in die Stadt. Auch finden hier in Downtonw-Kairo regelmäßig Ausstellungen, Theatervorführungen und Vorträge statt. Mit den Monitoren im Fenster umgeht er geschickt das Verbot von Kunst im öffentlichen Raum und mit den Straßenkinder-Projekten mischt er das soziale Gefüge der Gegend auf. 2003 startete  hier das jährliche Festival PhotoKairo, 2004 gründeten hier junge KünstlerInnen das Contemporary Image Collective (CIC), das heute als eigenständige Institution drei Blocks entfernt Ausstellungen zeigt und Kurse für kritischen Fotojournalismus anbietet.

Townhouse, Kairo

Anders als die Kairo Biennale sind diese Aktivitäten nicht staatlich finanziert, sondern von der US-amerikanischen Ford Foundation unterstützt. 2009 gab das Kairo-Büro der Organisation mehr als 15 Mio. $ für kulturelle Projekte aus, um „die Marginalisierten darin zu bestärken, ökonomische, soziale und kulturelle Rechte zu erhalten“, wie es heißt. Gleichzeitig schenken die USA der ägyptischen Militärregierung jährlich mehr als 1 Milliarden Dollar – wohl um eine gewisse Stabilität der ´Freundschaft´ zu garantieren, indem die herrschende Diktatur unterstützt wird.

DARB 17 18

 

Moataz Nasreldin

Neben der rapide zunehmenden Anzahl von Kunstinstitutionen, Galerien und Sammlern hat sich jüngst ein weiterer Raum etabliert, „DARB 17 18“ nahe des Koptischen Viertels. Hier zeigt Goran Hassanpour seine Installation mit Pfeilen, die man auf eine Wahlurne schmettern kann. Die daran befestigten Stimmzettel werden das Innere allerdings nie erreichen – der Bezug zur absurden Parlamentswahl im November, in der die starke Oppositionspartei der Muslimbrüder nur 2 von 221 Sitzen erhielt, ist unübersehbar.

All diese Orte eröffneten einen Tag nach der Biennale. Die allerdings verabsäumte, anreisende Besucher darüber zu informieren – aus Angst vor Konkurrenz? Die 78 Künstler aus 45 Ländern haben sich teils selbst beworben, sind von der Biennale, sehr wenige von Länderkommissaren ausgewählt – und dann kräftig durchmischt auf drei Ausstellungsorte verteilt. Das erzeugt ein gravierendes Qualitätsgefälle. Vor allem in der aberwitzigen Rund-Architektur des Museums für Moderne Kunst mit dem riesigen, leeren Raum in der Mitte treffen grauselig klischee- und kitschfreudigste Malereien aus Deutschland, Ägypten und Italien aufeinander.

Mahmoud Mukhtar Museum

 

Museum Modern Art, Kairo (ehemals Bibliothek)

 

Palace of Arts, Kairo

Weniger erschreckend geht es im wenige Schritte entfernten „Palace of Arts“ zu. Manche wagen hier eine kuratierte Gruppenausstellung wie die USA mit den fünf jungen, arabisch-stämmigen Künstlerinnen. Mit einfachen Mitteln wie einem durchlöcherten Teppich, aufgeklebten Fliegen und plakativen Zeichnungen thematisieren sie subtil und überzeugend den Versuch einer geographischen und kulturellen (Neu-)Orientierung. Gelungen ist auch der österreichische Beitrag von Ulrike Müller, die neo-geo-ähnliche, abstrakte Formen auf wunderschön-eiskalten Emailleschildern und teppich-ähnlichen Textilien zeigt. Ohne Erklärung würde man allerdings kaum den Zusammenhang von ´feministischem Begehren´ und abstrakter Malerei sehen oder suchen.

Deutlich heraus sticht aber vor allem die weihnachtliche Installation mit Küche und Videoprojektion der Ägypterin Amal Kenawy, die den mit rund 12.000 Euro dotierten „Nile Grand Prix“ erhielt. In einer ihrer Performance ließ sie eine kleine Gruppe von Männern und Frauen wie Tiere durch die Strassen Kairos kriechen. Mehrmals wird sie in sehr heftige Diskussionen über die Grenzen von Kunst und das Problem des nationalen Stolz gedrängt – der öffentliche Raum ist männlich dominiert, Kenawys Aktion ist eine starke Provokation. Mit dem Preis setzt die internationale Jury ein deutliches Zeichen –  aber wer wird das überhaupt wahrnehmen?

rechts: U. Müller, Kairo

12.Kairo Biennale, 12.12.2010-12.2.2011, Palace of Arts, Mahmoud Mukhtar Cultural Center, Museum of Modern Egypten Art

veröffentlicht in: Die Presse, 19.12.2010