Kunst auf der EXPO Mailand?

11. Aug. 2015 in Kunstmarkt

 

Seit 1851 finden unregelmäßig Weltausstellungen statt. Meist werden technische innovationen präsentiert, oft auch Kunst. Wieviel Kunst leiten sich die Länder im Gastgeberland Italien heuer bei der EXPO Mailand 2015?

Gegründet wurde die erste Weltausstellung 1851 in London. Damals war die Zeit der jungen Nationalstaaten. Nationen gründen auf Nationalbewusstsein – wie aber verpflichtet man eine territoriale Gemeinschaft auf eine gemeinsame Identität? Neben neu erfundenen Traditionen, Nationalhelden und Gedenkorten sind besonders wohlinszenierte Feierlichkeiten wirkungsvoll. Daher starteten im 19. Jahrhundert drei große Veranstaltungen: 1851 fand die erste Weltausstellung statt, 1894 folgte die Wiederaufnahme der antiken Olympischen Spiele und 1896 verkündete der Bürgermeister von Venedig die Gründung der Biennale. Alle drei Formate dienen bis heute dazu, nationale Identitäten durch einen internationalen Wettbewerb zu festigen. Aber jede Expo ist auch ein gewaltiges Unternehmen: Italien finanziert die Expo 2015 mit 1.3 Milliarden Euro, dazu kommt dieselbe Summe durch die Teilnehmer und private Investoren, um das ehemalige Industriegelände in einen Parcours experimenteller Architektur und vor allem in eine kulinarische Weltreise zu verwandeln. Denn heuer ist jedem Pavillon Gastronomie vorgeschrieben, die meisten fahren zweigleisig: unten eine einfache Kantine, auf dem Dach ein hochpreisiges Restaurant.

Hauben-Restaurant auf dem Dach des Mexiko Pavillons

20 Millionen Besucher werden erwartet, 6-8 Millionen sollen aus dem Ausland kommen. Eine Milliarde Euro Einnahmen durch die Tickets ist budgetiert, rund 60.000 Jobs sind entstanden. Die Pavillons kosten im Schnitt jeweils 10-30 Millionen Euro, Deutschlands Beitrag liegt mit 48 Millionen darüber, der österreichische Pavillon kommt mit 12 Millionen aus.

Thema der Expo heuer ist „Feeding the planet. Energy for life“, ein verantwortlicher Umgang mit der Natur, Nachhaltigkeit, aber auch Tradition und Genuss. Die meisten Nationen befeuern uns dazu entweder mit Multimedia-Shows, Touchscreens, Info-Graphiken, Wandtexten und den Gerüchen von Kräutergärten. Oder es werden nur Produkte verkauft, Kulinarisches und Kunsthandwerk. Und wo ist die Kunst?

mickriger Shop bei Bangladesh

Auf dem 1.7 Kilometer langen Parcours, an dem sich die 145 Länder- und Firmenpavillons aufreihen, stehen immer wieder skulpturähnliche Objekte, eine meterhohe, knallrote Pepperoni und glänzende Artischocken, Zuckerl in den Nationalfarben Aserbaidschans,

auch wächst einmal ein Baum aus einem Auto – eine Werbung für FIAT.

Alle diese Dinger sind reine Dekorationsobjekte. Die Türkei präsentiert eine kleine Ausstellung, die ist mit akademischer Malerei und Plastiken von traurig niedrigem Niveau.

Katar hängt neben die Kantine Fotografien von verschleierten Frauen mit leuchtend goldenem Schmuck und Bahrain zeigt in seinem schmalen Pavillon nach einem Parcours entlang Papaya-, Feigen- und Bananenbäumen seine Ausgrabungsschätze aus der Römerzeit. Alle anderen verzichten gänzlich auf Hochkultur und Kunst.

Bahrain

Fast alle. Ein einziges Land sticht heraus: Österreich – und das mehrfach. Denn in dem Pavillon steht nichts anderes als 560 Quadratmeter Wald.

Thema hier ist die Luft, das Atmen, die Ruhe. Die Expo-Besucher stehen Schlange am Eingang, es ist der beliebteste Pavillon der Expo. Und es ist der einzige Länderbeitrag, der auch auf Kultur setzt. Eine halbe Millionen Euro sind dafür budgetiert. Davon finden in der Stadt Theater-, Musik- und DJ-Abende statt, die Design- und auch die Arnulf Rainer-Ausstellung in der Fondazione Culturale San Fedele waren ein großer Erfolg. Auf der Expo selbst sind Künstler für je einen Monat eingeladen, sich mit der „„Expo als kurzfristiger Ausnahmezustand unterschiedlichster (Nationen-)Repräsentationen“ (Pressetext) zu befassen. Kurator Gerald Straub wählte dafür sechs Künstler aus. Als erster Gast im Mai veranstaltete Aldo Gianotti mit den Mitarbeitern aller Pavillons ein Picknick und produzierte als zweites Projekt einen Film: Er ließ sich von einem Mitarbeiter in jedem Pavillon einen Witz erzählen.

chilenischer Mitarbeiter // Aldo Gianotti

Nur wenige wie jene aus den Arabischen Emiraten – Austragungsort der Expo 2020 – verstanden seine Anfrage nicht. Die beispielhaften Witze wurden mit Reglosigkeit beantwortetet, die Teilnahme aus Unverständnis abgelehnt.

Mitarbeiter aus Kuwait // Aldo Gianotti

Im deutschen Pavillon nahm Gianotti drei Anläufe und trotzdem kam kein Witz zustande. Die Gruppe „tat-ort“ wollte einen Austausch von Objekten zwischen den Pavillons initiieren – was wohl zu unspezifisch war, es scheiterte. Als August-Gast reist Ralo Mayer bald an, im September folgt Nikolaus Gansterer und im Oktober die für ihr „Schockmarketing“ bekannte Gruppe „ubermorgen“. Zu sehen sind die Ergebnisse später in Wien.

Das Projekt zielt darauf, zwischen den Pavillons kurzfristige Gemeinschaften entstehen zu lassen – ein spannendes Konzept, dass den Wettkampf der Nationen unterwandert. Das ist eine interessante Alternative zu den klassischen Lösungen wie etwa der große Skulpturenboulevard auf der Expo 2010 in Shanghai. Und es ist heuer in Mailand das einzige Kunstprojekt auf dem Gelände. Denn auch Gastgeberland Italien verzichtet auf diese Sparte – vielleicht wegen der zeitgleich veranstalteten 56. Biennale Venedig? Und in Mailand? Dort läuft die Expo-Ausstellung „Arts and Food“: Kunst, die Nahrungsmittel thematisiert, zeigt, verarbeitet.

Agnes Denes, Kornfeld 2015 // Foto Agostino Oslo

Und anlässlich der Expo wächst seit dem Frühjahr mitten in Mailand ein riesiges Kornfeld. Auf Einladung der Fondazione Nicola Trussardi in Kooperation mit der Fondazione Riccardo Catella ließ die US-Künstlerin Agnes Denes mitten in der Stadt 15.500 Kubikmeter Erde auf einem fünf Hektar großen Areal aufschütten. 5000 Mailänder halfen, die 1250 Kilogramm Weizen auszusäen. Es ist gleichzeitig Werbung für den Porta Nuova District, den neuen Hotspot Mailands.

Schon 1982 hatte Denes ein Areal in Manhattan in ein Kornfeld verwandelt, damals als Mahnmal gegen den Welthunger. In Mailand ist es jetzt ein Bild für „unsere Verantwortung für die Zukunft“ (Pressetext) und ähnlich wie das österreichische Projekt ein Modell für Austausch und Gemeinschaftsbildung. Die nächste Expo findet 2017 in Kasachstan statt – welche Kunstprojekte werden dort wohl zu sehen sein?

in gekürzter Fassung veröffentlicht in: Die Presse, 9.8.2015

England – Thema: Bienen

 

Deko vom Architekturbüro Liebeskind, aufgepeppt mit funkelnden LED-Lämpchen

 

USA – auf der Expo kulinarisches Niemandsland