Zeitgenössische Kunst aus dem Iran

27. Okt. 2009 in Ausstellungen

Kunst aus dem Iran? Erst China, dann Indien, jetzt also Iran – die Globalisierung wird im Kunstmarkt nach Länderschwerpunkten abgearbeitet. Nun steht also die Kunst aus dem Mittleren Osten im Fokus des Westens. Die erste Auktion arabischer und iranischer Kunst bei Christie’s in Dubai im Mai 2006 spielte 2,2 Millionen US-Dollar ein, letztes Jahr waren es dort dann bereits 18 Millionen. Erste Galerieausstellungen folgten, 2009 in der Saatchi Gallery in London, bei Thaddaeus Ropac in Paris, aktuell jetzt während der FIAC bei Daniela da Prato, Paris, und in der Hilger Brot Kunsthalle in Wien.
Der Name spielt mit der früheren Nutzung der Räume, die zum Betriebsgelände der Ankerbrotfabrik gehörten, bis sich Europas einst größte Brotfabrik gesundschrumpfte und einen Teil des Betriebsgeländes verkaufte. Hier betreibt jetzt der Wiener Galerist Ernst Hilger eine private, kommerzielle „Kunsthalle“ als Erweiterung seiner Innenstadtgalerie. Eröffnet werden die 580 Quadratmeter mit der Gruppenschau „The Promise of Loss“, ein „Index“ zu zeitgenössischer Kunst aus dem Iran. Kurator ist Shaheen Merali, ehemals am Berliner Haus der Kulturen der Welt, später Galeriedirektor der inzwischen geschlossenen Berliner Filiale der Galerie Bodhi Art aus Mumbai. Merali wählte 19 Künstler aus, von denen etwa die Hälfte in Teheran lebt. Was diese Ausstellung von ihren Vorläuferinnen bei Saatchi oder Ropac unterscheidet, ist ihr stringenter Ansatz. Hier sehen wir nicht ein Potpourri neuer Namen einer neuen Kunstmarktquelle, sondern eine gezielte Auswahl von Werken, die den Iran zugleich zum Thema der Ausstellung machen und kritische Blicke auf die innenpolitische Wirklichkeit des Staates werfen.
So verbildlichen Shadi Ghadirians Fotografien, wie sehr die Welt des Militärs den iranischen Alltag erobert hat, wenn aus einer märchenhaft gefüllten Ali-Baba-Schatztruhe eine Militär-Marke herausbaumelt, im Krimskrams einer Handtasche Patronen stecken oder auf einem elegant gedeckten Tisch eine Feldflasche steht. Enorm verdichtet sind die wunderschönen, im Stil der Miniaturmalerei gemalten Briefmarken von Jinoos Taghizadeh, die eine andere gewalttätige Geschichte des Landes erzählen: Es sind Erinnerungen an bewusst zerstörte Natur- und Kulturdenkmäler, an gesteinigte, verbrannte und im politischen Auftrag ermordete Menschen – darunter auch die Eltern von Parastou Forouhar. Forouhar selbst, die in Frankfurt am Main lebt, thematisiert vor dem Hintergrund ihrer Biografie in ihren Drucken, Videos und Installationen immer wieder die Diktatur ihres Geburtslandes, wenn sie harmonische Ornamente aus Folterszenen zusammensetzt – das Gleichmaß der Formen symbolisiert den Zwang zur Unterordnung.
Obgleich Merali die Kunst aus dem Iran überzeugend und vielschichtig ausgewählt hat, entkommt doch auch er nicht der Klischee-Falle „Tschador-Kunst“. Im schwarzen Ganzkörperumhang arabischer Frauen bündeln sich westliche Vorurteile, das Kleidungsstück ist zum Inbild einer simplifizierenden Folklorisierung dieses Kulturraumes geworden, die allzu oft von iranischen Künstlern selbst erfüllt wird. So zeigt der Pressefotograf Abbas Kowsari für westliche Augen sehr kuriose Fotografien weiblicher Polizistinnen im Tschador, daneben aber auch eindrückliche Dokumente von trauernden und demonstrierenden Menschen an der iranisch-irakischen Grenze im kargen Niemandsland. Amin Nourani schließlich platziert auf seinem monumentalen Triptychon Frauen in Burka auf einem gespenstischen Friedhof, um in allzu effektheischender Weise über den Alptraum einer „Talibanisierung“ im Iran zu sprechen. Müsste die Ausstellung von Kunst aus dem Iran hier nicht über sich selbst reflektieren und zur Sprache bringen, wie schnell Kunst im interkulturellen Wettlauf der Bilder und Zeichen vorproduzierten Mythen erliegen kann?
Die iranische Kunst jedenfalls, und das ist vielleicht auch ein Grund für ihren schnellen Erfolg im Westen, hat keine Angst vor starken Gefühlen. In der Ausstellung sieht man immer wieder tief bewegende Bilder, die dem verbreiteten Medienbild vom Iran als Atommacht, und ergo Schurkenstaat, andere, sehr viel menschlichere Konturen hinzufügen. Zwar droht durch die immer wiederkehrenden Bildmotive Gewalt, Waffen und Tschador die Gefahr, dass die Künstler diese subtileren Ebenen gegenüber den westlichen Iran-Klischees preisgeben. Und natürlich lässt sich auch hier der Siegeszug westlicher Kunstvorstellungen beobachten, durch die eine iranische zeitgenössische Kunst überhaupt erst markt- und kunstbetriebskompatibel wird. In dieser Balance zwischen Klischee und Ventilfunktion stellt sich eine interessante Frage: Wie weit beeinflusst der westliche Markt etwa durch die Nachfrage von Tschador-Kunst die Entwicklung des iranischen Kunstbetriebs? Können vielleicht gerade westliche Institutionen im Verbund mit arabischen Sammlern und Galerien dazu beitragen, eine eigenständige Entwicklung zu fördern, oder werden hier die Fehler des chinesischen Import-Export-Kunstbetriebs wiederholt? Nicht nur die westlichen, auch die iranischen Kuratoren und Kunstvermittler werden eigene Antworten auf diese Problematik finden müssen. Einstweilen gilt der optimistische Befund, dass die iranische Kunst enorme Aufbruchsenergien freisetzt. Der gegenwärtige Wille zu Veränderung und Umgestaltung wird in ihr unübersehbar – facettenreicher als in den standardisierten Medienbildern, auf die sich die westliche Berichterstattung geeinigt hat.

„The Promise of Loss. A Contemporary Index of Iran“ – Hilger Brot Kunsthalle, Wien. Vom 10. Oktober bis 30. November 2009

veröffentlicht in: www.artnet.de, 27.10.2009