Kunsthalle Wien: Ökonomie der Aufmerksamkeit

16. Mai. 2014 in Ausstellungen

Ausstellungsansicht Kunsthalle Wien, Foto: Stefan Wykoff

Banalitäten auf Bauzäunen

Bauzäune? Stellen hier im kleinen Raum der Kunsthalle Wien nicht 60 KünstlerInnen aus, vereint unter dem schwergewichtigen Titel Ökonomie der Aufmerksamkeit?

Ökonomie der Aufmerksamkeit, Foto: Stefan Wykoff

1998 hatte der in Wien lebende Stadtplaner und Ordinarius der TU Wien, Georg Franck, dieses Schlagwort im deutschsprachigen Raum populär gemacht. Dahinter steht die These, dass Aufmerksamkeit zur Ware geworden sei. Seit wir von Zeitungen, Internet, Fernsehen, Radio mit Informationen überschüttet werden, werde unsere Aufmerksamkeit immer knapper und daher wertvoller. Darum auch verblasse Reichtum mittlerweile neben Prominenz: „Prominente sind die Einkommensmillionäre in Sachen Aufmerksamkeit,“ schreibt Franck und spricht von einem „mentalen Kapitalismus“: Mental ersetzt materiell, Reichweite, Likes und Klicks sind zur Währung geworden.

16 Jahre später – oder 43 Jahre später, denn bereits 1971 sprach der US-amerikanische Soziologe Herbert Simon davon – greift also die Kunsthalle Wien dieses Schlagwort auf. Was aber kann Kunst dazu beitragen? Sicherlich, Kunst hatte schon immer die Aufgabe, Beachtung anzuziehen und zu kanalisieren. Kunstwerke erzeugen Aufmerksamkeit. Allerdings wird heute den Werken immer weniger „mentale“ Anerkennung gezollt, stattdessen rücken materielle Faktoren, nämlich Auktionsergebnisse und Investitionsabsichten in den Vordergrund. Will die Kunsthalle Wien dieser Entwicklung mit einer intensiven Auseinandersetzung entgegensteuern? Vielleicht zeigen, welche Methoden KünstlerInnen im Gerangel um mentale Aufmerksamkeit anwenden, Provokation, Koketterie mit Mainstream, überwältigende Schönheit oder Verführung? Dann würde der Bauzaun im Eingang vielleicht als Sichtschutz dienen, um behutsam in einen Parcour all der Werke von den hier angekündigten KünstlerInnen einzuführen?

Kunsthalle Wien, Foto: Stefan Wykoff

Aber weit gefehlt! Wir sehen nichts als Bauzäune, lose im Raum verteilt, mit aufgespannten Bannern versehen. In einer Ecke steht ein Sesselkreis – die Vermittlung sei wichtig, dafür sei auch eine „Denkfabrik“ gegründet worden, wird erklärt. Nicht mehr Labor oder Lounge, jetzt also zurück zur Metapher der Fabrik, die mit Reglementierung und Fremdbestimmung assoziiert wird?

Diesen Eindruck, hier sei etwas mit wenig mentaler Aufmerksamkeit entstanden, bekräftigen auch die Aufdrucke auf den Bannern. Sehr weit gefasste Fragen sind zu lesen: „Was ist eine gute Ausstellung?“, „Warum ist Kunst so populär?“, „Ist die Kunstwelt globaler geworden?“ Ähnlich breit ist auch die Auswahl der KünstlerInnen: Es sei ein „Querschnitt unterschiedlicher Praktiken und Inhalte“ und alle „könnten auch in Ausstellungen der Kunsthalle auftauchen“, erklärt Direktor Nicolaus Schafhausen. Per email zugesandt, manchmal am Telefon formuliert, spendeten diese 60 KünstlerInnen ihre Antworten – die selten überraschend sind, allzu oft sind es Banalitäten, manchmal nur knappe Worte: „Braucht Kunst neue Orte?“ Antwort: „Immer wieder“. Lediglich Plamen Dejanoff nutzt den zugespielten Ball für seine Zwecke. Dejanoff, der sich viel mit Methoden des Marketings beschäftigte und im Zuge dessen sogar in seinem Nachnahmen das ´v´ durch die elegantere ´ff´-Version ersetzte, antwortet auf „Braucht Kunst eine größere Sichtbarkeit?“ konsequent mit: „PLAMEN“.

Eine Frage lautet „Wie sollen Ausstellungen sein: lehrreich oder unterhaltsam?“ Die Wiener Künstlergruppe Gelatin antwortet: „Sie sollen überraschend, sexy, neu, unerwartet, plötzlich, beeindruckend, schön, freundlich, liebevoll, detailreich, komplex und vor allem sollen sie etwas sein, das man nicht in Worten ausdrücken kann sein.“ Nichts davon trifft in der Kunsthalle zu. Denn diese Ausstellung ist zwar überraschend, aber nicht beeindruckend – eine mentale Kapitulation. Ist wenigsten irgendwo eine Auswertung all der Antworten zu lesen? Dazu sei es noch zu früh, antwortet der Direktor. Oder schon zu spät?

veröffentlicht in: Die Presse, 16.5.2014,

http://diepresse.com/home/kultur/news/3806280/Kunsthalle_Banalitaeten-auf-Bauzaeunen?_vl_backlink=/home/kultur/index.do

Nachsatz: Der Autor der titelgebenden Publikation, Georg Francke, ist übrigens von der Kunsthalle Wien zwar informiert worden über die Titelverwendung – aber erstaunlicherweise nie angesprochen oder zu dem begleitenden Diskussionsprogramm eingeladen worden.

Die StudentInnen, die in der „Denkfabrik“ eine Auseinandersetzung mit den Fragen und Antworten praktizieren, basteln aus den Sätzen Bildähnliches.

Kunsthalle Wien, Ökonomie der Aufmerksamkeit, 16.5.-9.6.2014