Le Surréalisme, c ´est moi!

23. Jun. 2011 in Ausstellungen

„Meine Schnurrbartspitzen sind Radar-Antennen, mit deren Hilfe ich tagsüber alles empfange, was in der Welt um mich vorgeht und gedacht wird,“ erklärte Salvador Dalí einmal. Vor allem aber war sein Bart sein publikumwirksames Erkennungsmerkmal. Wie kaum ein anderer wusste sich der 1989 gestorbene, spanische Maler zu inszenieren, trat in Werbespots auf, zierte zahlreiche Cover von Zeitschriften mit seinen weit aufgerissenen Augen als Inbegriff des genialen, exzentrischen Künstlers und fütterte die Medien gerne mit kleinen Skandalen. „Wer interessieren will, muss provozieren,“ erklärte er einmal. 1936 besuchte er die surrealistische Ausstellung 1936 in London in einem Taucheranzug in Begleitung von zwei Windhunden, landete 1939 in New York in New York mit einem 2.5 Meter langen Brot oder stellte ein Telefon mit einem lebenden Hummer aus.

Dieser Hummer ist jetzt als Bronze-Skulptur Auftakt der kleinen, aber erstaunlich intensiven Ausstellung „Le Surréalisme, c ´est moi!“ in der Kunsthalle Wien. Der Titel spielt auf ein Zitat des Künstlers an, mit dem er seinen Ausschluss aus der surrealistischen Gruppe um André Breton entkräftigte: „Ich bin kein Surrealist. Ich bin der Surrealismus.“ Tatsächlich ist Dalí bis heute der Inbegriff dieser Kunstbewegung, die immer wieder vor allem bei Jugendlichen ein Einstieg in die Welt der modernen Kunst bildet – vielleicht, weil der Surrealismus uns nicht unsere schnöde Realität zeigt, sondern die Welten von Rausch- und Traumerlebnissen. Anders als Max Ernst oder Andre Breton bleibt Dalí dabei immer nah am Alltag, indem er bekannte Objekte wie die Uhr oder die Giraffe verformt und in plakative, unerwartete Zusammenhänge stellt. Seine detailgetreue Malerei voller altmeisterlich gemalter Bildmetaphern schafft so den Seiltanz zwischen Vertrautheit und Faszination – die perfekte Mischung, um Aufmerksamkeit zu fesseln.

Aber gerade wegen dieser bisweilen allzu plakativen, mehr an Illustrationen denn an Malerei grenzenden Kunst geriet Dalí ins kunsthistorische Abseits. Auch der Kunstmarkt distanzierte sich aufgrund der 10.000 blanko-signierten Blätter von ihm – angeblich eine Aktion seiner geliebten Gattin Gala. Den zeitgenössischen KünstlerInnen sind diese Einwände allerdings egal. Vor allem Louise Bourgeois bezeichnete Dalí einmal als völlig unterschätzen Künstler – woraus Gerald Matt die Idee für diese Ausstellung entwickelte. So treffen in der Kunsthalle Wien jetzt in vier Räumen Werke von vier Künstlern auf den Meister des Surrealismus. Den Auftakt stellt Markus Schienwald. Gerade erst hat er auf der Biennale Venedig sein schwebendes Labyrinth im österreichischen Pavillon eröffnet. Jetzt inszeniert er in der Kunsthalle einen minimalistischen Raum. Sein Bezugspunkt ist Dalis Pavillon „Dream of Venus“, den er für die Weltausstellung 1939 in New York schuf. Den Videobildern dieses opulenten, sexuell aufgeladenen Bühnengeschehens mit Wasserballett, Variéte und Puppentheater stellt Schinwald ein stilles, nahezu leeres Aquarium als Antwort dazu. Darin schwimmt ein Wels-Paar, deren Barteln, diese fadenförmigen Hautorgane, an Dalís Schnurbart erinnern. Ohne Handlung, ohne Erzählung, ohne Pomp, mit nur zwei deplaziert wirkenden Skulpturen, baut Schinwald gekonnt eine enorm konträre Spannung voller Verlangsamung und Rückzug auf.

Im nächsten Raum treffen 50 Objekte und Zeichnungen von Bourgeois´ auf Dalís Radierungs-Serie „Gesänge des Maldoror“, in denen einzelne Bildmotive von Zerstörung, Verfall und Abartigem erzählen. Zusammen entsteht so ein gewaltiges Kabinett voller traumatischer, obsessiver, von Sex, Angst und Gewalt bestimmter Werken. Der dritte Raum gehört Glenn Browns farbgewaltigen Malereien. Wie Bourgeois ist auch Brown ein ausgewiesener Fan von Dalís Werken: „Farbe und Tinte werden zu Genauigkeitsmaterialien für eine forensische chirurgische Untersuchung des Menschseins,“ schwärmt er. Seit er eine Dalí-Ausstellung gesehen habe, seien seine eigenen Bilder „schärfer, härter, grausamer, hyper-super-surreal, weniger weich und verschwommen mit weniger verschwommenem (Gerhard) Richter-Scheiß, insgesamt mehr Dalí“ geworden.

Ein malerischer, heutiger, weniger illusionistischer, dafür viel brutalerer Dalí! Zuletzt treten wir vor die theatralischen Inszenierungen von Francesco Vezzoli. Der Italiener wurde bekannt mit seinen „Stickereiarbeiten mit kleinen Stichen“, wie er es nennt, in denen er Berühmtheiten wunderschöne Tränen hinzufügte – bzw. „die Welt der Filmclubs meiner Eltern mit der bürgerlichen Vorstellung meiner Großmütter zusammenführt“. In der Kunsthalle zeigt er seinen Werbespot eines Parfums, das nicht existiert, und eine samtige Elisabeth Taylor-Inszenierung. Auf einem Bild ist die Diva in Dalís berühmtes Gemälde „Der Schlaf“ hineinmontiert und bestickt. Was heißt es heute, ein Star zu sein? Diese Leitfrage steht über dem Raum – womit der Italiener den Star-Aspekt aus Dalís Leben aufgreift und mit einem pathetischen Schlussakkord abschließt.

Wer sich Anfangs fragte, warum die Kunsthalle Wien als Haus für zeitgenössische Kunst ausgerechnet den populären Dalí zeigt, weiß am Ende die Antwort: Hier geht es nicht um ein Wiederaufkochen des Surrealismus und auch nicht um Quotenfang. Hier findet eine Neubewertung statt – und zwar von Kunst durch Kunst. Hier können wir sehen, wie die zentralen Aspekte Dalis von der Selbstinszenierung über Bedrohungen und Obsessionen bis zum Pathos heute mehr denn je wieder aktuell sind. Die Ausstellung zeigt, wie Künstler heute auf eine Welt im Wandel reagieren – wenn auch ohne die Barthaare als Radar-Antennen. Und nicht zuletzt in Vezzolis Beitrag wird Dali als ein Künstler thematisiert, der schon damals die heutige Kunstindustrie vorwegnahm, in der Kunst als Produkt konzipiert ist. Der Italiener will das keineswegs kritisieren. „Ich mache ausschließlich Kunst, die im übertragenen Sinn davon spricht, wohin sich das System der Kunst heutzutage bewegt.“

 „Le Surréalisme, c ´est moi!“, Kunsthalle Wien, 22.6.-23.10.2011, Museumsplatz 1, tägl. 10-19, Do 10-21

veröffentlicht in: Die Presse, 22.6.2011