Mona Hatoum in St. Gallen

30. Dez. 2013 in Ausstellungen

Mona Hatoum, Natura morta, 2011_Courtesy GALLERIA CONTINUA, San Gimignano_Foto Ela Bialkowska

Vergrößern und verfremden, verfeinern und verunsichern – die Methoden von Mona Hatoum sind nicht ungewöhnlich. Die Skulpturen, die sie damit schafft, aber durchaus. Ihre Werke prägen sich tief in unser Gedächtnis ein, denn immer lockt sie uns zunächst mit einem verführerischen Anblick, um uns dann mit einer unerwarteten Radikalität zu treffen. Eine faszinierende Ausstellung in St. Gallen!

Installationsansicht St.Gallen_Foto Stefan Rohner

Sechs Räume, zehn großformatige Werke und 14 Papierarbeiten stellt die 1952 in Beirut als Kind palästinesischer Eltern geborene, ab 1975 in England aufgewachsene Künstlerin im Kunstmuseum St. Gallen aus. 24 Irritationen, in denen sie alltägliche Materialien als Ausgangspunkt nimmt und darüber unsere Aufmerksamkeit wachrüttelt.

Mona Hatoum, Variation on Discord and Divisions 1984, Videostill_Foto Stefan Rohner

Den Auftakt stellen fünf frühe Videos bzw. Dokumentationen ihrer Performances im Foyer, die uns wie ein Vorwort einstimmen. Am intensivsten ist „Variation on Discord and Divisions“ (1984), die Dokumentation ihrer Performance in Vancouver: Die Künstlerin kriecht über den Boden in einem schwarzen Ganzkörperanzug, hinterlässt Blutspuren, hantiert mit einem Messer, schneidet sich Sehschlitze aus der Kopfverhüllung, zerteilt und verteilt rohe Nieren.

Mona Hatoum, Variation on Discord and Divisions 1984, Videostill_Foto Stefan Rohner

In der Verletztlichkeit enorm verstörend, erinnert die Performance an den Wiener Aktionisten Schwarzkogler, ist aber weniger nach innen gerichtet, nicht auf Selbstverletzung ausgerichtet, eher wie ein scheiternder Versuch auszubrechen, wie der Wunsch, Aufmerksamkeit zu lenken, Sichtbarkeit zu erzwingen.

Mona Hatoum, Installationsansicht St.Gallen_Foto Stefan Rohner

Eine stille Verzweifelung steckt in den frühen Videos, die in den späteren Werken einem subtilen Spiel mit Widersprüchen weicht. So schön das Karree aus Glasmurmeln wirkt, so fragil ist es – ein Schritt darauf und alles ist zerstört. So hübsch die Glasobjekte in dem Schrank wirken, so doppeldeutig ist ihre Form: Es sind keine Christbaumkugeln, sondern Handgranaten.

Mona Hatoum, Natura morta (medical cabinet) 2012, Detail_Foto Stefan Rohner

So modernistisch das Bett wirkt, so drastisch ist es in seiner Gestaltung: Es ist die Vergrößerung einer Käsereibe, mit spitzen Zacken verletztend statt gemütlich.

Mona Hatoum, Daybed 2008_Installationsansicht St.Gallen_Foto Stefan Rohner

Abweisend – diese Eigenschaft trifft nahezu auf alle Werke zu. Der Paravant ist ebenfalls ein stark vergrößertes Haushaltsgerät, eine ausklappbare Käsereibe, bedrohlich in der Materialität, aggressiv in den Formen.

Mona Hatoum_Paravent, 2008_Courtesy GALLERIA CONTINUA, San Gimignano_Foto Ela Bialkowska

Oft sind es die Überlagerungen von Schönheit und Gewalt, die den suggestiven Reiz von Hatoums Skulpturen ausmachen – wenn die roten Elektrokabel zu einem dichten Teppich verwoben sind und sich von dort aus als lose Enden über den Boden ausbreiten, einen Kreis bilden, der von Glühbirnen begrenzt ist. Das Dimmen des Lichts erscheint wie ein Atmen, die Kabel wie Adern, der Teppich wie ein mysteriöses Zentrum – eine Blutlache, ein Schlangenest, eine Art Auge, ein verstörendes, aber wunderschönes Bild.

Mona Hatoum, Undercurrent (red) 2008_Installationsansicht St.Gallen_Foto Stefan Rohner

Zuletzt dann ein Raum voller Tüchern, die in einer labyrinthischen Verspannung aufgehängt sind:

Mona Hatoum mit Inaash, Twelve Windows 2012-2013_Installationsansicht St.Gallen_Foto Stefan Rohner; „Die 12 einen Quadratmeter grossen Tafeln sind das Werk von Inaash, der Association for the Development of Palestinian Camps.“

Die Erklärung zu dem Werk ist wichtig, denn Mona Hatoum ist nicht die Autorin, sondern stellt dieses Projekt ins Licht einer Weltöffentlichkeit bzw. in Kunsträume. Die Tafeln wurden von Malak Abdulrahim geplant, die jahrzehntelang schon palästinensische Handarbeiten erforscht. Gewebt wurden die 12 Tücher von Stickerinnen in Inaash. Jedes „Fenster“ entspricht einer Region: Oberes und Unteres Galiläa, Ramallah, Jaffa, Bethlehe und Jerusalem, Hebron, der Küstenstreifen von Gaza und Zentralgaza, und Be´er Scheva in Südpalästina – womit wir jetzt auch die Regionen kennen. Es sind wunderschöne und höchst vielfältige Muster, die „das Erbe palästinensischer Kunststickerei, eine der beständigsten Facetten“ (Pressetext) dieser Kultur vorstellen. Um alle 12 Tücher erkunden zu können, muss man über Stahlseile steigen, die den Raum zerteilen. Damit hat Hatoum eine ausdrucksstarke Präsentationsform gefunden, die der erlebten Realität im von Grenzen und Mauern zerteilten Palästina entsprechen – ein großartiges Gegenstück zu den Murmeln am Anfang.

Mona Hatoum, 7.9.2013-12.1.2014, Kunstmuseum St. Gallen

Mona Hatoum_Impenetrable (s version) 2010_Foto Stefan Rohner 2013

COPYRIGHT Sabine B. Vogel

 

Ab Februar wird Mona Hatoum im Mathaf in Doha / Katar in einer große Einzelausstellung mit über 70 Werken präsent sein:

Mona Hatoum: Turbulence, Mathaf: Arab Museum of Modern Art, February 7, 2014- May 18, 2014