Next Stop Singapur? Lorenzo Rudolf, Art Stage

18. Jan. 2014 in Interview, Kunstmarkt, Kunstmesse

Als Pionier ging Lorenzo Rudolf nach Singapur und gründete dort 2010 die Kunstmesse Art Stage Singapore.
SBV: Wann und warum haben Sie den Entschluss gefasst, eine Messe in Singapur zu gründen?

Lorenzo Rudolph, Singapur, Nov. 2013

Lorenzo Rudolf: Das ist eine logische Entwicklung meines Berufsweges. Nach zehn Jahren Art Basel inklusiv der Gründung der Art Basel Miami Beach hatte ich ja die Kunstwelt verlassen und die Frankfurter Buchmesse geleitet. 2007/08 kam ich zurück und gründete mit zwei Partnern Shanghai Contemporary. Damals schien China gerade ein neuer, vielversprechender Markt zu werden, was sich aber nicht erfüllte. Nach zwei Jahren sind zwei von uns gegangen. Heute ist die SC eine rein chinesische Messe.

Aber ich fühlte mich in Asien wohl und hatte mich in die Märkte hier eingearbeitet. Sicherlich war ich nicht der einzige Spezialist, aber ich hatte einen guten Überblick – es gibt ja nicht das eine Asien, es sind von Grundauf verschiedene Märkte, eine fragmentierte Szene. Da gab es eigentlich nur zwei Orte, wo man ein neues Projekt starten konnte: Hongkong und eben Singapur. In Hongkong gab es schon eine Messe. Von Singapur hatte ich schon länger Anfragen der Regierung erhalten, mich hier zu engagieren. 2011 fand dann die erste Art Stage statt.

Entang Wiharso, Indonesien, Skulptur am Eingang der VIP-Lounge, Art Stage 2014

SBV: Wie ist die finanzielle Struktur der Art Stage, ist die Regierung beteiligt?

Eingang zum Art Stage Büro

Lorenzo Rudolf: Für die Art Stage habe ich eine Firma gegründet, an der zwei Partner beteiligt sind. Die Mehrheit gehört mir. Regierungsgelder stecken darin keine. Singapur funktioniert zwar so, dass vieles in der Kultur mit staatlicher Beteiligung entsteht. Aber für die Kunstmesse ist es mir sehr wichtig, unabhängig agieren zu können, ohne dass Anweisungen kommen, was ich zeigen soll. Wenn ich aber für einzelne Projekte einen Türöffner brauche, dann machen wir das natürlich.

SBV: Aber warum in Singapur?

Lorenzo Rudolf: Südostasien ist ein enorm spannendes Gebiet. Hier entsteht einerseits überzeugende Kunst und ein neuer Markt, andererseits gibt es noch wenig Strukturen.

Wenn man eine neue Messe gründet, will man ja nicht nur wiederholen, was im Westen schon etabliert ist. Hier können neue Wege beschritten werden. Wir wollen hier nicht nur Quadratmeter an Galerien vermieten, wir wollen auch Brücken zwischen den einzelnen Kunstszenen bauen. Asien ist ja kein homogener kultureller Raum. Darum wird ein Fünftel der kommenden Art Stage, über 2’000 Quadratmeter, für insgesamt 8 kuratierte Verkaufs-Ausstellungen verwendet. Diese Ausstellungen, wir nennen sie Plattformen, werden von bedeutenden Kuratoren der entsprechenden asiatischen Laender beziehungsweise Regionen und Kunstszenen kuratiert, so zum Beispiel die chinesische Plattform vom weltweit gefragten Kurator Huang Du, die südkoreanische Plattform von Sungwon Kim, die taiwanesische Plattform vom internationalen Sammler und Kurator Rudi Tseng, die japanische Platform von der Chefkuratorin des Mori Museums Mami Kataoka, und die indische Platform vom Künstler und Kurator der ersten Kochi Biennale Bose Krishnamachari. Die größte Plattform umfasst circa 30 Projekte aus Südostasien. Wir verstehen diese Plattformen als Einführungen in die einzelnen Kunstszenen, denn es reicht nicht aus, nur Galerien aus den Ländern einzuladen, die dann hier unvermittelt ihre Künstler zeigen.

KuratorInnen der 8 Plattformen

SBV: 2013 gab es einen indonesische „Pavillon“. Die dort gezeigten Künstler mussten einen Prozentsatz der Verkäufe direkt an Sie weitergeben – stimmt diese Information?

Lorenzo Rudolf: Ja, das ist richtig.

SBV: Ist das eine auf Messen übliche Praxis?

Eko Nugroho, indonesischer Starkünstler (c: Singapore Tyler Institute)

Lorenzo Rudolf: Nein. Indonesien hat eine sehr starke Künstlerszene und eine ausgeprägte Sammlerschaft – die aber direkt miteinander arbeiten. Da ist nicht viel Platz zwischen für Galerien. Die Künstler jedoch möchten nicht nur national verkaufen, sondern im globalen Kunstmarkt sichtbar werden, in weltweite Sammlungen kommen. Die wenigen indonesischen Galerien wollten das Risiko aber nicht tragen. Deswegen haben die indonesischen Künstler uns gebeten, ihnen zu helfen. Wir haben uns entschieden, die indonesische Kunstszene nicht zu isolieren und ihr die Tür zum internationalen Kunstmarkt aufzustossen. Also haben wir mit den Künstlern direkt gearbeitet und versucht, über einen Prozentsatz der Verkäufe wenigstens unsere Kosten zu decken.

SBV: Warum haben Sie den Künstlern nicht die Stände direkt vermietet?

Lorenzo Rudolf: Das wäre chaotisch geworden, dafür hätte es ja eine Organisationsstruktur auf deren Seite bedarf. So aber ist dieser Pavillon ein Riesenerfolg geworden. Mein Ziel ist es jedoch nicht, direkt mit Künstlern zu arbeiten, daher ist im nächsten Schritt die neue Struktur der Plattformen entstanden, in der alles über und mit Galerien läuft.

SBV: Es gibt immer mehr Messen, die direkt mit Künstlern arbeiten – ist das nicht ein Trend, den bestehende Messen aufgreifen bzw. einbauen können?

Lorenzo Rudolf: In Südostasien arbeiten viele Künstler, wie zum Beispiel auch in China, nicht fix mit Galerien zusammen, verkaufen teilweise überall und agieren als unabhängige Unternehmen. Als Tendenz ist das auch im Westen zu beobachten. Hier in Südostasien allerdings passiert das aus einer Schwäche der Strukturen heraus, da es oft nicht genügend oder nur lokale Galerien gibt.

SBV: Gibt es nicht auch zunehmend Künstler wie Wim Delvoye, die lieber die Messestände selbst bespielen – auch wenn sich Delvoye dazu noch der Galerie Arndt bedient, deren Name darüber steht?

Lorenzo Rudolf: Das ist zwar eine andere Entwicklung als hier in Südostasien, aber sicherlich zeigt das eine Tendenz an: Strukturiert arbeitende und unternehmerisch agierende Künstler können alles übernehmen, denn die sind ja im Besitz der Ware, der Kunst. Man kann die Fragen noch weiter treiben: Werden in Zukunft die Galerien noch nach demselben Muster von heute funktionieren? Ist ein großer Ausstellungsraum noch sinnvoll, wenn das wesentliche Einkommen auf Messen erwirtschaftet und dort ja auch viel Zeit verbracht wird?

SBV: Diese Diskussion wurde ja schon in den 1990er Jahren geführt mit der Erkenntnis, dass Künstler keine Manager oder Agenten benötigen, sondern ausstellen wollen – und das erfordert eben einen Raum.

Lorenzo Rudolf: Sicherlich. Aber es gibt ja die Möglichkeit, temporäre Räume in verschiedenen Städten zu bespielen, auch im Austausch mit anderen Galerien. Heute ist doch mehr denn je Flexibilität gefragt, dies auch aufgrund der ständig wachsenden Zahl neuer Kunstkäufer überall auf der Welt, zudem ist es auch ein soziales Spiel geworden ist …

SBV: … und immer uninformierte bzw. ohne Vorwissen noch dazu …

Lorenzo Rudolf: … so würde ich es nicht ausdrücken, aber ich widerspreche Ihnen da nicht. Es funktioniert wie ein Luxusmarkt: Ich kaufe Brands. Das mangelnde Wissen wird häufig damit kompensiert, dass Qualität über den Preis – alles über 1 Mio. – oder über Referenzen – in Basel ausgestellt – definiert wird. Inhalte und komplexere Zusammenhänge, auch kunsthistorische, haben darin keinen Platz.

SBV: Spielt da nicht auch die große Menge an mittelmäßiger bis schlechter Kunst hinein, bei der Qualität gar kein Kriterium sein kann?

Lorenzo Rudolf: Wir leben in einer Zeit, in der die zeitgenössische Kultur – ich will da nicht nur von der Kunst sprechen – in einer Krise ist. Im Rückblick wird man in wenigen Jahrzehnten sicher zu dem Schluss kommen, das 90 % der Produktionen von heute Stuss sind. Was von den Messen heute wird morgen in den Museen sein?

SBV: Gilt diese Entwicklung gleichermaßen für die alten, westlichen und für die neuen Märkte und Messen?

Lorenzo Rudolf: Es gibt heute keine Zentren mehr, die eine Entwicklung vorgeben, insofern ist es ein globales Phänomen. Vor zehn Jahren konnte ich noch in New York sehen, was in der Welt angesagt ist. Heute findet das parallel statt, in gegenseitiger Beeinflussung. Daher ist auch die Vernetzung so entscheidend. Am Schluss wird sich vielleicht wieder eine Hierarchie heraus kristallieren, ein Ranking, aber das wird viel breiter ausfallen als in der Vergangenheit. Aber immerhin ist doch unübersehbar, dass neue Impulse oft von den neuen Szenen und Märkten ausgehen.

chinesische Viertel in Singapur

SBV: Was spricht dafür, dass Singapur darin einen wesentlichen Platz einnehmen wird?

Lorenzo Rudolf: Es gibt in Ostasien nur zwei Orte: Hongkong und Singapur. Hongkong ist China, letztendlich total abhängig von Peking. Singapur dagegen ist unabhängig; es ist klein, ist stabil, ist sicher, bildet die Kreuzung zwischen China, Südostasien, Australien, Indien und sogar der Golf-Region, ist der einzige multikulturelle Platz in ganz Asien und ist das Zentrum der Privatbanken – fast vergleichbar mit der Schweiz.

SBV: Aber geben die Vermögenden ihr Geld auch hier aus?

Lorenzo Rudolf: In Singapur oder in Kunst? Das sind zwei Bereiche. Aber das Interesse an Kunst steigt – es ist ein Aufbauprozess, an dem ja auch die Regierung hier ganz deutlich mitarbeitet. Der Bau der National Gallery, der Freihafen, das Galerienzentrum Gillman Barracks – all das zielt auf die Etablierung von Kunst in Singapur.

Gillman Barracks

SBV: Bisher sind die Gillman Barracks ja noch eher eine Geisterstadt, in die sich außerhalb der Galerien-Eröffnungen kaum einer verirrt …

Galerie Michael Janssen, Singapur

LR: … das braucht seine Zeit. Auch Rom wurde nicht in einem Tag gebaut. Diese ehemalige Militäranlage ist ja erst im September 2012 als Kunstquartier eröffnet worden. Es haben dort zwar schon viele internationale Galerien Dependencen eröffnet, die aber untereinander kaum koordinieren, aus den unterschiedlichsten Kulturen stammen, die zurückhaltenden japanischen, die fordernden deutschen Galerien. Dazu sitzen in den Dependencen nicht die Entscheidungsträger, sondern Mitarbeiter, die auf staatliche Agenturen wie dem Singapore Economic Development Board treffen, die zwar überaus offen und konstruktiv sind, aber doch eine eigene Sprache sprechen. Aber das wird kommen.

SBV: Ist Hongkong da nicht schon jetzt weiter entwickelt, mit den dortigen Galerien, dem M+ und vor allem der Aussicht, dass China möglicherweise die nächste weltbeherrschende Supermacht wird?

LR: Wenn China diese Position erlangt, wird das kulturelle Zentrum wohl eher Peking oder Shanghai sein. In Shanghai zum Beispiel entstehen neue riesige Freihandelszonen, die andeuten, dass die Vorteile von Steuerfreiheit auch in Mainland China genutzt werden sollen.

SBV: Trotzdem: Wird dann Singapur ein bedeutender Kunststandort bleiben können?

Ursula Krinzinger, Matthias Arndt, Art Stage 2014

Lorenzo Rudolf: Wer sind die wichtigsten Investoren heute in Singapur? Die Chinesen! Mir hat einmal ein chinesischer Sammler auf die Frage, warum er hier investiert, erklärt: Es ist der einzige Ort außerhalb Chinas, in dem ich sprechen und essen kann wie in China. 77% der Bevölkerung hier sind chinesisch.

Wir sind hier im größten Kontinent der Welt und diskutieren über die Konkurrenz zwischen zwei Orten – die sollte doch wirklich verkraftbar sein. Die Konkurrenz zwischen Singapur und Hong Kong wird immer wieder hochgespielt. Aber seien wir doch ehrlich: beide sind in derselben Situation, beide in einem neuen Markt, beide noch am Anfang … und Konkurrenz belebt das Geschäft.

SBV: Würden Sie Galerien empfehlen, hier eine Filiale zu eröffnen?

Lorenzo Rudolf: Südostasien hat ein enormes Marktpotential. Asien ist für viele aber nur Indien und China. Das größte Wachstum findet aber hier statt, zum Beispiel in Indonesien – einem Land mit einer Bevölkerung in der Größe der USA. Wer sich global ausrichten will, wird an Asien nicht vorbeikommen, auch nicht an Südostasien. Die Frage ist daher nicht ja oder nein, sondern wann. Das ist eine Frage des Risikos und der finanziellen Stärke.

(geführt am 12.11.2013 in Singapur)
Die nächste Art Stage findet vom 16.-19. Januar 2014 statt.

CCA, Gillman Barracks, Singapur 2013