Quantenphysiker Anton Zeilinger auf der documenta

11. Jun. 2012 in Biennalen

Erst berief documenta-Leiterin Carolyn Christov Bakargiev den Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger in ihren Beraterstab. Später kam die Einladung hinzu, auch in der documenta quantenphysikalische Experimente zu zeigen. Jetzt stehen 7 Glasboxen prominent im Fridericianum und lassen die Besucher rätseln, ob dies in die Kategorie Kunst oder Physik gehört. Abgesehen davon, dass Anton Zeilinger immer wieder seine Abneigung gegen Kategorien betont, zieht der Professor der Universität Wien und Direktor des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation hier eine klare Grenzen: Es sind echte Experimente.
Begleitet werden die Anordnungen während der gesamten Laufzeit der 13. documenta 2012 von seinen Studenten. Aufgebaut sind Versuche, die einigen grundlegenden Fragen der Quantenmechanik nachgehen und historisch beginnen: Was ist Licht? Eine Welle, ein Teilchen? In einem Versuch wird das Doppelspalt-Experiment vorgeführt, in dem ein Laserstrahl durch zwei Schlitze geht und auf einen Schirm mal als Welle, mal als Teilchen auftrifft. Auf dem zweiten Tisch steht das komplizierteste Experiment: eine Photonenquelle, die verschränkte Photonen erzeugt.

Sabine B. Vogel: Sind diese Experimente Nachhilfeunterricht in Sachen Grundlagen der Quantenphysik?

ANTON ZEILINGER: Sicher nicht. Unsere Vorstellung ist es, dass die Leute sich das ansehen und zunächst selbst darüber nachdenken. Es soll mehr sein als nur Physikunterricht. Im Idealfall kommen sie am nächsten Tag zurück und überprüfen es noch einmal. Das wünsch ich mir.

SBV: Verändert sich die Wahrnehmung dieser Modelle durch den Kontext der documenta?

ANTON ZEILINGER: Es sind rein wissenschaftlich-physikalische Experimente. Da wurde nichts abgespeckt für eine populäre Darstellung – das ist mir wichtig zu betonen. Allerdings haben wir die auf das absolut Notwendigste reduziert.

SBV: Werden die Modelle durch den Rahmen der documenta zu künstlerischen Werken?

ANTON ZEILINGER: Das müssen andere Leute beurteilen. Den Anspruch erhebe ich nicht.

Artnet: Eben sprach ich mit einem Ihrer Studenten, der das anders sah. Er meinte, diese Experimente sollen dem Publikum zeigen, „dass das, was man in der Forschung betreibt, auch ein bisschen künstlerisch sein kann.“ Stimmen Sie zu?

ANTON ZEILINGER: Das ist dessen Meinung.

SBV:: Was ist für Sie interessant an diesem Kontextwechsel vom Labor in die Kunsthalle?

ANTON ZEILINGER: Ich wurde zur Teilnahme an der documenta eingeladen und musste überredet werden – es kostet viel Zeit. Meine Entscheidung fiel erst, als sich einige aus meiner Institutsgruppe für die Idee begeisterten. Natürlich ist es spannend hier zu sein und sich die Sachen anzuschauen. Und es ist eine technische Herausforderung, die Dinge so präsentieren zu können, dass sie in dieser Umgebung funktionieren. Normalerweise stehen die Experimente im geschützten Raum des Laboratoriums. Dort ist es ganz finster, der Aufbau ist erschütterungsfrei, es gibt häufig eine Klimaanlage und so weiter. Das letzte Experiment, die Quanten-Licht-Lokalität, hier bei Tageslicht zu zeigen war eine enorme Aufgabe. Noch vor zwei Wochen dachten wir, es wäre nicht zu schaffen. Wenn ein Physiker hier herkommt, wird es sehen, dass da einige neue Ideen drin stecken, die pfiffig und wichtig sind.

SBV: Welche Bedeutung haben die Gespräche und Treffen mit den Künstlern der documenta für Sie?

ANTON ZEILINGER: Ich habe sehr viel gelernt aus den Diskussionen mit den Kuratorinnen. Wir haben viel darüber gesprochen, wie Kunst Wirklichkeit sieht, was die Rolle des Beobachters ist im Vergleich zu unserer Sicht. Konkret sprechen wir zum Beispiel davon, dass es einen Zufall gibt, der nicht reduzierbar ist. Die Dinge sind so zufällig, dass es nicht einmal einen Sinn macht über eine Kausalkette nachzudenken, die das einzelne Ereignis exakt erklärt. Aber ich habe den Eindruck, dass dies im künstlerischen Diskurs noch nicht angekommen ist.

SBV: Müsste nicht eigentlich von Wirklichkeiten, also in der Pluralform, gesprochen werden?

ANTON ZEILINGER: Das ist wieder eine andere Diskussion, die lang wäre. Im Grunde sind das dann Interpretationen.

SBV:: Spiegeln sich die Diskussionen über Kontingenz in CBBs Verweigerung eines Konzeptes wider?

ANTON ZEILINGER: Das müssen Sie die Kuratorin fragen, dazu kann ich keine Stellung nehmen. Die Aussagen, die im Kunst-Bereich getroffen werden, sind von einer anderen Natur als bei uns. Die sind zum Teil künstlerische Werke, selbst einige Aussagen von Caroline. Das ist nicht naturwissenschaftlich zu beurteilen.

SBV: Haben Sie aus dem Aufeinandertreffen von Physik und Kunst hier auf der documenta etwas gelernt?

ANTON ZEILINGER: Das Wort ´lernen´ klingt so brav. Ich habe sicher gelernt, wie ich in Zukunft die Positionen der Physik noch besser schärfen und abgrenzen kann. Es wird ja oft versucht, die Quantenphysik mit einem esoterischen Touch zu versehen, wie die Quantenheilung beispielsweise. Das stört mich sehr, dieser Zusammenhang ist völlig unberechtigt. Und ich habe gelernt, dass die Positionen der Quantenphysik noch radikaler sind als die in der Kunst.

SBV: Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Kunst und Quantenphysik?

ANTON ZEILINGER: Eine wesentliche Gemeinsamkeit ist der kreative Prozess, die Suche nach Neuem, auch im soziologisch-dynamischem Bereich, also dass Neues belohnt wird. Der wesentliche Unterschied ist der Bezug zur Wirklichkeit. Wir sehen eine Aussage nur so lange als naturwissenschaftlich an, als sie nicht widerlegt ist, sie muss also im Prinzip widerlegbar sein. Wenn ein Experiment durchgeführt wird und es kommt zu einem anderen Ergebnis als vorhergesagt wurde, dann kann man das nicht umdeuten. Dann ist die vorangegangene Erklärung einfach falsch. Die Aussagen bei uns müssen quantitativer Natur sein: Zahlen, die man begründen kann und die zu überprüfbaren Vorhersagen führen. Manche Philosophen vertreten ja die Meinung, alles wären nur soziale Konstrukte – das ist in den Naturwissenschaften schlicht Unsinn.

SBV: Möchten Sie nach all den Gesprächen und Erfahrungen hier Künstler werden?

ANTON ZEILINGER: Um Gottes Willen. Ich bin froh, dass ich Wissenschaftler bin und kein Künstler. Als Künstler  wäre ich zu sehr von der Akzeptanz anderer abhängig, von Kritiken oder von irgendwelchen Gremien, die über Geldvergabe entscheiden. In der Naturwissenschaft ist der Bezug zur Wirklichkeit, zum Experiment, zur Überprüfbarkeit eine Stärke, die eine große Unabhängigkeit gibt von der Meinung Anderer. Da kann es passieren, dass ein Sachbearbeiter dritter Klasse am Patentamt in Bern plötzlich Arbeiten schreibt, die die ganze Welt über den Haufen hauen. Diese werden nicht übersehen, und er wird dann zum berühmtesten Physiker des 20. Jahrhundert: Albert Einstein. Warum? Weil seine Arbeit überprüfbar ist. Das kann niemand wegdiskutieren, das ist keine Ansichtssache. Darum bin ich lieber Wissenschaftler. Die Experimente hier kann niemand wegdiskutieren. Dies sind Fakten. Punkt.

veröffentlicht: 20. Juni 2012, www.artnet.de