Sammlung Kontakt ERSTE Group

16. Aug. 2016 in Kunstmarkt

Erste Campus, Wien // ERSTE Group

Erste Campus, Wien // ERSTE Group

 

Keine Bürodekoration, kein interner Leihverkehr, alles ist im Lager – die Sammlung der Erste Group ist anders. Erst vor zwölf Jahren gegründet, ist es eine der Jüngsten, vor allem aber die wohl Anspruchvollste unter den Corporate Collections. „Wir haben von Anfangs an ein Kapitel der südosteuropäischen Kunstgeschichte aufgearbeitet“, erklärt Walter Seidl. Seidl arbeitet zusammen mit Sammlungsdirektorin Kathrin Rhomberg für „Kontakt“, wie die Initiative der Erste Group und der Erste Stiftung heißt. Der Schwerpunkt liegt auf konzeptueller Kunst der 1960er und 70er Jahre aus Zentraleuropa. Als sie 2004 damit begannen, gab es noch keine Recherchen dazu. Nicht einmal der Kunstmarkt interessierte sich für diese wegweisende Epoche aus jener Zeit, als die Staatskünstler im Stil des Sozialistischen Realismus malten, die Dissidenten als Neo-Avantgardisten dagegen mit geringstem finanziellen Aufwand ihre eigenen Wege beschritten. Anfangs kauften sie vor allem direkt bei den Künstlern. Manche waren damals davon gar nicht so begeistert und behauptete hinter vorgehaltener Hand, die Wiener hätten die Preise hochgetrieben. Aber Kathrin Rhomberg betont, es wären „an westlichen Maßstäben angemessene, eher noch niedrige Preise gewesen“. Heute besitzt die Sammlung rund 500 Werke, darunter Schlüsselwerke von Julius Koller, Tomislav Gotovac, Mladen Stilinovic, aber auch von auffallend vielen Künstlerinnen wie Maja Bajevic, Greta Bratescu, Dora Maurer – alles Namen, die mittlerweile auf dem Kunstmarkt gefragt sind und denen große Einzelausstellungen in europäischen Museen gewidmet werden.

Bartuszova, Endless Egg, 1985

Maria Bartuszova, Endless Egg, 1985 // Kontakt, ERSTE Group

Das Modell von „Kontakt“ ist außergewöhnlich. Es gehört zur Erste Group, die sich als „eines der größten Finanzdienstleister in Zentral- und Osteuropa“ beschreiben und aus rund 1000 Bankfilialen in Österreich bestehen, dazu 1.800 Niederlassungen in sechs osteuropäischen Ländern und weiteren Korrespondenzbanken. Für das Halbjahr 2016 wurde gerade ein Nettogewinn von 841,7 Millionen Euro gemeldet. ´Kontakt´ ist das gemeinsame, identitätsstiftende Projekt der vielen Banken, denn es ist als gemeinnütziger Verein gegründet. Finanziert wird der Verein aus Mitgliedsbeiträgen. Mitglieder sind die Banken der Erste Group, die pro Jahr mittlerweile nur noch rund 400.000 Euro einzahlen. „Anfangs war das Budget höher, aber es gab massive Einschnitte“, erinnert sich Sammlungskurator Seidl, der seit Beginn dabei ist. Die Hälfte der Einzahlungen wird für die Betreuung, wissenschaftliche Aufarbeitung und Publikationsförderungen aufgewendet. Denn Kontakt sammelt nicht nur, sondern unterstützt auch Initiativen in Osteuropa. Künstler, Kuratoren und Institutionen können Vorschläge für Bücher einreichen, die meist Künstler der Sammlung betreffen. Ein weiterer Teil wird für die drei Teilzeitmitarbeiter von Kontakt benötigt. Ein kleiner Rest bleibt für eigene Projekte und Ankäufe übrig – aber da springt die Erste Stiftung als wichtiger Partner und Geldgeber ein, denn dafür reichen die Mitgliedsbeiträge nicht. Immer wieder seien auch Mitglieder bereit, höhere Summen einzuzahlen, sagt Rhomberg – bei dem Nettogewinn sollte das ja auch keine große Belastung sein. Zumal es zu den Aufgaben von Kontakt gehört, in osteuropäischen Ländern Teile der Sammlung auszustellen und lokale Institutionen zu unterstützen. Rhomberg spricht da von einer „dringlichen Notwendigkeit“, weil die Kunstszene in jener Region in prekäre Situationen gerate, da es kaum staatliche und nahezu keine privaten Förderungen gibt. „Die Situation hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert.“ Das nächste Projekt findet von November 2016 bis Mai 2017 in Zagreb statt, in einem dichten Rhythmus werden Sammlungsstücke und Neuproduktionen in Ateliers, Wohnungen und Institutionen zu sehen sein.
Bei diesen Aktivitäten verwundert es nicht, dass Rhomberg die Sammlung als einen „Hybrid“ beschreibt, die anders als die anderen Corporate Collections weder zweckorientiert noch repräsentativ angelegt sei. Der Name geht zurück auf ein Werk von Julius Koller, der 1969 das Wort „Kontakt“ auf eine Postkarte schrieb und verschickte – ein typisches Werk der damaligen Neo-Avantgarde, zugleich Tatsache und Aufruf. Sehr bewusst habe Boris Marte sich bei der Gründung gegen einen eigenen Ausstellungsraum entschieden, wie es 2004 noch BAWAG und Generali Versicherung betrieben. Stattdessen sei Kontakt „nomadisch“ organisiert, man geht mit der Sammlung in die Länder und einzelne Werke werden kontinuierlich an Museen und Großausstellungen verliehen. In den letzten Jahren werden zudem Künstlerarchive aufarbeitet und Werke jüngerer Künstler erworben, die eine Verbindung zu der älteren Generation halten – darunter übrigens auch von Österreichern wie Josef Dabernig, Carola Dertnig und Heimo Zobernig. Denn „Wien ist Teil des geopolitischen Gefüges“, auf das die Sammlung konzentriert ist, betont Rhomberg.

Tomislav Goro, Straza na Rajini, 1994 // Kontakt, ERSTE Group

Tomislav Gotovac, Straza na Rajini, 1994 // Kontakt, ERSTE Group

Warum aber hängt keines der Werke in den Gängen und Büros der Mitarbeiter? „Wir haben ausschließlich Werke in Museumsqualität“, erklärt sie, die konstante klimatische Bedingungen benötigen. Konsequent hängt denn auch im neuen Campus der Ersten am Wiener Hauptbahnhof keine Flachware, sondern es wurde Kunst am Bau beauftragt – wofür nicht Kontakt, sondern die beiden Kuratoren Rhomberg und Pierre Bal Blanc verantwortlich waren. Eines dieser zehn Werke sorgt jetzt für Aufregung: In einem semi-öffentlichen Bereich für Besprechungen ist die Fotografie eines lebensgroßen, nackten Mannes auf die Wand affichiert. Das Motiv entstammt einer älteren Performance des 2010 verstorbenen Tomislav Gotovac, der 1994 als ´living sculpture´ auf dem Dach des Haus der Kulturen in Prag stand. Gotovac habe sich mit faschistischen Tendenzen auseinandergesetzt, erklärt Rhomberg, was heute wieder sehr aktuell sei. Die Fotografie wurde zusammen mit den Nachlassverwaltern für die neue Raumsituation adaptiert. Jetzt schaut Gotovac also über die Dächer von Wien, „nach außen“, wie Rhomberg betont: „Dieser massive, aber verletzliche, nackte, sehr skulpturale Körper, der da in einer perfekten Architektur zu sehen ist, berührt die Menschen tief“, sagt Rhomberg, „ich sehe es als Glücksfall, auch im Sinne des Künstlers.“

veröffentlicht in: Die Presse, 14.8.2016