Sammlung Verbund, Wien

04. Jul. 2016 in Kunstmarkt

Verbund Ausstellung Bozar, Courtesy Verbund

Verbund Ausstellung Bozar, Courtesy Verbund

Die Sammlung Verbund begann 2007 als herkömmliche Marketingmaßnahme: Der Stromerzeuger Verbund richtete sich bis dahin nur an Großkunden. Durch die Liberalisierung des Stromnetzes konnten jetzt auch Endverbraucher beworben werden – und dafür wollte das Unternehmen öffentlich stärker sichtbar werden. Dafür eignen sich die Bereiche Sport, Soziales und die Kunst. Während sich der Verbund in den ersten beiden Sparten mit einer Logo-Präsenz begnügt, ging der damalige General Direktor Hans Haider mit der Kunst einen Schritt weiter: eine hauseigene Sammlung wurde geplant. Der Vorstand beauftragte Gabriele Schor, ein Konzept zu erstellen. Die studierte Kunsthistorikerin war damals noch Korrespondentin für die Neue Zürcher Zeitung und überlegte sich eine klare Strategie: Sie wollte die Sammlung mit dem Jahr 1970 beginnen, „damit es eine Geschichte hat“, und vor allem in die Tiefe statt in die Breite kaufen, mit klaren Schwerpunkten auf einzelne KünstlerInnen und monographischen Publikationen. „Der Verbund wollte Kunst und Arbeitsplatz verbinden, mir war dazu noch wichtig, die Sammlung auch in Außenauftritten zu zeigen, die nicht unbedingt mit den ökonomischen Schwerpunkten des Unternehmens zusammenhängen“, erklärt Schor.
IMG_7313Sie erhielt den Zuschlag. Einzige Bedingung: eine unabhängige Ankaufsjury sollte ihr zur Seite stehen. Ausgestattet mit einer Millionen Euro als Ankaufsbudget in den ersten fünf Jahren, erwarb Schor gleich vier Filmstills von Cindy Sherman für 45.000,- Dollar – heute gesehen ein Schnäppchenpreis, „jetzt kosten die bis zu 1 Millionen auf einer Auktion“, sagt Schor. Bei manchen Werken zierten sich die Galerien: Jeff Walls „The Crooked Path“ durfte sie erst kaufen, nachdem ihre Jury aus Museumsdirektoren mehrmals die Qualität der damals noch jungen Verbund-Sammlung bestätigte
Heute ist eine solche Händlerhaltung kaum noch vorstellbar. Nicht nur zögern Galeristen in Anbetracht der notorisch unterdotierten staatlichen Museen kaum mehr bei den weitaus liquideren privaten bzw. Firmenankäufen. Vor allem schaffte es Schor, dass die Sammlung Verbund in nur knapp zehn Jahren einen hervorragenden Ruf erhielt. Denn schon bei ihrem ersten Außenauftritt 2007 im MAK kristallisierten sich zwei zentrale Themen der Ankäufe heraus: Feministische Avantgarde – damit prägte Schor sogar einen neuen Begriff, der die Kunstgeschichte herausfordert. Bisher gab es keine Untersuchungen über die Rolle von Künstlerinnen seit den 1970er Jahren, die radikal und frech das Eigenbild der Frau thematisierten. Seit 2010 tourt dazu eine großartige Wanderausstellung der Sammlung Verbund durch Europa, zur nächsten Station im September in London werden weitere Neuerwerbungen zu sehen sein. Von den drei Schwerpunkt-Künstlerinnen Birgit Jürgenssen, Cindy Sherman und Francesca Woodmann besitzt die Sammlung jeweils mehr als 50 Werke. In einem alten Katalog von 1975 sah sie Werke von Renate Bertlmann, einer Wiener Künstlerin. „Ich war begeistert, kannte sie gar nicht, habe im Telefonbuch nachgeschaut und sie angerufen – damit hat unsere Zusammenarbeit begonnen“, erinnert sich Schor. In den letzten Jahren kauften sie 30 Werke an und trugen maßgeblich zur Wiederentdeckung dieser Pionierin bei.
IMG_7310Das zweite Thema lautet „Wahrnehmung von Räumen und Orten“. Dieser Fokus ergab sich aus dem zeitlichen Rahmen, denn in den 1970er Jahren arbeiteten KünstlerInnen zunehmend außerhalb von Institutionen, definierten Räume neu und schufen raumgreifende Installationen. Unter dem Titel „Open spaces – secret places“ ist daraus gerade eine Auswahl von 23 KünstlerInnen im „Sommer der Fotografie“ im Brüsseler Bozar zu sehen. Es ist die Hauptausstellung dieses zweijährliche Festivals, das mithilfe von 30 Partnern zustande kommt, die jeweils die Hälfte ihres Budgets beisteuern.
IMG_7300Für Brüssel stellte Schor 200 Werke von 27 KünstlerInnen zusammen, darunter eine beeindruckende, kleine Werkschau von Gordon Matta-Clark – „wir besitzen eine der größten Sammlungen seiner Werke“, sagt sie stolz. Berühmt wurde der 1978 als 35jähriger gestorbene Matta-Clark für seine „Cuttings“: Schnitte durch Hausfassaden, Decken und Wände – sich gegen die Architektur richtende, das Experimentelle suchende, temporäre Werke, die mit Video und Fotografie dokumentiert wurden. Hier hängt auch jener Jeff Wall, den die Galerie damals erst nicht hergeben wollte. Aber es sind nicht nur historische Werke. Die in Singapur geborene Simryn Gill dokumentierte Häuser in Kuala Lumpur, die nie bewohnt wurden. Diebe stahlen die Fensterrahmen und lehnten die Glasscheiben sorgsam an die Wände – lichtdurchflutete Orte der Abwesenheit.

alle Fotos: Ausstellungsansichten „open spaces | secret places. Works from the SAMMLUNG VERBUND collection, Vienna“ im BOZAR, Brüssel © SAMMLUNG VERBUND, Wien / BOZAR, Brüssel

alle Fotos: Ausstellungsansichten „open spaces | secret places. Works from the SAMMLUNG VERBUND collection, Vienna“ im BOZAR, Brüssel
© SAMMLUNG VERBUND, Wien / BOZAR, Brüssel

Die junge, in Teheran lebende Tahmineh Monzavi fotografierte Schneidereien und Geschäfte in desolaten Häusern, in denen Hochzeitskleider verkauft werden – Bilder für eine verratene Hoffnung in einem Land, dass Frauen unterdrückt. Humorvoll ist Ceal Floyers Diaprojektion eines Lichtschalters, minimalistisch und skulptural.

Ernesto Neto

Ernesto Neto

Aber die Präsentation in Brüssel besteht nicht nur aus Fotografien und Filmen: Auch Ernesto Netos Raum aus Nylonstoff ist aufgebaut, den er 2005 für das Wiener Freud Museum schuf. Und den Abschluss bildet Fred Sandbacks Skulptur, die nur aus doppelten Fäden eine Form skizziert – ein Volumen ohne Oberfläche, ein Raum ohne Wände. Heute gehört Sandback zu den gefragtesten Künstlern des Auktionshandels, aber Schor kaufte früh genug ein. „Wir haben die größte Sandback-Sammlung außerhalb der USA“, betont sie – und das schlägt auch zu Buche: 2012 wurde erstmals die Wertsteigerung der Sammlung Verbund ermittelt: Den Ausgaben von 7 Millionen Euro stand nach nur acht Jahren ein Wert von 12 Millionen gegenüber. Seit 2011 ist das Ankaufsbudget drastisch geschrumpft, erst auf 250.000 Euro, ab 2017 werden es nur noch 125.000 Euro sein – bei den rapide steigenden Preisen ein sehr kleiner Betrag, aber immerhin: „Ich finde es bemerkenswert, dass trotz wirtschaftlich schwieriger Umstände der gesamte Verbund-Vorstand hundert Prozent hinter der Sammlung steht.“ 2017 wird der Wert der mittlerweile über 800 Werke von 120 KünstlerInnen erneut ermittelt, denn die Sammlung ist Teil des Anlagevermögens der Verbund AG.

veröffentlicht in: Die Presse, 3.7.2016
Open Spaces Secret Places, Summer of Photography, Bozar, Brüssel, bis 4.9.2016