Seltene Erden, TBA 21

18. Apr. 2015 in Ausstellungen

Roger Hiorns

Wir unterteilen die Erdgeschichte in Stein-, Bronze- und Eisenzeit. Grundlage dafür sind die entscheidenden Materialien, aus denen Waffen hergestellt wurden. In einer Ausstellung in TBA21 schlagen jetzt die Kuratoren Boris Ondreicka und Nadim Samman eine weitere Epochenbezeichnung vor: die Seltene Erden-Zeit.

Suzanne Treister

Sie luden 17 KünstlerInnen ein, von denen sie 10 beauftragten, neue Werke zu diesem Thema anzufertigen. Entstanden ist so die aufwändigste Ausstellung, die TBA21 bisher in ihrem Domizil im Augarten organisierte.

Die Zahl der KünstlerInnen ergibt sich aus dem Thema: Zu den Metallen der Seltenen Erden gehören 17 Elemente, die zwar nicht selten, aber geografisch weit verstreut und nur in kleinen Konzentrationen oder als Beimischung in anderen Mineralien zu finden sind. Trotzdem seien die 17 Metalle die „revolutionärsten Rohstoff heutiger Geräte und Waffen“, schreiben Boris Ondreicka und Nadim Samman im Katalog. Tatsächlich sind die Metalle aus unserer Welt nicht mehr wegzudenken, sie sind in Rennrädern und LED-Lampen, Laptops und Laser, Poliermittel, Computerfestplatten und Leuchtziffern, Kopfhörern und Glasfasergabeln. Sie sind überall. „Wir sind alle Sklaven der Seltenen Erden, von einem Material, das zu einem Werkzeug wurde“, fasste es Francesca Habsburg von TBA21 auf der Pressekonferenz zusammen.

„Dieses Projekt ist der Versuch, den Geist unserer Zeit einzufangen“, schreibt Samman im Katalog der Ausstellung. Sie wollen sichtbarmachen, „was allgegenwärtig, jedoch unsichtbar ist, und dabei werden herrschende Klischees über unsere Erfahrungen im Informationszeitalter hinterfragt.“ Samman spricht damit die „Rhetorik um Dematerialisierung und Loslösung“ an, denn solche „Fantasien um Schwerelosigkeit tragen auch ökologische Zerstörung in sich – die Knappheit unserer physischen Ressourcen gerät in Vergessenheit.“

Ai Weiwei, Rare Towel

„Rare Earth“ ist eine enorm ambitionierte Ausstellung, in der nicht weniger als Alles zur Sprache kommen soll: Menschheitsgeschichte, das chemische Periodensystem, Kampf um die Kontrolle von Ressourcen, politische Instrumentalisierung des Vorkommens der Seltenen Erden in China, bedrohliche Abbaumethoden, militärische Verwendungen, „ökologische Verwüstung und (un)menschliche Ausbeutung“ und Seltene Erden als „ein Zeichen unserer zersplitterten Zeit“ (Boris Ondeicka). Das ist entschieden zu viel, um es in der Sprache der bildenden Kunst einzufangen und zu verbildlichen. Zumal wir als BetrachterInnen all dies kaum bis überhaupt nicht aus den Werken extrahieren können. Wollen wir diese thematischen Zusammenhänge finden, stehen wir vor den meisten Werken völlig verloren da. Da hängen etwa runde Tafeln von der Decke, bedruckt mit lauter Bildern, die sich mechanisch ineinander bewegen (Beltran) – eine „Ikonologie von Materie“, eine „kulturelle und historische Kosmologie“: zu viel, um überhaupt einsteigen zu wollen. Marguerite Humeau inszeniert eine feuerspukende Installation mit Erbium und Neodym, die zwar spektakulär aussieht, aber kryptisch bleibt. Ursula Mayer zeigt ihre Glasobjekte, die sie sehr allgemein als „Schwellen zu neuen Lebensformen“ umschreibt und Suzanne Treister kreierte ein Mandala, dass lauter Städtenamen enthält: Fraser Island, Australien; Orrisa, Indien, Snowbid, USA – Lagerstätten, Abbaugebiete. Und?

Aber dann sind da Ai Weiweis weiße Handtücher, in die er „rare earth“ mit einem synthetischen Garn nähen ließ. Durch Europium leuchtet die Schrift in der Nacht – ein giftiger Stoff, der in die Welt des Wohlfühlens eingeschrieben ist. Hier ist ein starkes Bild zu der Thematik entstanden. Den umgekehrten Weg zeigen die Skulpturen von Jean Katambayi Mukendis – er hat eine konstruktivistisch aussehende Skulptur aus Pappkartons gebaut – und von Roger Hiorns: Hier scheint das Thema nicht mehr als ein Ausgangspunkt für freie Formfindungen zu sein. Hirons zeigt einen Helikoptermotor mit offener Flamme, auf dem ein nackter Knabe sitzt. Es sei ein moderner Ikarus, der vom Himmel gefallen ist, wird erklärt, eine „Neuinterpretation von Rodins ´Der Denker´“.

Irgendwo mögen all diese Werke mit dem sehr groß angelegten Thema verbunden sein, aber man mag nicht mehr lesen – und das ist wohl der bessere Weg in dieser Ausstellung. Das Ausstellungskonzept der Selten Erden ist strapaziös-übermächtig. Aber sieht man von der allzu großen Ambition der Kuratoren ab, können viele der Werke absolut begeistern.

Rare Earth, TBA Augarten, Scherzergasse 1A, bis 31. Mai 2015-02-24

copyright SABINE B. VOGEL