Seven Sins in Bozen

11. Okt. 2004 in Ausstellungen

Seven Sins, die Sieben Todsünden – ein perfektes Thema für die Kunst?
Ursprünglich von den Mönchen im 4. Jahrhundert in weltabgeschiedenem Dasein erfunden, sind die sieben Todsünden heute mehr als fern gerückt. Zur Erinnerung: Es handelt sich um Zorn, Geiz, Neid, Gefräßigkeit, Trägheit, Wollust und Hochmut. Im Museion in Bozen wird jetzt nach einer möglichen Verbindung zwischen christlichem Wertesystem und aktuellen künstlerischen Positionen gefragt. Seven Sins = 7 Künstler und Künstlerinnen, deren Werke diese Themen umkreisen. Sie wurden eingeladen, je eine Todsünde zu interpretieren.
Die gerne ihren Ärger in die (Kunst-)Welt hinausschreiende Tracey Emin wählt Zorn und präsentiert eine wohlüberlegte Kombination älterer und eines neuen, gestickten Bildes. Elke Krystufek fertigte vor Ort eine raumfüllende Installation rund um Wollust an, dabei ihre Selbstdarstellungen und Portraits vom Dalai Lama und David Bowie kryptisch kombinierend. Sislej Xhafa entwirft zum Thema Neid eine Matratze mit eingeschnittenem Kreuz, aus dem unten Glastränen tropfen. Jota Castro schreibt die Namen von Arafat, Bin Laden, Einstein, Negri, Oppenheimer bis Pol Pot in auf dem Boden liegende Sterne – sein Weg des Hochmuts. In ihrem Video von 1999 isst Hilla Lulu Lin mit kirschrotem Mund knallrote Pepperoni – Gefräßigkeit. Trägheit ist Muntean/Rosenblums Motto für ihre bekannten Bilder von gelangweilten Jugendlichen und auch Santiago Sierra greift auf eine ältere Arbeit zurück: Er zahlte zehn Männern je 20 Dollar, um vor der Kamera mehr oder weniger erfolgreich zu masturbieren: Geiz. Minimale Bezahlung mit hoher Wertsteigerung im Kunstbetrieb.
Interessanterweise trifft in jedem der Seven Sins-Beiträge die gewählte Todsünde zu – und trotzdem ließen sich die meisten Begriffe untereinander austauschen. So beantwortet die Ausstellung die Eingangsfrage unmissverständlich: Das historische Raster greift nicht mehr. Weder existiert Basis und Verständnis des christlichen Wertesystems noch existiert auf moralischer oder ikonographischer Ebene irgendeine Verbindung zwischen Christentum und zeitgenössischer Kunst. Und noch etwas anderes wird hier deutlich: Vielleicht erwarten wir verdammt viel von der Kunst. Wenn die Gesellschaft derartig verunsichert ist, dass die Todsünden – wie kürzlich geschehen – von der Werbung aufgegriffen werden, um ein kalorienreiches Eis zu vermarkten, wie und vor allem warum sollte in solch einem Werte-Vakuum ausgerechnet die Kunst die Leerstelle mit Sinnbildern füllen?

veröffentlicht in: www.artnet.de, 11.10.2004

Zur Ausstellung erscheint der Katalog “Seven Sinsö mit Texten von Leo Andergassen, Simon Blackburn, A. Hapkemeyer, Letizia Ragaglia in einer deutsch/italienischen Ausgabe.

 

www.museion.it