St. Moritz Art Masters 2010

29. Aug. 2010 in Reisen

 

St. Moritz Art Masters 2010 –  Nachdem die Golfer und Wanderer das Hochtal verlassen haben, steht zehn Tage lang das Engadin im Zeichen der Kunst.

Gerade sind die letzten Feriengäste abgefahren. In wenigen Tagen schließen die Hotels. Dann ist St. Moritz für drei Monaten nahezu ausgestorben. Kurz zuvor aber belebt sich das Engadin 10 Tage lang als „Gipfeltreffen der internationalen Kunstszene“ – so der Anspruch von „St. Moritz Art Masters“, kurz SAM genannt. Vor drei Jahren gründete der ehemalige Playboy-Fotograf Monty Shadow diese Veranstaltung, die heuer von St. Moritz über La Punt Chamues und Zuoz bis S-Chanf und Sent zu 32 Kunst-Stationen führt.

AES+F, Angels and Demons

Begonnen hat dieses alpine Kunstprojekt als nahezu geschlossenes Ereignis, getragen von einer hochkarätigen Sponsoren-Gruppe. Die Idee dahinter: Wer sein Geld der Julius Bär-Bank anvertraut, fährt wohl auch gerne Mercedes, kauft Cartier-Uhren, schreibt mit Montegrappa-Füllfedern und trägt Rodenstock-Brillen – ein Kundenaustausch-Projekt, in dem Anfangs die Kunst nicht viel mehr als Beiwerk zu den exklusiven Abendessen und Musikkonzerten war. Das befremdete schnell die zahlreichen Galeristen, Sammler und Kunstfreude, die hier Häuser besitzen. Zudem waren nirgendwo Karten für das musikalische Begleitprogramm zu kaufen.

Aber der Kurator Reiner Opoku lernte schnell. Jetzt ist nicht nur die Präsenz der Kunst im öffentlichen Raum gestärkt, sondern auch die führenden Galerien und selbst private Sammler als aktive Teilnehmer eingebunden. Damit steht der „Walk of Art“ heuer auf vier ´Beinen´: Ein Teil der zwanzig KünstlerInnen stellt in den Galerien aus, die wie Tschudi oder von Bartha in faszinierenden, historischen Häusern untergebracht sind. Hier ist nicht nur Kunst zu sehen, sondern auch  großartig renovierte, frühe Architekturen des Engadin. Das zweite Bein sind Privatsammler, die so wie der Unternehmer Beat Curti sein Haus voller Werke von Not Vital öffnet, oder das Engadiner Museum, in dem die poetischen Bilder von Gino de Domenici zu den historischen Möbeln gehängt sind. Die rekonstruierte Lebensweise vergangener Zeiten vermischt sich hier mit den mysteriösen Figuren des italienischen Künstlers, der sich Zeit seines Lebens dem Kunstmarkt verweigerte.

Problematisch dann ist das dritte Bein. Denn die Sponsoren zahlen nicht nur. Sie tragen auch eigene Ausstellungen bei – eigentlich eine gute Idee, aber damit entsteht ein irritierendes Qualitätsgefälle. In einem kleinen, zwar von Gerwald Rockenschaub farblich gestalteten, aber doch allzu improvisierten Zelt zeigt die Daimler-Sammlung eine kleine, recht beliebige Video-Auswahl von Silvie Fleury bis Heimo Zobernig. Nebenan in einem gemieteten Privatappartement erschrecken die viel zu klischeehaften Fotografien, die David La Chapella für die Luxusautomarke Maybach inszeniert hat. Fast vergisst man, dass es hier ja eigentlich um „Art Masters“ gehen sollte und nicht um eine Selbstinszenierung der Sponsoren.

Emilia Kabakov

Um wie viel überzeugender dagegen sind jene Werke, die das zentrale Standbein stellen und im öffentlichen Raum stehen! Unten im St. Moritzer See ist Ilya und Emilia Kabakovs Holzschiff „Wind of Tolerance“ vertaut. Gebaut von lokalen Tischlerlehrlingen, flattert weithin sichtbar das bunte Segel im Wind. Es ist zusammengesetzt aus lauter Bildern, die von Kindern aus dem Oberengadin zu dem Thema Toleranz gemalt wurden – ein brisantes Thema in diesem Hochtal, das in der Hauptsaison bis zu 25% Ausländeranteil hat. Mit der Fertigung des Schiffs vor Ort ist nicht nur die Bevölkerung in die Veranstaltung einbezogen, sondern wird auch zum Nachdenken über den Umgang mit den Anderen provoziert. Völlig harmlos dagegen schaut gleich nebenan ein Stefan Balkenhol-Kopf über den See. Höchst provokant wiederum hat der Österreicher Christian Eisenberger seinen vollgemalten Holzverschlag direkt vor das Fünf Sterne-Hotel Kempinski platziert. Durch kleine Löcher kann man innen gackernden Hühnern zuschauen – ein Sinnbild für den Tourismus? „Die Entstehung des Eis“ nennt es Eisenberger – also ein Wortspiel zwischen Eis und Ei? Auf jeden Fall ein scharfer Kontrast zu dem Hochglanz der Sponsorenauftritte, Nobelhotels und Prada-Shops.

Christian Eisenberger

Genau in solchen Infragestellungen der Klischees rund um ´St. Moritz´ liegen Charme und Potential dieser Veranstaltung. Zwar ist der „Walk of Art“ verbesserungsbedürftig, die Auswahl sollte vor allem in den Galerien weniger auf all die Alpenbilder, insgesamt mehr auf  komplexe Kontexte zielen. Aber trotzdem kann das Saisonende perfekter kaum genutzt werden als zu diesem Blick auf und über das weltberühmte Hochtal.

Ilya & Emilia Kabakov, Old Bridge


Wim Delvoye

St. Moritz Art Masters, 27.8.-5.9.2010

veröffentlicht in: Die Presse, 29.8.2010