Television – Kunst sieht fern: Versenkt im Formalismus

11. Jan. 2002 in Ausstellungen

In einer kleinen, unauffälligen Kammer läuft hinter verschlossener Tür ein Tonband. Versteckt in knallharten Bemerkungen zu drei Hauptakteuren, erzählen zwei Stimmen ein tiefgründiges Intrigendrama. Der Titel: „Die wahre Geschichte von Tele 5 – ein Dementi aller Lügen“. Der Name „Tele 5“ sei eine „Hommage auf den ersten gescheiterten Privatsender Deutschlands“, hören wir. „Tele 5″ bezeichnet eine Videobar, in der Fatima, Joachim und Marc Stammgäste sind. Dass es mehr als eine Bar ist, klingt zwischen den Zeilen durch, wird aber kaum ausgesprochen. Die beiden Stimmen gehören den Künstlern Hans-Christian Dany und Christoph Schäfer. Als Mitbegründer entwarfen sie mit von „Tele 5“ eine Fernseh-dominierte Bar, in der vier Monitore zugleich als Lichtquelle und für ein ausgesuchtes Künstler-Video-Programm genutzt werden. Im Stil einer Soap-Opera formulieren sie mit der „Wahren Geschichte“ jetzt ihre Abrechnung mit den trendfröhlichen Gästen, vor allem aber ihre Version der feindlichen Übernahme des ambitionierten Projektes durch Fatima.
„Die wahre Geschichte“ ist Teil der Ausstellung „Television – Kunst sieht fern“ in der Kunsthalle Wien. Dieser Beitrag trifft einen zentralen Punkt im Konzept des amerikanischen Gastkurators Joshua Decter: TV ist zwar das Thema der Ausstellung, aber um eine dezidierte Auseinandersetzung mit diesem Medium geht es hier nur zweitrangig. Eher um Decters biographische Erfahrung: „Fernsehen ist in uns: andauerndes, endloses Fernsehen.“
Das ist ein sehr breit angelegter Zugriff, der viel Spielraum für die Werk- und Künstlerauswahl zuläßt. So versetzt uns Pipilotti Rists Installation „Das Zimmer“ von 1994 geradezu konträr zur absolut reduziert präsentierten „Wahren Geschichte“ in eine surreale Welt. Ein ganz normaler Fernseher läuft inmitten einer überdimensionalen Wohnzimmereinrichtung mit Sofa, Sessel, Wandbild und Stehlampe. Die faszinierende Proportionsverschiebung bis hin zur riesigen Fernbedienung schrumpft die Zuschauer in Kindergröße und verwandelt das Fernseherlebnis in eine Alice-im-Wunderland-Welt – allerdings nicht mit laufendem Programm, sondern mit einer Auswahl von Rists Videos.
So beeindruckend beide Beiträge als eigenständige Werke sind, so irritiert doch der kuratorische Filter namens ´Fernsehen´. Eine inhaltliche Thematisierung des Mediums – auch in Abgrenzung zu Video – findet sich selten. Stattdessen ist die Auswahl der über 80 Installationen, Gemälde, Fotografien und Skulpturen von formalistischen Entscheidungen dominiert. Dabei ist das Thema einer wechselseitigen Beeinflussung absolut spannend und in der Ausstellungsarchitektur auch ansatzweise aufgegriffen. Denn im Raum entstehen unerwartete Blickwinkel durch die neue Verbindungsbrücke zwischen den beiden Galerien und durch die aufgestellten Wandfenstern, die sich mit ihren abgerundeten Ecken deutlich auf Monitore beziehen. Dieser Fernsehblick funktioniert sehr gut mit der Fernseh-Ecke des Künstler-Netzwerks „GALA Komitee„, die verschiedenste Ausstattungsgegenstände für die Studiodekoration der US-amerikanischen TV-Serie „Melrose Place“ anfertigten. Oder mit Ilene Segaloves Video „Why I got into TV and other stories“, Alexander Kluges frühes Video „Objekte der Werbung“, Nam June Paiks Klassiker „Good Morning, Mr. Orwell“ und Christoph Schliengensiefs Sendung „U3000“ – Beiträge, für die auch die Kunsthallen-Kuratorin Gabriele Mackert mitverantwortlich ist.
Jene Beiträge allerdings, die nicht als Video, sondern als Raum- oder Wandarbeit präsentiert sind, zerfallen in eine beliebig erweiterbare Ansammlung von Bildelementen rund um TV: Martin Kippenbergers gemaltes Portrait des TV-Kommissars Hansjörg Felmy, Maurizio Cattelans Esel mit aufgeladenem Monitor, die Foto-Reihe mit Fernseher in irgendeiner Zimmerecke von Nan Goldin („Shelley on her sofa“), Laurie Simmon („Woman Watching TV“), Louise Lawler („Once there was a little boy and everything turned out all right. The end“) oder Dike Blair („Untitled“) – das also sind die Werke, mit denen Decter die Präsenz des Fernsehens in Kunstwerken bzw. „das kreative, kritische und komplexe Potential dieser Wechselbeziehung“ zeig?
Absurd wird die Wahl von Ashley Bickertons Zeichnung „The Patron“: ein Sammler fläzt sich auf einem Designer-Sofa, eine Brancusi-Skulptur und ein Mondrian-Bild im Hintergrund. In der Hand hält er eine Fernbedienung. Eine beeindruckende Zeichnung und eine interessante Künstlerwahl, denn Ashley Bickerton, Star der 80er Jahre, ist schon einige Zeit aus den Ausstellungslisten verschwunden. Er lebt jetzt in Bali, erfahren wir im Katalog – aber: die Kunst sieht fern? Ist hier nicht das Moment der wahllosen Programmwahl – entkoppelt vom sicherlich nicht zufällig unsichtbaren Apparat – symbolisch eingesetzt für eine Sammlerhaltung? Thematisiert Bickerton hier nicht deutlich den Kunstbetrieb – ebenso, wie auch Louise Lawler in ihrer Fotografie? Es scheint mir anmaßend, diese Werke unter den Filter „Television“ zu legen, denn damit wird das Medium zum stereotypen Platzhalter für eine sinnentleerte TV-Allgegenwart, statt in seiner ästhetischen und strukturellen Komplexität und auch Wirksamkeit ins Zentrum zu rücken. Ein kleiner Ausschnitt aus Bickertons Zeichnung stellt übrigens das Motiv des Ausstellungsplakates.
Noch oberflächlicher wird der Zusammenhang von TV und Kunst in der dichten Abfolge dreier Werke: Neben Sean Landers Gemälde „I Can´t Think“ sind Mengen von General Ideas Multiple „TV Dinner Plates“ plaziert, gefolgt von Thomas Demands Fotografie „Studio“, einer TV-Studio-Konstruktion – alle drei mit dem Motiv des früheren, bunten TV-Testbild. Ist die Einflußnahme des Fernsehens auf die bildende Kunst tatsächlich auf Farbspiele zu reduzieren? Muß die Lösung der Werkpräsentation tatsächlich in einer Verdoppelung der problematischen, formalistischen Auswahl liegen – zumal die spannenden Video-Beiträge als Monitorbilder selbst in dieser Ausstellung nicht im Mindesten gegen die visuelle Präsenz der Raumarbeiten antreten können?
Der Großteil jener Werke, die sich direkt mit Fernsehen auseinandersetzen, findet im eigenständigen, von Justin Hoffmann kuratierten Teil von „Television“ statt. In vier Veranstaltungsreihen wird die Ausstellung auf einer „performativen, audiovisuellen, diskursiven und filmischen Ebene“ weitergeführt. Damit greift Hoffmann das TV-typische Element der verschiedenen Formate auf, um Information bis Entertainment zu präsentieren. Hier finden sich dann Themen wie Fernsehspiele und -Musik ebenso wie „Love, Lies, Television. The greatest sex scenes on TV – watched and selected by women“ oder Hoffmanns Fernsehquiz.
Das spannendste Format heißt „Übertragungen – Fernsehen jenseits des Mainstreams“. Hier werden Thesen zur kulturellen Rolle des Fernsehens diskutiert, künstlerische TV-Experimente vorgestellt und zukünftige Möglichkeiten erwogen. „Künstler machen Fernsehen – eine Bestandsaufnahme“ nennt Hoffmann den ersten Abend mit u.a. Van Gogh TV und UTV. Anfang der 90er Jahre gründete Hans-Christian Dany zusammen mit Stefan Dillemuth und Joseph Zehrer „Unser Fernsehsender UTV“. UTV sollte als sich selbst tragender Privatsender jeden Tag 24 Stunden Programm anbieten, finanziert durch private Werbeschaltungen im Stil der Kleinanzeigen in Stadtzeitschriften, dazu öffentliche Gelder. Ein beeindruckendes Demo-Band von drei Stunden Laufzeit demonstriert das Vorhaben, das dann leider auf dem langen Weg der Finanzierungen und Genehmigungen verloren ging. Warum ist dieses Band nicht in der Ausstellung zu sehen?
Ein weiterer Abend ist dem US-amerikanischen Produktionskollektiv Paper Tiger TV gewidmet, die seit 1981 kontinuierlich medienkritische Beiträge im Offenen Kanal New Yorks senden. In diesem Bereich – und nur hier – kommen auch generelle Themen zur Sprache: „Die Ästhetik des Fernsehens“ und „Migration und Fernsehen“. Erst in der Kombination des Ausstellungs- und des Veranstaltungsteil versteht sich der breitspurig formulierte Anspruch von „Television – Kunst sieht fern“, nämlilch „die Einflüsse von und Reaktionen auf Fernsehen der unterschiedlichen künstlerischen Generationen erstmals in ihrer Breite“ vorzustellen. Eingelöst werden kann dies allerdings nur, wenn die Veranstaltungen auch als Video-Mitschnitt in der Ausstellung abrufbar wären. Ansonsten hat die Kunsthalle Wien in dem Ausstellungsteil ein grandioses Thema im Formalismus versenkt.

Television – Kunst sieht fern, Kunsthalle Wien, bis 6.1.2002; Katalog Euro 21,07
veröffentlicht in: FAZ, 11.01.2002