Venice Glass Week & NOMAD Venice 2019

30. Sep. 2019 in Kunstmarkt, Kunstmesse

Leslie Ann Genninger, Fragments of Reflections. Venice Glass Week 2019 // SBV

Leslie Ann Genninger, Fragments of Reflections. Venice Glass Week 2019 // SBV

Zum dritten Mal findet heuer die Venice Glass Week statt. Eine Woche lang steht Venedig dann im Zeichen von Glaskunst. Aber findet man in der Lagunenstadt nicht eh in allen Gassen und an jeder Ecke Glasobjekte, braucht es da noch eine eigene Werbemaßnahme? Die meisten Shops werben mit der Herkunft Murano – obwohl ein Großteil der Billigware als plumpe Kopien aus Asien kommt. Diesem Etikettenschwindel will die Venice Glass Week entgegenwirken, die zertifizierte Marke protegieren – und damit zugleich ein Bewusstsein für die Schönheit und Einzigartigkeit der hochwertigen – und hochpreisigen – Muranogläser schaffen.

Simone Cenedese in seiner Werkstatt. Foto SBV

Simone Cenedese in seiner Werkstatt. Foto SBV

Und vielleicht hilft diese Woche auch dabei, einer bedrohlichen Tendenz entgegenzuwirken: Fast ein Jahrtausend dominierte in Venedig die Kunst der Glasbläserei. 2010 gab es noch 388 Glasstudios, 2016 waren es nur mehr 263. Heute sind rund 60 Betriebe übrig – die übrigens früher über ganz Venedig verteilt waren. Aber per Dekret des Dogen mussten im Jahr 1291 alle nach Murano übersiedeln – die Menge der offenen Feuer war zu bedrohlich für die Lagunenstadt. Mit der Ballung aller Glasbläser auf der Insel entstand die heute weltweit bekannte Marke Muranoglas. Hier hat auch die renommierte Manufaktur Venini ihren Sitz, wo man Objekte von Ron Arad für 17.500 Euro oder das Dreier-Ensemble des berühmten Architekten Tadeo Ando für 22.500 Euro kaufen kann – in Sachen Preisen hat die Glaskunst kein Limit. Und in Ideen für neue Experimente auch nicht – was die Glasweek eindrücklich vorführt.

Thomas Stearns, Courtesy

Thomas Stearns, Courtesy Le Stanze Del Vetro

In einer einzigartigen Schau zeigt Le Stanze Del Vetro auf der San Giogrio Maggiore-Insel 80 Werke von Thomas Stearns. Der US-Amerikaner kam als junger Mann 1960 mit einem Stipendium aus Oklahoma nach Murano, um Glasobjekte zu gestalten. Nur zwei Jahre verbrachte er bei Venini und revolutionierte mit seinen verrückten Ideen die ganze Branche. Gegen den heftigen Widerstand der alten Meister setzte er sich mit damals völlig unüblichen asymmetrischen Formen durch, ließ sich von den schiefen Dogen-Mützen für Vasen inspiriert, ersetzte die kleinteiligen Muster durch Wasser-ähnliche Farbverläufe und schaffte es, den Gläsern zugleich malerische und skulpturale Qualitäten zu verleihen.

Sini Majuri, Icebergs. Foto SBV, Venice Glass Week 2019

Sini Majuri, Icebergs. Foto SBV, Venice Glass Week 2019

Zwar wandte sich Stearns nach seiner Rückkehr in die USA für immer von der Glaskunst ab. Aber seine Ideen scheinen bis heute weiterzuwirken, denn viele zeitgenössische Entwürfe folgen einem ähnlichen Modell: Immer häufiger werden traditionelle Techniken mit experimentellen Innovationen verbunden. Im Palazzo Franchetti sind farblose, transparente Gläser aufgestellt. Schaltet man per Knopfdruck die UV-Beleuchtung ein, erstrahlen sie in magischen Farbtönen – das perfekte Glas für Discotheken! Die junge Finnin Sini Majuri dagegen zieht in ihren blauen Eisbergen Parallelen zwischen Venedig und dem Verschwinden der Eisberge. Produziert aus Glasabfällen der Manufaktur Littala thematisiert sie den Klimawandel mit diesen Tischobjekten.

David Landau vor Glasobjekten von , Foto Venice Glass Week 2019

David Landau vor Glasobjekten von Michela Cattai, Foto Venice Glass Week 2019

Die großen Meister aber sind am Campo Santo Stefano ausgestellt, das üppige Blumenbukett von Fuochi Boreali oder die Vasen in grandiosen Farben in Michela Cattais Serie “Acqua Contrasto”, die in einer limitierten Auflage von 19 Exemplaren entstanden und bei Venini ab 2.500 Euro zu kaufen sind.
Kuratorin dieser Ausstellungen ist Rose Barovier Mentasti, die von Glas als einem “mysteriösen Material” spricht. Sie sieht in der zeitgenössischen Glaskunst eine klare Tendenz zu starken Farbspielen und unerwarteten Applikationen. Aber sie betont auch die Unterschiede der Glaskulturen: Im “Norden”, wie sie sagt, werde das Glas eher wie Steine behandelt, länger gebrannt und grober geformt. In Murano dagegen dominiert eine wundersame Leichtigkeit und Flüchtigkeit in höchster Eleganz. Einen Mittelweg fand Leslie Ann Genninger mit ihrer raumfüllenden Collage aus Spiegelfragmenten, die sie im Archiv des Glasmeisters Guido Barbini fand – Fragmente einer 500 Jahre alten Tradition der Silberspiegeltechnik.

Thomas Stearns, Le Venzo

Thomas Stearns, Courtesy Le Stanze de Vetro, 2019

Aber kann man als Laie in weniger renommierten Verkaufsräumen bei weniger ausgefeilten Werken die hochwertige Muranoglaskunst von mittelmäßiger Ware aus China erkennen? “Ja”, erklärt Glassammler und Mitinitiator David Landau, “am Preis”. Und am Zertifikat, muss man hinzufügen – denn nur wo Murano draufsteht, ist tatsächlich die hohe Kunst dahinter. Und ein wenig hilft die Venice Glass Week auch dabei, das Auge zu schulen für die Schönheit der venezianischen Glaskunst – wenn man seinen Weg durch das überbordende Angebot von 180 Führungen, Workshops, Vorträgen, Filmen und vor allem Aufstellungen einiger Objekte in Shops, Restaurants und Hotels findet. Da wünscht man sich bisweilen eine größere Konzentration auf weniger periphere, dafür klarere Ausstellungen.

Draga & Aurel, Projekt Ormeggi für NOMAD Venedig, 2019. Foto Filippo Bamberghi

Draga & Aurel, Projekt Ormeggi für NOMAD Venedig, 2019. Foto Filippo Bamberghi

Eine kleine Hilfe zumindest in diesem Jahr war dafür die Wander-Designmesse NOMAD, die nach Monaco und St. Moritz jetzt erstmals in Venedig stationierte. Parallel zur Venice Glassweek gastierte NOMAD mit 26 Galerien und Projekten auf vier Etagen im 1473 erbauten, jüngst großartig renovierten Palazzo Soranzo van Axel. Da trafen Möbel der Brasilianischen Moderne bei Mercado Moderno (Rio De Janeiro) auf zeitgenössische Glasentwürfe wie die verspielten Tischlampen und Wolkenspiegel von Mattia Bonetti (David Gill Gallery, London), die eigens für NOMAD in Murano produziert wurden. Für den Empfangstisch am Eingang entwarf das italienische Designbüro Draga & Aurel eine von Venedig inspirierte, an Wasserwege und Brücken erinnerende Hocker-Tisch-Kombination aus Glas.

Athr Gallery, Jeddah, at NOMAD Venice, Venedig 2019. Courtesy NOMAD

Athr Gallery, Jeddah, at NOMAD Venice, Venedig 2019. Courtesy NOMAD

Ob die Messe nächstes Jahr in die Lagunenstadt wiederkehrt, ist noch nicht entschieden – die Zahl der Besucher jedenfalls war überzeugend. Dabei beträgt der Eintritt für nicht-registrierte Besucher stolze 90,- Euro. Die wahren Fans dagegen sind bereits Mitglieder im NOMAD-Circle und genießen die Messe inklusiv Beiprogramm kostenfrei. Nicolas Bellavance-Lecompt, zusammen mit Giorgio Pace Gründer der Messe, verriet Überlegungen zu einem Zwei-Jahres-Rhythmus an wechselnden Orten in Venedig. Glas jedenfalls, das ist sicher, wird auch auf künftigen NOMAD-Ausgaben nicht nur in Venedig eine wichtige Rolle spielen. Denn wer Kunst und Design kauft, sammelt meist auch Glaskunst.
in veränderter Form veröffentlicht in: Presse Schaufenster, 12.9.2019

Wonderglass Gallery mit India Mahdavi, NOMAD Venice 2019

WonderGlass Gallery mit India Mahdavi, NOMAD Venice 2019