Vom Star zum Staatskünstler: Kultug Ataman

18. Sep. 2013 in News

Kutlug Atamans Rückzug

„Eine neue Sprache der Freiheit und Demokratie ist in den letzten Jahrzehnten in der Türkei entstanden. Diese Stimmung wurde erreicht, indem der Einfluss des Militärs aus dem zivilen Leben und der Politik zurückgedrängt wurde (…). Die regierende Partei verdient Applaus für diese Entwicklungen.“ Diese Propaganda-Worte für die AKP stammen nicht aus Regierungskreisen. Kutlug Ataman, der berühmteste türkische Gegenwartskünstler, beginnt damit seinen heftig umstrittenen Text im Independent, veröffentlicht am 11. Juni 2013.

Während in Istanbul die Polizei immer gewalttätiger gegen die Protestierenden vorging, verharmlost Ataman die Situation als ´Sprache der Jugend gegen die Väter´ und behauptet, es ginge hier um Fragen von Respekt und Zuhören. Tatsächlich handelt es sich um einen alle Generationen vereinenden Protest gegen Erdogans brachiale Gentrifizierung: Am 28. Mai begannen die ersten Proteste gegen die Zerstörung des Gezi-Parkes für ein Shopping-Center und ein Opernhaus. Am 31.Mai startete die Eskalation durch den gewaltsamen Polizeieinsatz, am 15. Juni fand die brutale Räumung des Parks statt.

Änderte Ataman danach seine Meinung? Nein. Der Künstler, der 2004 für den renommierten Turner Prize nominiert war, der seit 1998 Film- und Videoinstallation über das Leben von Außenseitern und Unterdrückten weltweit in Galerien und Museen präsentiert, folgte Mitte Juni der Einladung von Premier Erdogan zu einem Gespräch, an dem 11 angebliche Vertreter verschiedener Protestgruppen teilnahmen. Kein Filmer oder Künstler in Istanbul war mit Ataman als Repräsentat   einverstanden. Seither gilt Ataman als staatstreuer AKP-Künstler.

Vor einigen Jahren hatte er sich in einem Interview als „Star“ bezeichnet, der auf der Straße um Autogramme gebeten werde. Jetzt spricht er von einem „sozialen Lynchen“. Es sei eine Verleumdungskampagne gegen ihn, beklagt er sich. Schuld daran sei eine Gruppe um den Sammler und Biennale-Sponsor Koc. Atamans Konsequenz: Er hat die Türkei verlassen, sämtlichen Galerien gekündigt, die Ausstellungstätigkeit eingestellt und sich komplett zurückgezogen.

in gekürzter Form veröffentlicht in: Die Presse, 18.9.2013