Walid Raad, TBA 21, Wien

29. Mai. 2011 in Ausstellungen

 Walid Raad, TBA21

Wie sorgen eigentlich Künstler für ihre Rente vor? Wer wird ihnen im Alter ein Einkommen sichern? Diese Frage bewog vor knapp zehn Jahren einen jungen Mann, die „Artist Trust Pension“ (ATP) zu gründen. Das Prinzip ist einfach: Bis zu 250 Künstler werden von ausgewählten Kuratoren eingeladen, daran teilzunehmen – was bedeutet, dass sie 20 Jahre lang jedes Jahr ein Werk ´einzahlen´. ATP lagert und verleiht die Werke. Beim Verkauf gehen 40 % an den Künstler, 28 % an alle beteiligten Künstler und 32 % an den Trust. Die finanziell Erfolgreichen tragen also die weniger Bekannten mit – ein aus der Risikowelt bekanntes Modell. Mittlerweile nehmen daran 1363 Künstler und 107 Kuratoren in 8 Fonds von London über Berlin bis Peking teil. Für jenen in Dubai wurde Walid Raad eingeladen – der jetzt in Wien in einer eindringlichen Performance seine Zweifel an diesem Fond vorträgt. Dafür hat er im Ausstellungsraum TBA21 ein verwirrendes Diagramm auf die Wand aufgetragen. Ohne Erklärungen sieht es zwar mit all den Videoprojektionen und vielen Linien wunderschön aus, aber auch höchst kryptisch.

Auch die anderen Räume seiner Ausstellung bei TBA21 entschlüsseln sich ohne Erklärungen überhaupt nicht. Was etwa soll das Modell einer Ausstellung mit Werken, die man kaum erkennen kann? Oder die ausgefransten Bilder, auf die inmitten einer großen, leeren, weißen Fläche Zeitungsausschnitte, Briefe, Katalogbilder geklebt sind? Diese Werke, das ist das ungewöhnliche an der Ausstellung, sollen gar nicht selbsterklärend wahrgenommen werden. Raads Ausstellung ist nur der eine Teil. Der andere Teil ist seine Performance, die im Rahmen der Wiener Festwochen vor den Werken stattfindet. Raum für Raum können wir so seine Weltwahrnehmung erleben. Die großen Leinwände tragen Informationen zu seiner ´Geschichte der arabischen Kunst der Moderne´. Auf den Tafeln lesen wir seine Recherchen zu fast vergessenen Künstlern des Libanon. Die 23 Farbtafeln im nächsten Raum, erzählt er, demonstrieren, dass nicht nur Menschen, sondern auch Farben und Formen vom Bürgerkrieg im Libanon traumatisiert seien. Sie ständen nicht mehr zur Verfügung, verstecken sich in Katalogen, flüchten in Dissertationen, Briefen oder verbergen sich in anderen Farben.

Und das kleine Modell ist sein Versuch, die „Atlas Group“ in Beirut auszustellen. Diese Gruppe, deren Vorsitzender und einziges Mitglied er selbst ist, schafft dokumentarische, aber zugleich fiktive Videos, Fotografien und Essays, die alle um das vom Bürgerkrieg bestimmte Leben im Libanon kreisen. Raad, 1967 im Libanon geboren, demonstriert damit, wie sehr ´Geschichte´ auf Erfahrungen und Erinnerungen basiert, befragt deren Darstellbarkeit und Autorenschaft. Die Arbeit der Atlas Group ist eigentlich seit 2004 abgeschlossen, aber manchmal, gibt er freimütig zu, schafft er doch noch neue Werke und datiert es dann zurück.

Raad ist ein fantastischer Geschichtenerzähler. Die Performance ist absolut großartig. Wie in der Atlas Group ist auch hier die Grenze zwischen Fiktion und Wahrheit so schmal, dass man hin- und hergerissen ist im Versuch, zwischen Märchen und Wirklichkeit zu unterscheiden. Aber das ist gar nicht nötig – es gehört zusammen. All seine Geschichten müssen vor dem Hintergrund des libanesischen Bürgerkriegs verstanden werden, in dem jeder gegen jeden kämpfte und Misstrauen zur Überlebensstrategie wurde. Und genau das ist ein Leitfaden seiner Weltwahrnehmung: Die Bedrohung ist stets präsent. Nichts ist, was es scheint. Überall lauern weitere Wahrheiten. Während Raad sein Weltbild in den 23 Farbtafeln wunderschön traurig-poetisch umsetzt, nimmt es in dem großen Diagramm über APT fast paranoide Züge an. Er fand heraus, dass der Gründer nicht nur mit einer Firma in Israel verbunden ist, die in nahem Verhältnis zum Militär steht – was für ihn als gebürtigem Libanesen „großen Ärger bedeuten kann“. Dubios erscheint ihm auch die Tatsache, dass hier die größte Privatsammlung der Welt entsteht, ohne auch nur 1 Cent auszugeben. Vor allem aber traut er der übergeordneten Firma namens Mutualart überhaupt nicht. Denn dort wird anhand einer ausgefeilten Datenbank der Kunstmarkt zum kalkulierten Kapitalmarkt, mit präzisen Prognosen auf Wertsteigerung. APT, so seine These, sei nur gegründet, um eine große Datenbank aufbauen zu können. Allerdings mit dem Nebeneffekt, dem Raad keine Beachtung schenkt, dass die über 1000, oft wenig bekannten Künstler eine Rente erhalten werden – sofern sie nicht aus dem Fond herausgeworfen werden. Ob er denn schlussendlich beigetreten sei? Nein, er habe zu viele moralische Bedenken gehabt. 

Walid Raad, TBA 21, Himmelpfortg. 13, 26.5.-15.6.2011

veröffentlicht in: Die Presse, 29.5.2011