Waqas Khan – Arbeiten als Tanz . Ein Gespräch

31. Jan. 2016 in Interview

Waqas Khan 2015

Waqas Khan 2015

Ausgebildet als Druckgraphiker, machte Waqas Khan im Jahr 2008 seinen Abschluss am National College of Arts (NCA) in Lahore. Im selben Jahr kam er eher beiläufig zur bildenden Kunst. Er besuchte Freunde in ihrem Atelier und begann aus einer unbestimmten Stimmung heraus, mit einem dünnen Stift kleine Formen zu zeichnen. Es waren nur wenige Zentimeter große Blätter, die er füllte. Er zeichnete tagelang, wollte gar nicht mehr aufhören. Damit begann seine Karriere als Künstler.
Bald zeigte er seine Blätter seinen Freunden, die sofort begeistert waren. Zu seiner ersten Ausstellung noch im selben Jahr lud ihn Imran Qureshi ein, Professor der Miniatur-Klasse am NCA. „Dot (A perfect circle)“ tituliert Khan seine Präsentation am NCA, der ein Jahr später die Ausstellung „Shift“ in der Rohtas Gallery Lahore folgt. Beide waren sofort ausverkauft.
Im Januar 2010 besuchte ich Qureshiin Lahore, damals im Zuge der Vorbereitung einer Ausstellung für die ifa Galerien. Dank seiner Vermittlung lernte ich Waqas Khan kennen. Wenige Tage später eröffnete die Art India in Delhi, am Stand der Galerie Lakereen (Mumbai) konnte ich eine größere Auswahl seiner Werken sehen:  seine frühen, weniger als 10 cm großen Blättern und auch das außergewöhnliche Werk „Seven Skies“.

Waqas Khan, Seven Skies, 2011

Waqas Khan, Seven Skies, 2011

Dieses besteht aus sieben ineinander verschachtelten, zur Bildmitte immer schmaler werdenden Flächen, immer kleiner werdenden Punkten, die in der Bildmitte in einer langen, sehr schmalen, weiß umrahmten schwarzen Fläche kulminieren. In diesem Werk ist der Kontrast zwischen Fläche und Raum, zwischen schwarz und weiß, Punkten und Linien, Innen- und Außenraum höchst intensiv. In diesem Werk spielt Khan mit der Zweidimensionalität, die er mit der dreidimensionalen Konstruktion irritiert. Das Werk erinnert an Zahoor ul Akhlaq , der die spezifische Qualität der Miniaturmalerei in der zweidimensionalen Raumauffassung betonte. Khan allerdings verfolgt nicht die Frage des Raumes, sondern von Bewegungen, emotionalen, physischen, geistigen.
Ich war sofort fasziniert von diesen obsessiven Bildern, die gefüllt sind mit Unmengen von winzigen, fast amorphen Kreisen, die wie Zellen aussehen. Dicht aneinander gerückt, als würden sie sich suchen, erinnern sie an Wellen in einem Teich – gleichwohl sie dafür viel zu exakt den Raum ausfüllen. Tatsächlich sind es keine Kreise, sondern aus unzähligen Punkten zusammengesetzte Formen. Sie ergeben keine Figuren, sondern bilden einen rein abstrakten Raum. Schaut man mit einer Lupe auf die Details, kommen kleine Unregelmäßigkeiten in den Blick, manchmal ein dickerer Farbauftrag, der von einem festeren Druck auf den Stift erzählt, oder eine ungleichmäßige Anordnung – Unebenheiten, die in der Summe dem Ganzen eine ungeheure Dynamik erzeugen. Wie Ausschnitte aus einem größeren Zusammenhang scheinen die merkwürdigen Punkt-Populationen, ja, die gesamte Zeichnung unbeschwert und voller dynamischer Leichtigkeit in einem unbestimmten Raum zu schweben.
Waren es Anfangs noch wenige Zentimeter große Bilder, so fand Khan während seines Stipendium-Aufenthaltes in den Krinzinger Projekten in Wie 2012 zu einem deutlich größeren Format und erstmals auch zur Farbe. Im Gespräch erklärt er mir seine Arbeitsweise.

W. Khan // SBV

W. Khan // SBV

Waqas Khan: Wenn ich mit einem Bild beginne, habe ich oft eine bestimmte Form, einen Kreis oder ähnliches in meiner Vorstellung. Der Prozess ist vergleichbar mit dem Aufschreiben einer Geschichte. Nach einigen Tagen verändert sich dann alles und folgt einem eigenen Ablauf, den ich nicht mehr steuere und den ich auch nicht mehr unterbreche. Dann fließt alles aus meinem Leben hinein, wenn ich verärgert bin oder unkonzentriert oder glücklich. Manchmal tanzen die Linien, manchmal wird es auch ungenau.
Arbeiten ist für mich wie Atmen, es ist Teil meines Lebens, meines Körpers, ich liebe es, tue es einfach. So hat es begonnen und so ist es noch immer. Punkt folgt auf Punkt, Form auf Form, so wie man Ziegel auf Ziegel legt, um eine Mauer zu bauen. Ich denke darüber nicht nach, habe nie über Farben der Stifte oder Größe des Papiers nachgedacht – all das kommt intuitiv. Ich springe hinein in das Arbeiten, es ist wie ein Tanz. Ich fühle mich glücklich, wenn ich arbeite. Alles beginnt mit Punkten – und endet damit!
SBV: Du hast Anfangs in einem auffallend kleinen Format gearbeitet und bist jetzt weit darüber hinaus gegangen – wie kam das?
Waqas Khan: Ich halte den Stift mit zwei Händen. Es braucht eine enorme Konzentration und ich bin erst langsam zu den größeren Formaten gekommen. Die kleinen Papiere sind für mich wie Schlüsselmodelle. Jetzt kann ich ein Bild fühlen und weiß, wie es im größeren Format aussehen wird.
SBV: Sind die kleinen Formate eine Art Skizze?
Waqas Khan: Ich mache nie Skizzen. Ein Bild ist für mich ein emotionaler Zustand.
SBV: Inwieweit hat dein Wien-Aufenthalt sich dann in deinen Werken ausgeprägt?
Waqas Khan: Wien war eine sehr neue Erfahrung für mich. In Lahore arbeite ich meistens in der Nacht. In Wien habe ich Anfangs versucht, meinen Arbeitsrhythmus umzudrehen, bis ich dann den passenden Ablauf gefunden habe.
Anfangs hatte ich keinen Tisch, kein Papier. Wie ein Kind habe ich danach verlangt: Ich will das! Ursula ließ einen neuen Tisch für mich konstruieren, der perfekt ist zum Zeichnen – dadurch konnte ich auch größere Papiere ausprobieren. Alle dort waren enorm unterstützend – es war fantastisch! Und wir hatten sehr viele Diskussionen.
SBV: Du hast bisher vor allem mit schwarzen Stiften auf weißem Papier oder weißen Stiften auf schwarzem Papier gearbeitet. Jetzt benutzt du auch farbiges Papier und farbige Stifte – ist das auch durch Wien angeregt worden?

Waqas Khan, 2010

Waqas Khan, Forming Space, 2010. Wasli Paper, 11,5×8,5 cm

Waqas Khan: Die Farbe kam dann vielleicht durch meine Spaziergänge durch die Stadt. Einmal sah ich ein kräftiges Gelb auf einem Plakat – so kam ich zu dem gelben Papier. Ich möchte meine Arbeit offen halten für alle Einflüsse – sie sind Teil meines Erlebens.
SBV: Anfangs hast du häufiger schwarzes Papier gewählt – warum?
Waqas Khan: Schwarz ist eine Reduktion, eine freie Fläche. Wenn ich jetzt rote Stifte benutze, ist das etwas anderes. Ich ging durch die Straßen in Wien, schaute herum. Im Alltag dort ist überall Rot präsent. Aber Rot ist vieldeutig: es ist Gefahr, ist Terrorismus, Blut. Und es ist Valentinstag, Rosen, eine Farbe der Liebe. Ich wollte mit dieser Doppeldeutigkeit spielen. Ich wollte eine tanzende rote Form machen.
SBV: Und die Farbe grün?
Waqas Khan: Grün ist eine frische Farbe. Ich komme aus einer Familie von Ärzten und die sagen, dass Grün die Patienten beruhigt – Grün ist Natur. Aber Grün ist auch die Farbe der Prophezeiung, ist eine sakrale Farbe in unserer Religion, eine sehr friedliche Farbe.
Ich fühlte Grün. Ähnlich entstehen auch die Formen: Ich sah all die Gebäude in Wien, die Architektur, die Dichte der Bebauung, die aus vielen einzelnen Häusern eines werden lässt. Zwei Strukturen, zu einer zusammen vermischt. Alles ist Teil einer größeren Struktur – das gilt auch in meinen Zeichnungen. Meine frühen Arbeiten waren eher ein erster Schritt, ein Anfang – in Wien hat jetzt eine ganz neue Entwicklung begonnen.
SBV: 2009 hast du schon einmal mit Papier experimentiert, als du für deine Arbeit „Seven Skies“ sieben Papierrahmen ineinander verschachteltes. Ist dieses Werk mit dem Islam verbunden, wo oft von sieben Himmeln die Rede ist?
Waqas Khan: Ich gehe jeden Tag spazieren, liebe Tiere, gehe viel in die Berge. Auch Religion ist ein Teil meines Lebens. Natürlich denke ich auch über Politik nach, genauso wie über Religion, aber meine Kunst hat mit beidem nicht direkt zu tun. Aber mich interessiert der Sufismus, ich bin beeindruckt von dem spirituell geprägten Leben von Sufis. Sufi ist Liebe, alles dreht sich darum, ohne Abgrenzung, ohne Anfang, ohne Ende.
SBV: Deine Werke werden immer wieder mit Miniaturmalerei verglichen – siehst du da einen Zusammenhang?
Waqas Khan: Meine Zeichnungen erzählen keine Geschichten. Es ist eher ein Prozess des Bauens, so wie man Ziegel auf Ziegel setzt, füge ich einen Punkt an den anderen. Jeder einzelne Punkt erzählt dabei von meinem Leben, manche durchbrechen die Gleichmäßigkeit – man kann vielleicht an jedem ablesen, wie ich mich in der Sekunde gefühlt habe. Die Zeichnungen sind fast wie Tagebücher. Der Prozess ist wie Wachsen – das ist mit der Statik der Bilder in der Miniaturmalerei überhaupt nicht vergleichbar.
SBV: Du verwendest die Bardhakhat Technik, in der Tausende von Punkten und Kommata neben einander gesetzt werden, die ein Verschmelzen der Farben erzeugen und die Faltenwürfe der Kleidung, die Schatten im Gesicht etc. bilden. Hast du diese Technik während deines Studiums gelernt?
Waqas Khan: Während meines Studiums haben wir eine dreimonataige Ausbildung in Miniaturmalerei erhalten, wozu auch diese Technik gehört. Aber ich verwende nicht diese Technik, denn ich benutze ja keinen Pinsel, sondern einen Stift. Zwar möchte ich in meinen Werken eine ähnliche Wirkung erzielen wie in der Miniaturmalerei, aber mit modernen Mitteln. Vor allem aber sind in meinen Werken die Unregelmäßigkeiten ein wichtiger Teil, die in der Miniaturmalerei ausgeschlossen sind. Diese Momente erzählen fast wie ein Selbstportrait von meiner physischen und psychischen Verfassung – abstrakt, aber doch deutlich.

Katalogbeitrag Waqas Khan, Krinzinger Projekte, Wien 2012