Was ist Landschaft? Albertina Wien

30. Apr. 2021 in Ausstellungen

Jakob Alt, Blick auf Wien von der Spinnerin am Kreuz, 1817. Aquarell, Deckfarben. Albertina, Wien

Jakob Alt, Blick auf Wien von der Spinnerin am Kreuz, 1817. Aquarell, Deckfarben. Albertina, Wien

Geplant war eine große Edvard Munch-Personale als Frühjahrsauftakt in der Albertina. Aber durch die Pandemie ist der Ausleihverkehr zwischen Museen zu unsicher geworden, zudem fehlen die Besuchermassen zur Finanzierung solch kostenintensiver Projekte. Im Herbst fiel dann die Entscheidung für eine Ausstellung über Landschaftskunst, und dies nur mit Werken aus der eigenen Sammlung. Dafür steht gerade der Albertina eine enorme Auswahl zur Verfügung, sammelte Herzog Albert doch leidenschaftlich Zeichnungen und Druckgraphiken. Mit den späteren Ankäufen zusammen besitzt die Albertina heute über eine Millionen Werke aus über 600 Jahren Kunstgeschichte. „Wir hatten die Qual der Wahl“, fasst Kuratorin Eva Michel die Vorarbeiten zur Ausstellung zusammen.
Sie entschied sich für einen ganz speziellen Fokus: In einer Mischung aus Großen Meistern und Neuentdeckungen steht in den 170, auf acht Räume verteilten Werken der Mensch und seine Umgebung im Fokus. Damit führt uns diese Ausstellung zu dem frühen Wortsinn von Landschaft zurück. Denn ursprünglich bezeichnete der Begriff einen Siedlungsraum. Erst im 15. Jahrhundert kommt das Verständnis im Sinn eines ´geschauten Naturausschnitts´ und eine ästhetische Bedeutung hinzu. In jener Zeit setzt auch die Ausstellung an und stellt gleich im ersten Raum klar: Stadt und Land gehören zusammen. Landschaft, das ist hier als mit den Menschen verbundenes und durch Menschen gestaltetes Sujet verstanden. Landschaft ist der ganz kleine Ausschnitt wie in Albrecht Dürers berühmten „Großes Rasenstück“ von 1503 mit den fein ausgearbeiteten Grashalmen. Aber Landschaft ist auch das Stadtportrait wie Dürers dramatisiertes Portrait von Innsbruck (1495) bis zur kartographierten Stadt aus der Vogelperspektive wie die detailreiche Zeichnung von Venedig aus dem Jahr 1497.

David Vinckboons, Landschaft mit Hasenjagd, 1601/02. Albertina, Wien

David Vinckboons, Landschaft mit Hasenjagd, 1601/02. Albertina, Wien

Vor allem aber sind diese Landschaften Fiktionen. Im Mittelalter gilt die irdische Welt als feindlich, als Durchgangsstation auf dem Weg ins Jenseits und damit nicht als bildwürdig. Ab der Renaissance kommt zwar nicht zuletzt durch die beginnenden, naturwissenschaftlichen Erforschungen eine Hinwendung zum Diesseits. In der Kunst bedeutet es einen ästhetischen Blick auf das Irdische, Licht und Schatten, Farben und Linearperspektive beleben die Ansichten. Aber noch lange dominiert eine verklärte Idylle die Bilder. Das wird besonders in den Werken von Nicolaus Poussin und Claude Lorrain offensichtlich, die heroisch angelegt sind mit einem mächtigen Baum vorne als Bildhelden, oder als arkadische Welt mit Hirten und friedlichster Eintracht von Mensch und Natur. Dazu sehen wir die faszinierenden Stadtansichten von Venedig, die vier Veduten, also naturgetreuen Darstellungen von Lagunensiedlungen von Francesco Tironi etwa: die Insel Murano scheint sich bis heute kaum verändert zu haben, San Clemente ist dagegen nicht wiederzuerkennen. Als wäre es erst gestern entstanden sehen wir Canalettos heitere, bühnenartige Rialtobrücke über den Canal Grande. Der gebürtige Venezianer wählte für seine Venedig-Bilder oft eine Perspektive, in der wir als Betrachter die Szene auf Augenhöhe sehen und uns dadurch in das Bild imaginieren. Auch seine Werke sind geprägt von einer verklärenden Harmonie. Im nächsten Raum folgt die französische Kunst, mit Francois Bouchers übersteigerter Künstlichkeit, die die städtischen Bürger so liebten und sich dank ihres zunehmenden Wohlstands auch kaufen konnten. Hier sehen wir eine der Neuentdeckungen aus der Sammlung, Alphonse N. Mandevare, der heute noch für seine detailreiche Anleitung für Landschaftsmalerei bekannt ist und im 18. Jahrhundert für seine knochigen Baum-Portraits geschätzt wurde. Erstmals ausgestellt sind auch die Werke von Jean Pillement, in denen das akademische Braun mit vorsichtigen Farben im Gewand der Reisenden aufgebrochen wird. Großartig die flirrend-flimmernden Parkszenen von Jean-Honore Fragonard, die die Künstlichkeit der Idylle betonen. Nach dem üppig-verspielten Rokoko fasziniert Casper David Friedrich mit seinen romantischen Bildern, in deren unendliche Tiefe man sehnsuchtsvoll versinken kann. Oder genussvoll erschaudern angesichts des gefährlichen Wegs durch die Höllenschlucht in Peter Birmanns Federzeichnung.

Alfred Kubin, Schlachthausruine, 1900. Farbige Tusche laviert und gespritzt, schwarze Tusche, Feder ALBERTINA, Wien

Alfred Kubin, Schlachthausruine, 1900. Farbige Tusche laviert und gespritzt, schwarze Tusche, Feder
ALBERTINA, Wien

Nicht fehlen darf der österreichische Maler Martin von Molitor, der mit über 300 Werken in der Sammlung der Albertina vertreten ist – er war einer der Lieblingskünstler von Herzog Albert. Die Zeichnungen sind im Großformat und der Farbigkeit wie Gemälde angelegt, mit dramatischen Wolkenformationen und miniaturkleinen Menschen in wenig prägnanten Umgebungen. Wie anders dagegen die Werke von Vater Jakob und Sohn Rudolf von Alt, ihre mit großer Präzision gemalten Aquarelle von Städten und Berglandschaften, die mit Komposition und Farbigkeit Stimmungen und Details wiedergeben und eine Welt zwischen Dokumentation und Idylle zeigen! Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehört Rudolf von Alts Zeichnung eines Hinterhofs mit Gerümpel von 1903. Es zeigt das Ende der Idyllen. Der Alltag findet in die Kunst. Die hellen Farben weichen dunklen Tönen. Es ist nur mehr ein kleiner Schritt in die Moderne, die im letzten Raum drastisch den radikalen Bruch mit allen Traditionen zeigt: Jetzt konzentrieren sich die Künstler nicht mehr auf die Motive, sondern auf die Malweise, etwa die ohne Umrisslinien gemalte Flusslandschaft von Pierre-Auguste Renoir, die nur noch mit Farbmomenten angedeuteten Berge Paul Cezannes, die in Quadrate gequetschten Schneelandschaften von Josef Stoitzner, aber auch die dystopischen Szenen von Alfred Kubin, der die Stadt als Ort des gesellschaftlichen Niedergangs erlebte.

Egon Schiele Alte Häuser in Krumau, 1914. ALBERTINA, Wien

Egon Schiele, Alte Häuser in Krumau, 1914. ALBERTINA, Wien

Künstler wie Lyonel Feininger, Emil Nolde und Paul Klee beginnen, die neuen Wirklichkeitserfahrungen in zersplitterte Architekturen, in Farben und Formen aufzulösen. Am Ende dieser Wanderung durch 500 Jahre Kunstgeschichte haben Stadt und Land ihre Wiedererkennbarkeit verloren. Und wir einen nachhaltig beeindruckenden Einblick in die grandiose Sammlung der Albertina erhalten.
veröffentlicht in: Die Presse, 29.4.2021
Stadt und Land zwischen Traum & Realität, ALBERTINA, 27. April – 22. August 2021

August Macke Frau mit Krug unter Bäumen, 1912 Aquarell. ALBERTINA, Wien. Sammlung Forber

August Macke, Frau mit Krug unter Bäumen, 1912. Aquarell. ALBERTINA, Wien. Sammlung Forber