Ursprünglich sollte die Eröffnung der 1. Strasbourg Biennale Anfang Dezember sein, aber die Terrorattacke auf dem Weihnachtsmarkt ließ die Ausstellung mit einer Woche Verspätung starten. Jetzt zeigen 18 KünstlerInnen aus 9 Nationen ihre insgesamt 43 Werke in einem kleinen Teil im Erdgeschoß der 1897 gebauten, leerstehenden Postzentrale mitten im historischen Zentrum. Auf der Strasbourg Biennale steht nichts weniger als das Leben im digitalen Zeitalter zur Diskussion: „Touch Me“ betitelt die als Juristin ausgebildete, freie Kuratorin Yasmina Khouaidjia die Ausstellung, die sie im Selbstauftrag organisierte. Zentral ist ihre Frage, was es für uns bedeutet, wenn technologischer Fortschritt immer mehr in die Privatsphäre eingreift. Aber kann darauf mit den Mitteln der Kunst überhaupt geantwortet werden? Die Biennale zeigt: Kaum. Da hat etwa Paolo Cirio fleißig Patente für neue Apps recherchiert, um mit Ausdrucken der deskriptiven Titel die Wände zu tapezieren. Die geplanten Datensammel-Programme lassen schaudern, aber es geht nicht über eine reine Sammlung hinaus.
Andere bleiben nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich diffus wie Constant Dullaart, der die Form der heraldischen Lilie mit SIM-Karten bestückt, was er in Zusammenhang mit fake account für social media bringt. Ob die adrett aufgeschriebenen, im Zuge der Kulturrevolution verbotenen chinesischen Schriftzeichen der in Berlin lebenden Jia die Diskussion weiterbringen, ist ebenso fraglich.
Inhaltlich hoch spannend und kompetent, aber bildlich kaum vermittelt sind Florian Mehnerts Installationen mit gehackten Smartphones und auf Bäumen angebrachten Mikrofonen, die die zunehmende Überwachung thematisieren.
Schön anzusehen, aber in der behaupteten Assoziation mit Schamanismus kaum nachvollziehbar druckt Sarah Ancelle Schönfeld eine Szene aus dem Film 2001: Odysee im Weltraum auf ein Kuhfell.
Aber es finden sich auch starke Bilder: Philip Lachenmann lässt in seinem Video einen indischen Sarod-Spieler vor der Kulisse des – wegen Wartungsarbeiten abgeschalteten – Delphi Partikeldetektors im Genfer Kernforschungszentrum CERN musizieren. Die immensen Kabelbündel verändern sich mittels Farb-Animation kontinuierlich und verstärken damit noch den Kontrast zu dem spirituellen Sound, lassen Mensch und Maschine krass aufeinanderprallen. Mit einem interaktiv angelegten Schattenbild schafft Anike Joyce Sadiq eine Situation, in der uns eine virtuelle Gestalt aus dem digitalen Nichts immer näher rückt – ein Bild für schrumpfende Grenzen in der neuen Welt. Nach dem Ende der Biennale wird übrigens die nicht mehr benötigte Postzentrale in eine Apartmentanlage umgebaut, das auf jeden Fall ist eine klare Antwort auf die Veränderungen in der digitalen Welt.
(Hotel des Postes, Rue Wencker, Straßburg, 22.12.2018-3.3.2019)
veröffentlicht in: Kunstforum online