Zur Hochzeit bekommt jedes emiratische Paar vom Staat eine Wohnung geschenkt. An Arbeitsplätzen für die jungen Menschen besteht kein Mangel, der wachsende Wohlstand ist trotz Finanzkrise noch immer garantiert – und damit auch die Zufriedenheit mit den herrschenden Familien. Das betrifft zwar nur etwa 15 % der knapp 5 Mio. Einwohner der Vereinigten Emirate. Aber da die Übrigen nur eine vorübergehende Aufenthaltsbewilligung erhalten, können sie jederzeit ausgewiesen werden. Zwar gibt es vorsichtige Versuche, das Parlament in Richtung einer tatsächlichen politischen Mitbestimmung zu verändern, aber zu einer Revolution führt das hier sicher nicht. So sind die Emirate der einzige Ruhepol in der arabischen Region und die Eröffnung der 5. Art Dubai konnte am 15. März in gewohntem Luxus des fünf Sterne-Hotels Madinat Jumeirah beginnen.
Dann kam am selben Tag die Nachricht, dass die Emirate und Saudi-Arabien Truppen zur Unterstützung des Herrschers nach Bahrain geschickt haben. Immer mehr Gespräche drehten sich um die Situation der Region, ein Bauunternehmer verrät, dass die Bautätigkeit in Abu Dhabi massiv zurückgegangen sei. Informelles wurde ausgetauscht, selbst in Qatar würden Unruhen der armen Bevölkerung beginnen, von einem kurzen Protest der Beduinen im Februar in Kuwait wird erzählt, deren Rechte aber offenbar schnell verbessert wurden. Euphorie traf auf Resignation. Die Galeristin der Albareh Art Gallery aus Bahrain konnte erst gar nicht anreisen, weil alles blockiert war.
Immer mehr vermischte sich Politik mit Kunst. Und es ist der größte Verdienst der diesjährigen Art Dubai, dass genau diese Situation sich auch in der angebotenen Kunst widerspiegelte. Obwohl knapp die Hälfte der 81 Galerien aus Europa und den USA kamen, dominierte an jedem Stand die Kunst der MENASA-Region (Middle East, North Africa, South Asia). Und überall wurde Position bezogen: Die Galerie Artspace aus Dubai widmete den gesamten Stand der ägyptischen Revolution, verteilte Aufkleber und Zuckerl mit der Aufschrift „Ägypter – und stolz“ und erhielt nicht nur einen enormen Zuspruch an medialer Aufmerksamkeit, sondern auch von Sammlern. Auf dieser 5. Art Dubai ist eine faszinierende Sprache von politischer Kunst allgegenwärtig: die Serie von Politikern, die Ayaz Jokhio mit präzise ausgewählten Zeilen aus Zeitungspapier collagiert (5000,- Euro, Green Cardamon, London), die Zeichnungen von Alfred Tarazi, die um die Bombadierung Beiruts kreisen (5.400,- Euro, Galerie Krinzinger, Wien) bis zu Abdul Rahman Katananis schematische Figuren aus Blech, die Kinder mit Flugdrachen zeigen (18.000,- $, Agial Art Gallery, Beirut) – denn in Gaza ist der Himmel der einzig freie Platz zum Spielen.
Anders als die westliche Kunst, die ihre politischen Stellungsnahmen allzu oft mit einem eindimensionalen Blick missionarisch oder fleißig-dokumentarisch verpackt, konfrontieren diese Werke uns mit einer komplexen Wirklichkeit: Gewalt und Hoffnung, Schönheit und Schrecken, das gehört hier zusammen. Es waren auch vor allem diese Arbeiten, die sofort verkauft waren.
Am folgenden Tag dann eröffnete die 10. Sharjah Biennale, die wichtigste Großausstellung der Region. Er widme diese Biennale dem „Geist der Revolution“, die Ausstellung sei ein „Spiegel unserer Welt“, erklärt Jack Persekian, seit 2005 künstlerischer Leiter der Veranstaltung. Da wussten wir noch nicht, dass gerade der libanesische Künstler Walid Raad eine Protestbewegung begonnen hatte. Sie fordern in einem Brief an den Direktor der Solomon Guggenheim Foundation, dass die Arbeitsbedingungen beim Bau der neuen Museen auf dem Saadiyat Island in Abu Dhabi für die Arbeiter massiv verbessert werden müssen – oder die unterzeichnenden Künstler würden dort nie ausstellen: Kader Attia, Santiago Sierra, Tania Bruguera, Katharina Sieverding, Harun Farocki, Hans Haacke, Shirin Neshat. Mona Hatoum – die Liste ist prominent und wird stündlich immer länger.
Welche Rolle hat die Kunst in diesem „wind of change“, fragte Persekian bei der Pressekonferenz. Kann Kunst in einer solchen Situation, die von massiven politischen Veränderungen geprägt ist, zu einer Form von Widerstand werden? Die eine Möglichkeit ist dieser Boykott. Den anderen Weg beantwortet die Biennale. Denn hier sind die massiven Veränderungen – im Selbstbewusstsein der Künstler dieser Region, in der faszinierend facettenreichen Formensprache der Werke, in den Ausdrucksmöglichkeiten der Kunst – in enormer Dichte zu sehen. Im Eingang des Sharjah Arts Museum hängt der wunderschöne Kaschmirschal von Aisha Khalid. Das Paisley-Muster ist mit vergoldeten Stecknadel gestochen – die auf der Rückseite bedrohlich herausstehen. Die pakistanische Künstlerin schafft damit ein intensives Bild für die zwei Seiten der Wirklichkeit, dem beliebten Schal und den katastrophalen Lebensbedingungen der Menschen in jener Region.
Im großen Innenhof inmitten des renovierten Altstadtviertels dann ist überall blutrote Farbe. Hat hier ein Massaker stattgefunden? Dann entdeckt man die zarten, weißen, floralen Ornamente. Damit habe er „eine Illusion zwischen der Idee von Leben und Tod“ geschaffen, erklärt Imran Qureshi. Vor allem aber hat er ein enorm intensives Bild der Situation dieser Region geschaffen – wofür er auch mit dem 1. Preis der Biennale ausgezeichnet wurde.
90 KünstlerInnen stellen hier aus, dazu ein umfassendes Musik-, Film- und Performance-Programm. 65 Kunstwerke sind eigens für die Biennale entstanden. Es sind so viele großartige und bewegende Arbeiten dabei, dass ich sie gar nicht alle nennen kann: die zwei Fußballmannschaften des algerischen Schriftstellers Mustapha Benfodil, der seine kritischen Texte nicht veröffentlichen darf und sie auf den T-Shirts dieser Schaufensterpuppen auf die Strasse bringt; die Videoprojektionen „Cairo Stories“, in denen ägyptische Frauen wie aus einer gespenstischen Erinnerung aus den Wänden zu kommen scheinen und ihre Lebensgeschichte erzählen. Judith Barry sammelte diese Portraits über acht Jahre; Adel Abidins Videos „Their Dreams“, in dem die verspielten Träume und Zukunftswünsche von Kindern mit der Realität von Bomben und Gewehren kontrastiert ist. Hier in Sharjah wird nicht Kunst über Kunst gemacht. Hier steht das Leben zur Diskussion. Hier wird nicht über richtig und falsch gerichtet, sondern ein Istzustand gezeigt.
Es ist eine durch und durch politische Biennale, denn hier wird Widerstand formuliert, indem in bildlich verdichteten Formen Zustände und Veränderungen sichtbar gemacht werden. Auf 20 Bildern zeigt Ebtisam Abdulaziz, die bekannteste Künstlerin der Emirate, wie eine Frau sich in oder aus einem Kreis zwängt: „Der Kreis ist geschlossen und wir Frauen sind innen drin“, fasst sie ihre Kritik an der gesellschaftlichen Situation der Frauen in den Emiraten zusammen. Nur friedlich ist es nirgends.
Art Dubai, 15.-19. März 2011; 81 Galerien aus 34 Ländern
Sharjah Biennale, 16.3.-16.5.2011
veröffentlicht in: Die Presse, 26.03.2011
http://diepresse.com/home/kultur/kunst/645122/Art-Dubai_Wie-die-Revolution-zur-Kunst-wird