Kaum ein asiatisches Land ist so kunstbegeistert wie Südkorea. In den letzten Jahren wurden hier dreizehn Privatmuseen für zeitgenössische Kunst gegründet, insgesamt gibt es 45 solcher Initiativen. Dazu kommen gleich drei Biennalen, die heuer im Abstand von wenigen Tagen Anfang September eröffneten und über die Halbinsel verteilt sind: die auf neue Medien spezialisierte Media City Seoul, die Biennale in der Küstenstadt Busan im Südosten des Landes und eine in der Industriestadt Gwangju im Südwesten. Obwohl die eher gesichtslose Stadt touristisch unattraktiv ist, gehört die Gwangju Biennale zu den renommiertesten Veranstaltungen Asiens, die alle zwei Jahre berühmte Künstler und Starkuratoren präsentiert. Staatlich finanziert, ist es die älteste Biennale in Korea, verfügt über eine eigene Ausstellungshalle und ein permanentes Team – perfekte Voraussetzungen also. Allerdings kam es vor zwei Jahren zum Wechsel an der Spitze, der Gründungsdirektor Yangwoo Lee musste zurücktreten: Er hatte zugestimmt, dass ein Politik-kritisches Gemälde in der Jubiläumsausstellung zur 10. Gwangju Biennale zensiert wurde. Hong Seon-dam hatte Koreas Präsidentin Park Geun-hye als Vogelscheuche dargestellt, die von einem Militär festgehalten wird. Nach einem ersten Protest verwandelte er die Präsidentin in ein Huhn, das Werk wurde trotzdem aus der Ausstellung entfernt. Diese Zensur widersprach der Gründungsidee der Gwangju Biennale, die 1995 in Erinnerung an die 1980 blutig niedergeschlagene Demokratiebewegung während der Diktatur entstand.
So steht die diesjährige 11. Ausgabe jetzt also unter der Leitung eines neuen Präsidenten, der erst Mitte 2015 eine künstlerische Direktion wählte. Und Präsident Yangwoo Park hatte eine klare Vorstellung dafür, wie er auf der Pressekonferenz erklärte: Er wollte jemanden, der „nicht überwältigen will“, sondern „über unsere Gesellschaft reflektiert“ – schließt sich das denn aus? Zudem sollten anhand der Biennale Wege „zum Verstehen zeitgenössischer Kunst unterstützt und die Verbindung zur lokalen Bevölkerung gefördert“. Fündig wurde Park in Schweden. Er entschied sich für Maria Lind, profilierte Kuratorin und Leiterin der Tensta Konsthall, die in ihren Ausstellungen gerne Genderfragen stellt und Problemzonen unserer Zeit aufgreift. Die zweite Forderung gliederte sie aus und begann bereits im Januar mit Teatime-Treffen, Lesegruppen und „curated walks“ durch die Stadt – ob daran auch die Bewohner der riesigen Apartmenttürme rund um die Biennale-Halle teilnehmen, deren Kinder auf dem Platz vor der Ausstellungshalle so gerne Fahrradfahren? Ist das die Lösung für den Vorwurf der Fallschirm-Biennalen, die unverbunden mit der lokalen Szene angelegt werden? Am 2. September eröffnete dann die Biennale mit 101 Künstlern unter dem „The Eight Climate“.
Der Begriff stammt aus der schiitischen Theosophie: Neben den sieben irdischen Klimazonen gibt es noch eine achte Zone, ihre Realität sei die „der imaginativen Ausdehnung“, wie der Islamstudienprofessor Henry Corbin schrieb. In dieser Zone versenkt man sich in seine Seele, wo die eigenen Urbilder erscheinen, die durch aktive Imagination zugänglich werden. Wie passt dieser intrinsische Blick zur geforderten Reflektion über Gesellschaft? Gar nicht, und darum fügte Lind noch einen Zusatz in den Titel: „What does art do?“ Das ist eine spannende Frage gerade im Kontext von Biennalen, die wie ein Fallschirm für wenige Monate in einer Stadt landen, wie heuer in Gwangju dann noch mit einem großen Bildungsanspruch auftreten und zugleich die globale Aufmerksamkeit benötigen, um nicht in lokaler Bedeutungslosigkeit zu verschwimmen. Aber Lind greift den Ball nicht auf, sondern verliert sich stattdessen in der Behauptung, Kunst sei ein „Seismograph und Spürhund“ für Veränderungen, sei ein „visionäres Wissen, das Diagnosen und Prognosen umfasst“. Damit hat sie flugs das Thema der Achten Klimazone verlassen und schwenkt über zu Klimaerwärmung und Ausblicken auf die Zukunft.
In dieser waghalsigen Konstruktion spiegelt sich ein interessantes Dilemma vieler Biennalen: Kuratoren müssen ein Konzept vorlegen, denken sie schlagwortstarke Themen aus – und müssen dann in kurzer Zeit Werke finden, die das bildhaft umsetzen. Zudem hatte Lind für Gwangju 28 Künstler für Neuproduktionen beauftragt, die mit ihren Werken idealerweise auf Ort und Thema eingehen sollten – was allerdings hauptsächlich darin besteht, dass die Werke vor Ort, mit lokalen Handwerkern oder Materialien entstanden. Damit wird das Prinzip Ortsspezifik ad absurdum geführt. Was also erspürt die Kunst in Gwangju? Gleich im Eingang hängt von der Decke Agnieszka Polskas Poster eines riesigen Champagnerglases. Es ist gefüllt mit einer Flüssigkeit, die an das Bild der Erde erinnert, tatsächlich aber schillerndes Öl beinhaltet, das noch dazu in Schieflage geraten ist – ein Bild für den Klimawandel, für globale Erwärmung, unseren Umgang mit fossilen Brennstoffen und ähnliche weitbekannte Problemzonen. Daneben steht ein Monitor, auf dem eine 3D-animierte Eule von Ideen zur Zukunft spricht, die Ann Lislegaard Zitate aus alten Science Fiction-Romanen zusammensuchte.
Inseon Parks surreale Gemälde zeigen entwurzelte, im leeren Raum schwebende Häuser. Die in Gwangju lebende Malerin thematisiert damit die Stadtentwicklung in Südkorea, der lokale Traditionen zum Opfer fallen. Das sind passend gewählte Werke, allerdings nicht für die Ausstellung entstanden.
Eigens für Gwangju produziert ist dagegen Bernd Krauß´ kryptische Installation „T.U.N.“. Zentrales Element darin ist ein Portrait von Maria Lind, gebaut aus einem Regal und gelben Papierstreifen, die unübersehbar die Frisur der Kuratorin nachformen. Statt Klimawandel zu thematisieren, ist die Auftraggeberin im Fokus – ob Bernd Krauß damit auch eine Kritik am Kuratorenprinzip eingeschleust hat, die mit ihren Ausstellungen gerne sich selbst allzu sehr in den Mittelpunkt rücken? Passen würde es, denn Lind spricht von dieser Biennale als einer „dynamischen Installation“ und „kaleidoskopischer Vielfalt“ – was für Euphemismen!
Tatsächlich sind viele Werke kaum verständlich, die oft vielteiligen Installationen räumlich kaum klar voneinander getrennt und „kaleidoskopisch“ ist eine Umschreibung für inhaltlich völlig unverbundene Arrangements. So presste Michael Beutler aus Papier ziegelähnliche Stücke und baute damit eine mauerähnliche Abgrenzung, in der Li Jinghu grelle Neonröhren als „White Clouds“ hängen, die Aimée Zito Lema Fotografien von Körperteilen beleuchten. Daneben läuft Jeamin Chas Video über die gefährlichen Arbeitsbedingungen von Stromkabelarbeitern. Das wirkt wie eine Miniausstellung, allerdings in die Zusammenstellung erschreckend beliebig. In einer anderen Galerie ist es stockdunkel, heiß, laut. Hier kämpfen siebzehn Videoarbeiten gegeneinander.
Erst im vorletzten Raum ist ein gemeinsames Thema sichtbar: Abstraktion. Unter den 41 höchst unterschiedlichen Werken ist Lawrence Abu Hamdans Film über lebensgefährliche, israelische Sound-Bomben, mit denen Menschen beschossen wurden. Er dokumentierte ein Gerichtsverfahren, dass die Existenz dieser Bomben aufklären sollte und zeigt die speziellen Tonfrequenzen auf bildähnlichen Bannern. Die sind fast so dekorativ wie die ornamentalen Spiegelmosaike von Monir S. Farmanfarmaian, die allerdings keine Waffen thematisiert, sondern die Sprache der Abstraktion mit einem alten, persischen Handwerk verbindet.
Hinten hat Iza Tarasewicz ein schwarzes Seil lose von der Decke gehängt, dahinter sind Ade Darmawan sechs schmale Wandbanner mit abstrakten Motiven. Laut Katalogerklärung sind es die von Schrift bereinigten Buchdeckel indonesischer, politischer Literatur. Lind subsummiert hier formal Ähnliches, aber inhaltlich Grundverschiedenes unter dem Stichwort ´Abstraktion´ – ohne jeglichen Zusammenhang mit Klimawandel oder gar Zukunftsprognosen. Was ´erspürt´ hier die seismographische Kunst, was kann Kunst ´tun? Das bleibt genauso indifferent wie die gesamte, überwältigend diffuse Ausstellung.
veröffentlicht in: FAZ, 13.9.2016
11. Gwangju Biennale, 2.9.-6.11.2016