Es ist die älteste aller Biennalen, die wichtigste, die größte: die Biennale Venedig. Heuer findet die 53. Biennale Venedig statt – ein kleiner Rund zu den Pavillons von Österreich (Dorit Magreiter, Elke Krystufek, Lois Weinberger), Mexiko (Teresa Margolles), Polen (Krzysztof Wodiczko), Lithauen (Zilvinas Kempina), Belgien (Jef Guys).
Österreich: Die Damen posieren im edlen Bademantel, bereiten sich auf ihren großen Abend vor. Diese kurzen Momente wechseln mit dahingleitenden, langsamen schwarz-weiß-Bildern des leeren Gardini-Geländes, mit weißen Wänden und ähnlichen bedeutungsfreien Flächen des österreichischen Pavillons. In gekonnter Überästhetisierung gehalten, präsentiert uns Dorit Magreiter in ihrem Film ein Sinnbild der ewig wiederkehrenden Situation: die Vorbereitungen auf den Auftritt auf der Biennale. Nur ein kleines Accessoir irritiert die simple Metapher: der Federnschmuck der Damen, bekannt von den Can Can-Tänzerinnen der 20er Jahren.
Die Biennale als Revue – das ist eine höchst reizvolle Parallele. Anders als die Oper oder das Musical kennt die Revue keinen Handlungsstrang, sondern wechselt lose zwischen Solodarstellung und tanzendem Ensemble. Die nationalen Pavillons als Solo-Auftritt, begleitet vom tanzenden Arsenale? Oder soll dieser Vergleich vielleicht auf den Österreichischen Pavillon übertragen werden? Denn wie die Revue so hat auch dieser Pavillon kein Thema, sondern besteht aus einem lockeren Nebeneinander von Auftritten: Dorit Magreiter mit ihrem strengen Film, Elke Krystufeks
anarchistisch inszenierten Männerportraits, Franziska & Lois Weinbergers kleine Retrospektive innen und im Außenraum die so gar nicht repräsentative Hütte mit großem Heuhaufen.
Aber wer sind die Revuegirls? Vielleicht alle anderen Pavillons auf dem Gelände? Dann wäre die Biennale als Revue ähnlich gescheitert wie Cyrith Wyn Evans und Florian Heckers „Oper“, der wegen überragender Langeweile schon in der zweiten Vorführung die Zuschauer verloren gingen.
Trotz einiger Gemeinsamkeiten wie dem deutlichen Kontextbezug und der Ausrichtung auf gesellschaftliche Themen sind die drei Beiträge des Österreichischen Pavillons auf der 53. Biennale Venedig so konträr, dass sie sich nicht gegenseitig bestärken oder ergänzen, sondern zum Stolpern bringen. Bunt gegen schwarz-weiß, frech neben streng, kleinformatig gegen große Geste, poetisch neben plakativ etc. Diese allzu zufällig wirkende Choreographie ist nicht nur ein kuratorischer Mangel, sondern war noch dazu vorhersehbar. Als Kommissärin wurde Valie Export beauftragt, die sich nicht ein Organistionsbüro aufbaute, sondern eine zweite Kuratorin, Silvia Eiblmayr (ehemals Leiterin des Taxi-Palais in Innsbruck) hinzunahm. Zu zweit wählten sie dann für die 53. Biennale Venedig drei Positionen aus: drei Medien (Film, Malerei, Installation), drei Perspektiven (Geschlechterrollen bei Krystufek; Ruderale und Brachen als Bedeutungsträger; filmische Inszenierung als Analysemethode), drei starke Einzelwerke.
Jede Einzelne hätte vielleicht eine Goldenen Löwen-Anwärter-Ausstellung konzipiert. Aber in dieser positionslosen Für-jeden-etwas-Mischung ist die Chance vertan, das hohe Niveau österreichischer KünstlerInnen zu demonstrieren. So ist dieser Pavillon dieses Jahr eine verpasste Chance für alle Beteiligten – Kompromisse führen in der Kunst nie zu Qualität.
Mexikanischer Beitrag
Wie konsequent dagegen ist die berührende, fast schon überzogene und in dieser massiven Dosis umso eindrücklichere Präsentation von Teresa Margolles im Mexikanischen Pavillon (im Rota Ivancich Palazzo) der 53. Biennale Venedig. Die Leichentücher der viel zu vielen Toten aus den Mafia- und Drogenkriegen in Mexiko City werden permanent mit Wasser besprüht. Mit diesem ´Leichenwasser´ wischen Angehörige der Toten den Boden des Palazzo, reinwaschen, auftragen, Erinnerungsarbeit, Ritual. Andere sitzen in der Stadt und sticken Worte – etwa „Respekt“ – in solche Tücher, ein weiteres ist mahnend als Fahne vor den Palast gehängt, zwischen Venedig und Europa. „What else can we talk about?“ ist der Titel. Man muss der mexikanischen Künstlerin zustimmen. Peter Noever, Direktor des MAK, fragte, wo eigentlich die Beiträge zu den drängenden Fragen unserer Zeit seien. Hier, im Mexiko-Palazzo beispielsweise.
Polnischer Pavillon
Aber auch bei Krzysztof Wodiczko im polnischen Pavillon der 53. Biennale Venedig: „Guests“ redet im Zusammenspiel von Bild und Ton in hoch-theatralisch-kathedralischer Form von den immer fremd bleibenden Immigranten. Bekannt für seine kritischen Diaprojektionen auf öffentlichen Gebäuden, findet der in New York lebende, gebürtige Pole hier ein starkes Bild: milchig-weiße Fenster, hinter denen wir die Fremden nur schemenhaft sehen. Wie spannend wäre in dieser Nachbarschaft ein Einzelauftritt von Franciska & Lois Weinberger gewesen, die in ihren Werken immer wieder Immigration thematisieren, wenn Ruderale als angeflogene Fremde heimisch werden, jegliche Grenzen ignorierend; die von der Schönheit des Übersehenen erzählen und für eine „Komplexität des Unbestimmten“ plädieren; die mit ihrer „Laubhütte“ in Venedig „den Raum der Kunst in einen Raum des Existentiellen“ verwandeln. Und auch wenn der zweite Teil ihrer Präsentation, die kleine Retrospektive im kleinen Raum mit vielen kleinen Objekten, wie eine Galerieausstellung wirkt, zeigt sich hier doch in jedem einzelnen Werk eine Komplexität, mit der manch anderer Pavillons wie Jef Geys akkurate Auflistung von wilden Pflanzen im Belgischen Pavillon kaum mithalten kann. In Großstädten gesammelt, seien die Unkräuter, die sich oft als Heilkräuter erwiesen, jetzt „latent sources of knowledge as well as of aesthetic delight“ (Pressetext). Dieser Satz passt in seiner wagen Weite auch zu einem nahezu konträren Beitrag, zu Zilvinas Kempinas wunderschöner Installation „Tube“ im Lithauischen Pavillon. In der erstmals bespielten ´Scuola Grande della Misericordia´, einem Gebäude des 16. Jahrhunderts, baut Kempinas aus schmalen, schwarzen Tonbändern eine flirrende Röhre, die beim Durchschreiten von innen wie ein Zeittunnel erlebt wird. Das Material als Speichermedium, der Umraum wie ein Film, die ästhetische Wahrnehmung vertraut-befremdend wie ein Traum, will Kempina hier Zeit erfahrbar machen.
Zeit ist auch eine entscheidende Ebene im Österreichischen Pavillon, besonders in Weinbergers „Laubhütte“. Langsam zersetzt sich dort die Biomasse, die auf einem Brachland am Lido gemäht und immer wieder nachgefüllt wird. Im engen Raum erleben wir diese Verrottung als Inbegriff von Transformationsprozessen mit allen Sinnen: voll feuchter Wärme, voll intensivem Geruch, irreal blau gefärbt durch die Dachplane. Hier drin gibt es keine Vorbereitung und keine Tänzer, hier wird keine Revue stattfinden, hier gibt es keine Kompromisse: „Der Zerfall des Haufens erzeugt die Zeit / die es ermöglicht / einen Bruchteil der großen Veränderung zu bemerken und den Raum der Kunst in einen Raum des Existentiellen zu verwandeln.“ (F. & L. Weinberger). Den Pavillon geschlossen, die Hütte allein, hätte das nicht völlig ausgereicht?
publiziert in: www.artnet.de 11.6.2009, http://www.artnet.de/magazine/landerpavillons-auf-der-53-biennale-von-venedig-osterreich-mexiko-polen-litauen-belgien/