Expo Shanghai 2010

03. Jun. 2010 in Reisen

Expo Shanghai 2010 – Weichgespült und abgerundet

Hehe und Xiexie heißen die beiden Pandabären, die sechs Meter hoch, aus glänzendem Edelstahl vor dem Expo Boulevard sitzen. „Großer Frieden“ und „Große Harmonie“, so die Übersetzungen, sind Teil von „Art for the World – The Expo“. Es ist die einzige Kunstausstellung, die auf der Expo Shanghai zu sehen ist.

 

Zhang Huan

Kuratiert von Ami Barak im Auftrag der JGM Gallery, sind hier Skulpturen von elf chinesischen und neun internationalen Größen wie Dan Graham, Subodh Gupta und Wim Delvoye auf und um den Boulevard in Zone A platziert.

Wim Delvoye

Ähnlich wie das Expo-Motto „Better city, better life“ ist auch das Konzept dieser Ausstellung so vage wie weit: „The City of Forking Paths“ – in Anlehnung an Jorge Borges „Der Garten der Pfade, die sich verzweigen“ – handelt von „ideas of happiness, of a fair social order and the sharing of wealth, altruism, harmony and love.“ Dagegen konnte offenbar selbst die chinesische Behörde, die absolut alles auf und von und für die Expo kontrolliert und keinerlei kritische Beiträge duldet, nichts einwenden. Auf Samtpfoten tritt der internationale Kunstbetrieb hier auf. Weich und kuschelig wie Ailuropoda melanoleuca mit den runden Ohren.

Mircea Cantor

Immerhin bergen die beiden Bären von Zhang Huan den Bezug zum kuratorischen Globalanspruch bereits in ihrem Titel. Weniger klar dagegen wird es bei Mircea Cantors Arch of Triumph, einem vergoldeten Holztor, oder Xavier Veilhans Vibration, der verwackelt erscheinenden Skulptur einer Kutsche.

Xavier Veilhans

Ob hier die Kontraste zwischen modernster Expo-Architektur und historischen Rückgriffen in der Kunst die Idee von Glück und Liebe spiegeln sollen? Oder sollen sich all die hohen Werte im Ping-Pong zwischen Tradition und Technik verzweigen, wie bei Chen Changweis Säule der 12 symbolischen Tiere?

Chen Changwei

Die an einen Grillspieß erinnernde, zugleich fotogene und makabre, 12 Meter hohe Aufreihung von Tierköpfen ist direkt vor den zentralen China-Pavillon platziert, einer auf dem Kopf stehenden, knallroten Pyramide. Solche Nachbarschaften lassen es nur schwer entscheiden, ob wir diese „Verzweigungen“ humorvoll, traurig oder einfach nur dekorativ finden sollen. Niemand kann ermessen, ob die Kunst hier symbolisch verschlüsselt einer Öffnung den Weg ebnen soll oder sich vorauseilend in inhaltlicher Bescheidenheit übt. Wer frei schwebt, eckt jedenfalls nicht an.

Aber eigentlich interessiert sich hier eh kaum jemand für die Kunst. 330.000 besuchen die Expo täglich, Tendenz steigend. 95 % davon sind Chinesen. Außer als Fotokulisse für Selbstportraits werden die Skulpturen kaum eines Blickes gewürdigt. Die Neugierde richtet sich vielmehr auf die Pavillons selbst.

Ägypten

Australien, davor: Vereinigte Arabische Emirate

zentrale Pavillon China

 

 

Über 200 Länder und Organisationen, von Coca Cola bis zum World Water Council, sind auf dem 5 Quadratkilometer großen Gelände vertreten.

England

Es ist ein Wettkampf der Architekten, die mit vorgehängten Fassaden aus Stroh oder Blumentöpfen, Metallplättchen oder Bambusrohren, ornamentalen Blechhäuten oder feinem Keramikmosaik um die Aufmerksamkeit werben. Die Innenwelten zu erreichen ist allerdings schwierig. Die Wartezeiten bei den beliebtesten Pavillons von Saudi Arabien, Frankreich, Deutschland und Afrika beträgt ein bis zwei Stunden. 50 Mio. Euro hat Deutschland für den Auftritt ausgegeben, Saudi Arabien sogar 116 Mio. Euro – ob solche Zahlen das gewaltige Interesse erklären? In nur gut fünfzehn Minuten hasten die Besucher durch die Häuser. Angehalten wird nur für ausgewählte Details der Tourismus- und Wirtschaftsgeschichten der Nationen – wozu meist ein Foto neben den importierten Mitarbeiterinnen gehört. Jeder Pavillon hat seine eigene Kleidung, in Deutschland eine strenge rot-weiße Rock-Polohemd-Kombination, in Spanien ein kesser brauner Einheitslook mit Hut und in Österreich eine Dirndl-Neuinterpretation aus Strick.

Österreich

Hier und da findet sich dann doch ein wenig Kunst, etwa einige Werke der Klassischen Moderne im französischen Pavillon. Zeitgenössische Kunst allerdings gibt es nirgendwo – außer in dem kleinen Österreich-Pavillon. Nicht im öffentlichen Teil, sondern im VIP-Eingang hängt der Displacer von Friedrich Biedermann. Der ehemalige Student von Brigitte Kowanz benutzt Glasfaserkabel, die an der Decke ein surrealistisches Knäuel bilden und aus ihren offenen Enden Bilder projizieren. Das „Kleinhirn des Pavillons“ nennt Biedermann seine Installation. Aus dem interaktiven Bildermeer rund um die Themen Berge, Wald, Wasser und Stadt im öffentlichen Pavillon wählte er einige zentrale Motive aus und lässt sie jetzt auf die Decke, die Wände und in die Winkel des Eingangraums fließen – und zur Ruhe kommen. Auch wenn die Bedingungen dieses Ortes nicht optimal sind, weil zuviel Licht durch die Tür einfällt, werden hier doch die Auserwählten, die den schnellen Eingang benutzen dürfen, mit künstlerischen Mitteln perfekt auf die Welt der Weltausstellung eingestimmt: auf die Vermischung von Räumen in pulsierenden Bildwelten. Die kommen zwar in eckigen Formen daher und lehnen sich auch sanft gegen die Bilderüberflutung der Weltausstellung auf, aber kritische Kommentare und Reflexionen sind auch hier tunlichst vermieden.

So wenig Kunst auf dem Expo-Gelände vorzufinden ist, umso mehr hat die Stadt zu bieten. 60 Millarden Dollar investierte China in direkte und indirekte Kosten für die Expo, dabei auch die Verdoppelung des bestehenden U-Bahn-Netzes, Tunnel- und Straßenbauten, eine eigene Expo-Taxi-Flotte, tausende Blumen an Laternen, Mauern und Fassaden – und zwei neue Museen für zeitgenössische Kunst. Während im Minsheng Art Museum „30 Jahre Zeitgenössischer Chinesischer Kunst: Malerei (1979.2009)“ zu sehen ist, inszeniert Cai Guo-Qiang im Rockbund Art Museum (RAM) eine höchst ungewöhnliche Ausstellung: „Peasant Da Vincis“. Nur in einer Etage des behutsam von David Chipperfields Architects renovierten Kolonialgebäudes im Art-Deco-Stil nahe des Westufers des Huangpu ist eine Installation von Cai zu sehen: Auf 55 kleinen Winddrachen sind per Handy kurze Impressionen projiziert, die während seiner Recherche für diese Ausstellung entstanden. Ansonsten gehört die Ausstellung 10 „bäuerlichen da Vincis“, Ingenieuren und Farmern aus dem ländlichen China, die ihre selbstgebastelten Flugmaschinen, U-Boote und Roboter zeigen. Auf dem Dach steht ein erleuchtetes UFO, im Atrium hängen über drei Etagen Fantasiegefährte und im zweiten Geschoß hat Wu Yulu seine Roboterwerkstatt eingerichtet. Hier wird Kunst produziert: der maschinelle Damien Hirst malt Punktbilder in Serie, ein anderer Roboter zieht Yves Klein-artig eine Puppe durch blauen Sand und zwei verteilen à la Jackson Pollock hockend die Farbe über ihre Leinwänden. Erstaunlicherweise erscheinen diese Roboter nicht wie kritische Figuren, sondern sehen eher rührend aus. Aus ihnen spricht keine Überheblichkeit, sondern Freude am Basteln.

Im zweiten Teil des Museums, der angegliederten ehemaligen National Industrial Bank, füllt ein riesiger, aus Altmetall gebauter Flugzeugträger die Marmorhalle. Im Inneren von Tao Xianglis Maschine läuft Our Century (1983) von Artavazd Peleshian. Im Film wird die sowjetische Raumfahrt mit individuellen Schicksalen kombiniert. Die Kombination von Technik und Leben zieht sich wie eine Hintergrundmusik durch die Ausstellung. Im Innenhof vor dem Eingang des Museums ist in großen, chinesischen Buchstaben zu lesen: „Peasants – making a better city and a better life“. Nicht die Politik, sondern jeder einzelne Bauer, jedes Individuum verändere und verbessere die Gesellschaft. „Only when the individual is meaningful can a nation be meaningful,“ erklärt der Künstler und setzt damit dem offiziellen „Better City, better life“ der Expo seine eigene Vision entgegen.

Dies ist immerhin ein Aufschein künstlerischer Eigenständigkeit, eine eigensinnige Formulierung quer zum durchgestalteten Mega-Event. Die wirkliche künstlerische Frage gibt diese Expo aber an die internationalen Aussteller zurück. Der Preis ihrer Teilnahme scheint der Verzicht auf die Werte künstlerischer Autonomie, oder wem das zu viel, zu westlich ist, der Verzicht auf ein Refugium künstlerischer Selbständigkeit. Wäre Tao Xianglis, wäre Cai Guo-Qiangs freundlich insistierende Weisheit nicht auch den westlichen Ausstellern zumutbar gewesen? Ist künstlerische Sprachlosigkeit eine gute Eigenwerbung für das Selbstverständnis der angereisten Nationen?

Kasastan

Qatar

veröffentlicht in: www.artnet.de, 3. Juni 2010

http://www.artnet.de/magazine/expo-shanghai-2010/

http://www.artnet.de/content/DesktopModules/PackFlashPublish/ArticleDetail/ArticleDetailPrint.aspx?ArticleID=3385&Template=Article_Print.ascx&siteID=0